Psychotherapeuten werden im bayerischen Allgäu händeringend gesucht
Jürgen Butz leidet an Depressionen – Seit zwei Jahren sucht er eine Anlaufstelle für eine Therapie, ohne Erfolg – Auf dem Papier ist die Region überversorgt
- Wer an einer psychischen Erkrankung leidet, ist stark belastet. Die CoronaPandemie, die die Menschen zwingt, ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, legt da noch eine Schippe drauf. Doch viele Betroffene haben noch ein anderes Problem: Sie finden keinen Therapieplatz. Der 57-jährige Jürgen Butz etwa ist seit zwei Jahren auf der Suche. Dabei sei die Region Kempten/ Oberallgäu überversorgt, sagt die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB). Die Psychotherapeuten selbst äußern sich unterschiedlich.
„Ich habe schwere Depressionen und bin seit zehn Jahren in Behandlung“, erzählt Jürgen Butz. Vor zwei Jahren sei sein damaliger Therapeut in Rente gegangen, doch einen neuen hat er bisher nicht gefunden. Dran bleiben, weiter suchen, Absagen hinnehmen – für Depressive sei das ungleich schwieriger als für gesunde Menschen. „Wenn man in so einem Loch ist, fehlt einem die Kraft“, weiß der Kemptener. Seiner Ansicht nach gibt es in der Region zu wenig Therapieplätze. „Der KVB-Schlüssel stammt aus den 1990er-Jahren“, sagt er.
„Nicht ganz“, entgegnet Axel Heise, stellvertretender KVB-Pressesprecher. Die Bedarfsplanung sei zum Jahreswechsel 2019/‘20 geändert worden. Dadurch seien bayernweit etwa 120 zusätzliche Kassensitze geschaffen worden. Das bedeute, dass auf einen Psychotherapeuten rechnerisch weniger Patienten kommen als bisher: „Der Gesetzgeber hat das Problem also schon erkannt.“
In Kempten und im Oberallgäu hat sich allerdings nichts verändert. Denn mit 43,25 Sitzen erreicht die
Region einen Versorgungsgrad von 112,87 Prozent – ist also überversorgt. Tatsächlich sind die Anfragen bei der Terminservicestelle der KVB zwischen Januar und April deutlich zurückgegangen. Wer eine Therapiesprechstunde braucht, kann sich dort eine vermitteln lassen – möglichst zeit- und ortsnah. Waren es im Januar noch etwa 1700, verzeichnete die Stelle im April lediglich 180 Anfragen. Pressesprecher Heise erklärt das mit der Corona-Krise – die Menschen wollten Kontakte meiden. Über die Sommermonate stiegen die Zahlen dann wieder an.
Eine Psychotherapeutin aus Kempten stellt fest, dass die Anfragen bei ihr zurückgehen. „Es gab Zeiten, da hatte ich zwischen zehn und 20 Personen auf der Warteliste stehen. Jetzt sind es zwei.“Um zu vermeiden, dass es schlagartig mehr werden, möchte sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Zwar hätten es Patienten, die ganz schnell einen Termin brauchen, schwer, sagt sie. Aber dennoch bräuchte es aus ihrer Sicht keine zusätzlichen Kassensitze. „Die meisten finden innerhalb von drei bis vier Monaten einen Platz.“
Jürgen Butz ist es da anders ergangen. Rufe er in einer Praxis an, heiße es oft, man melde sich eine Woche später. Doch gehört habe er dann nie wieder etwas. Diese Erfahrungsberichte kenne er zur Genüge, sagt ein Therapeut aus Kempten. Seine Patienten kommen aus dem ganzen Allgäu. Erst ab Februar könne er wieder jemanden aufnehmen. Das Problem liegt seiner Ansicht nach bei der Aufteilung der Kassensitze. Fülle ein Psychotherapeut seinen Sitz mit den Stunden, die er arbeite, nicht voll aus, müsse er das nicht melden. „Und das ist nicht gut für die Versorgung.“