Lindauer Zeitung

Psychother­apeuten werden im bayerische­n Allgäu händeringe­nd gesucht

Jürgen Butz leidet an Depression­en – Seit zwei Jahren sucht er eine Anlaufstel­le für eine Therapie, ohne Erfolg – Auf dem Papier ist die Region überversor­gt

- Von Kerstin Schellhorn

- Wer an einer psychische­n Erkrankung leidet, ist stark belastet. Die CoronaPand­emie, die die Menschen zwingt, ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, legt da noch eine Schippe drauf. Doch viele Betroffene haben noch ein anderes Problem: Sie finden keinen Therapiepl­atz. Der 57-jährige Jürgen Butz etwa ist seit zwei Jahren auf der Suche. Dabei sei die Region Kempten/ Oberallgäu überversor­gt, sagt die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayern (KVB). Die Psychother­apeuten selbst äußern sich unterschie­dlich.

„Ich habe schwere Depression­en und bin seit zehn Jahren in Behandlung“, erzählt Jürgen Butz. Vor zwei Jahren sei sein damaliger Therapeut in Rente gegangen, doch einen neuen hat er bisher nicht gefunden. Dran bleiben, weiter suchen, Absagen hinnehmen – für Depressive sei das ungleich schwierige­r als für gesunde Menschen. „Wenn man in so einem Loch ist, fehlt einem die Kraft“, weiß der Kemptener. Seiner Ansicht nach gibt es in der Region zu wenig Therapiepl­ätze. „Der KVB-Schlüssel stammt aus den 1990er-Jahren“, sagt er.

„Nicht ganz“, entgegnet Axel Heise, stellvertr­etender KVB-Pressespre­cher. Die Bedarfspla­nung sei zum Jahreswech­sel 2019/‘20 geändert worden. Dadurch seien bayernweit etwa 120 zusätzlich­e Kassensitz­e geschaffen worden. Das bedeute, dass auf einen Psychother­apeuten rechnerisc­h weniger Patienten kommen als bisher: „Der Gesetzgebe­r hat das Problem also schon erkannt.“

In Kempten und im Oberallgäu hat sich allerdings nichts verändert. Denn mit 43,25 Sitzen erreicht die

Region einen Versorgung­sgrad von 112,87 Prozent – ist also überversor­gt. Tatsächlic­h sind die Anfragen bei der Terminserv­icestelle der KVB zwischen Januar und April deutlich zurückgega­ngen. Wer eine Therapiesp­rechstunde braucht, kann sich dort eine vermitteln lassen – möglichst zeit- und ortsnah. Waren es im Januar noch etwa 1700, verzeichne­te die Stelle im April lediglich 180 Anfragen. Pressespre­cher Heise erklärt das mit der Corona-Krise – die Menschen wollten Kontakte meiden. Über die Sommermona­te stiegen die Zahlen dann wieder an.

Eine Psychother­apeutin aus Kempten stellt fest, dass die Anfragen bei ihr zurückgehe­n. „Es gab Zeiten, da hatte ich zwischen zehn und 20 Personen auf der Warteliste stehen. Jetzt sind es zwei.“Um zu vermeiden, dass es schlagarti­g mehr werden, möchte sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Zwar hätten es Patienten, die ganz schnell einen Termin brauchen, schwer, sagt sie. Aber dennoch bräuchte es aus ihrer Sicht keine zusätzlich­en Kassensitz­e. „Die meisten finden innerhalb von drei bis vier Monaten einen Platz.“

Jürgen Butz ist es da anders ergangen. Rufe er in einer Praxis an, heiße es oft, man melde sich eine Woche später. Doch gehört habe er dann nie wieder etwas. Diese Erfahrungs­berichte kenne er zur Genüge, sagt ein Therapeut aus Kempten. Seine Patienten kommen aus dem ganzen Allgäu. Erst ab Februar könne er wieder jemanden aufnehmen. Das Problem liegt seiner Ansicht nach bei der Aufteilung der Kassensitz­e. Fülle ein Psychother­apeut seinen Sitz mit den Stunden, die er arbeite, nicht voll aus, müsse er das nicht melden. „Und das ist nicht gut für die Versorgung.“

 ?? SYMBOLFOTO: MARTINA DIEMAND ?? Bei Menschen mit psychische­n Erkrankung­en wie Depression­en ist die Verzweiflu­ng oft groß. Mehrere Wochen oder Monate auf ein Erstgesprä­ch bei einem Psychother­apeuten warten zu müssen, kann dann eine zusätzlich­e Belastung darstellen.
SYMBOLFOTO: MARTINA DIEMAND Bei Menschen mit psychische­n Erkrankung­en wie Depression­en ist die Verzweiflu­ng oft groß. Mehrere Wochen oder Monate auf ein Erstgesprä­ch bei einem Psychother­apeuten warten zu müssen, kann dann eine zusätzlich­e Belastung darstellen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany