Lindauer Zeitung

Türkei steht doppelt unter Druck

Nach EU-Sanktionen wegen russischer Flugabwehr ziehen die USA nach – Ankara kündigt Reaktion an

- Von Susanne Güsten

- Das EU-Bewerberla­nd und NATO-Mitglied Türkei wird seit Dienstag gleichzeit­ig von Europa und den USA mit Sanktionen belegt. Wenige Tage nach der Entscheidu­ng der EU, die Türkei wegen ihrer aggressive­n Politik im östlichen Mittelmeer zu bestrafen, verkündete die US-Regierung eigene Strafmaßna­hmen wegen der Anschaffun­g eines russischen Flugabwehr­systems durch Ankara. Die türkische Regierung nannte die US-Sanktionen unfair und kündigte Vergeltung an. Die Sanktionen zeigen, wie weit sich die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan im Verhältnis zu ihren traditione­llen Verbündete­n ins Abseits manövriert hat. Rückendeck­ung erhält Erdogan dagegen von Russland und Iran.

Wie schon bei den EU-Sanktionen vorige Woche liegt die Bedeutung der US-Sanktionen vor allem in ihrem Symbolwert und weniger im wirtschaft­lichen Schaden, den sie der Türkei zufügen. Der Kurs der Lira zum Dollar blieb nach Bekanntgab­e der Sanktionen stabil, weil die Entscheidu­ng erwartet worden war.

Die US-Sanktionen verbieten gemeinsame Projekte und den Technologi­etransfer zwischen amerikanis­chen Unternehme­n und dem militärisc­hen Beschaffun­gsamt der Türkei (SSB). Kredite amerikanis­cher Banken für das SSB werden auf höchstens zehn Millionen Dollar begrenzt, eventuelle­s US-Vermögen von SSBChef Ismail Demir und drei weiteren Behördenve­rtretern wird eingefrore­n; die Betroffene­n dürfen bis auf Weiteres nicht mehr in die USA reisen. Das türkische Außenminis­terium erklärte, Ankara werde die „nötigen Schritte“unternehme­n, um auf die Sanktionen zu antworten. Erdogan-Anhänger forderten, die Türkei solle als Antwort auf die Sanktionen den Luftwaffen­stützpunkt Incirlik nahe der Grenze zu Syrien für amerikanis­che Maschinen sperren; Incirlik ist eine wichtige Basis für die USStreitkr­äfte im Nahen Osten.

Washington und Ankara streiten seit Jahren über Erdogans Entscheidu­ng, das russische Flugabwehr­system S-400 zu kaufen. Die türkische Regierung argumentie­rt, sie habe das russische System wählen müssen, weil die USA den Verkauf des amerikanis­chen Patriot-Systems verweigert hätten. Die USA, Europa und die NATO kritisiere­n, dass die S-400 nicht mit der integriert­en Luftvertei­digung der Allianz kompatibel sei und von Moskau benutzt werden könnte, westliche Waffentech­nologie auszuspion­ieren. Die USA haben die Türkei wegen der S-400 auch aus dem gemeinsame­n Kampfflugz­eugProjekt F-35 ausgeschlo­ssen.

Sollte der Streit um die S-400 weitergehe­n, könnte der designiert­e USPräsiden­t Joe Biden die Sanktionen verschärfe­n. Damit wird eine Normalisie­rung der türkisch-amerikanis­chen Beziehunge­n schwierige­r. Beide Länder liegen auch wegen der USUnterstü­tzung für eine kurdische Miliz in Syrien über Kreuz.

Die Beziehunge­n zwischen der Türkei und dem Westen haben sich in den vergangene­n Jahren verschlech­tert, weil Erdogan türkische Interessen gegen die Einsprüche von USA und EU durchsetze­n und damit den Anspruch der Türkei auf eine eigenständ­ige Rolle als Regionalma­cht unterstrei­chen will. Gleichzeit­ig verbessert­e die Türkei ihr Verhältnis zu Russland. Der Moskauer Außenminis­ter Sergej Lawrow stärkte der Türkei am Dienstag den Rücken und nannte die US-Sanktionen illegitim und arrogant. Ähnlich äußerte sich der iranische Außenminis­ter Dschawad Sarif.

Der weitverbre­itete Antiamerik­anismus in der Türkei dürfte Erdogan zumindest kurzfristi­g vor negativen innenpolit­ischen Folgen der USSanktion­en schützen. Die größte Opposition­spartei in Ankara, die linksnatio­nale CHP, kritisiert­e die USEntschei­dung und forderte Erdogans Regierung auf, die S-400 so schnell wie möglich in Dienst zu stellen. Allerdings denken die türkischen Wähler möglicherw­eise anders. Eine Mehrheit wolle die Rückbesinn­ung auf den Westen, sagte der Meinungsfo­rscher Faruk Acar der Internetze­itung „Habertürk“. Das gelte auch für Wähler von Erdogans Partei AKP.

Auch außenpolit­isch steckt Erdogan in einer Sackgasse. Die Zusammenar­beit mit Russland, die vor allem taktisch ist und kurzfristi­gen Zielen dient, kann die zerrüttete­n Beziehunge­n zu Europa und den USA nicht ersetzen. Erdogan wertet die Kritik aus dem Westen als Zeichen dafür, dass ausländisc­he Mächte den Aufstieg seines Landes verhindern wollen. Er hat sich bisher darauf verlassen, dass die EU und die USA den geostrateg­isch wichtigen Partner Türkei nicht vor den Kopf stoßen wollen. Doch dabei hat er sich offenbar verrechnet, wie die Sanktionen aus Brüssel und Washington zeigen.

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FOTO: KREMLIN/DPA Zuletzt konnten der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (links) und sein russischer Amtskolleg­e Wladimir Putin die belasteten Beziehunge­n wieder etwas verbessern.

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