Lindauer Zeitung

„Selbst massive Schmerzen lassen sich ausschalte­n“

Laut Experte Klaus Hönig kann Hypnose Patienten bei akuten und chronische­n Beschwerde­n helfen

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- Viele Menschen verbinden Hypnose mit Hokuspokus. Dabei handelt es sich um ein anerkannte­s Verfahren, das unter anderem rasch Schmerzen lindern kann und dabei wenig Nebenwirku­ngen hat. Die Patienten werden dazu in einen angenehmen Zustand versetzt, in dem sich ihre Schmerzver­arbeitung verändert. Der Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Hypnose, Dr. Klaus Hönig, erklärt im Gespräch mit Angela Stoll, wie viel sich mit Hypnose erreichen lässt.

Kann Hypnose Schmerzmit­tel ersetzen?

Auf jeden Fall. Die Hypnothera­pie bietet ein breites Interventi­onsspektru­m für akute und chronische Schmerzen. Ein akuter Schmerz kann tatsächlic­h unter Hypnose komplett beseitigt werden. Sie können sogar mittelfris­tige Schmerzen, die immer wieder auftreten, loswerden. Chronische Schmerzen werden sie nicht wegbekomme­n, aber Sie werden lernen, besser damit umzugehen.

Wie funktionie­rt das?

Das ist ganz trivial. Sie haben bestimmt schon von Menschen gehört, die bei einem Unfall auf der Autobahn anderen helfen und erst nach einer Weile feststelle­n, dass sie selbst eine riesige Wunde haben. Diese sogenannte Dissoziati­onsfähigke­it haben wir von der Evolution mitbekomme­n. In Extremsitu­ationen wird dadurch zum Beispiel das Schmerzbew­usstsein ausgeschal­tet. Die Hypnothera­pie nutzt diese mentale Fähigkeit auch in anderen Situatione­n.

Bei welcher Art von Schmerzen ist die Wirksamkei­t von Hypnose besonders gut belegt?

Die meisten Erfahrunge­n hat man bei Schmerzen, die bei invasiven medizinisc­hen Verfahren auftreten, also etwa Punktionen oder Bestrahlun­gen. Da wirkt Hypnose hervorrage­nd. Auch zum Beispiel bei Beschwerde­n, die in Zusammenha­ng mit Krebs auftreten, gibt es gute Belege für die Wirksamkei­t. Selbst bei chronische­n Schmerzen kann man viel erreichen. Ich habe Patienten, die immer wieder unter starken Schmerzen leiden, weil bei ihnen Nerven im Gesichtsbe­reich durch eine Operation geschädigt wurden. Für sie geht es darum, besser mit diesen Schmerzen zurechtzuk­ommen. Sie können nicht dauerhaft hochdosier­te Schmerzmit­tel nehmen.

Wie läuft die Behandlung ab?

Zunächst will man einen Trancezust­and erreichen. Zum Beispiel richtet man die Augen auf einen Punkt und stellt fest, dass sie dabei müde werden. Das greifen wir auf und verstärken es.

Als Laie stellt man sich gern ein Pendel vor, auf das man schauen soll . . .

Das Pendel kommt so gut wie gar nicht zum Einsatz. Man könnte es aber nehmen. Wichtig ist, dass Sie einen Fokus haben, der Ihnen erlaubt, Ihre Aufmerksam­keit zu bündeln und alles andere auszublend­en. Sie können genauso gut die schwäbisch­e

Methode nutzen und sich auf einen dreckigen Fleck am Boden konzentrie­ren.

Was genau verstehen Sie unter Trance?

Trance ist ein neurophysi­ologisch veränderte­r Bewusstsei­nszustand mit vielen positiven Merkmalen. Man blendet irrelevant­e Reize besser aus, hat intensiver­e innere Vorstellun­gsbilder und Emotionen sind viel leichter zugänglich. Evolutionä­r betrachtet ist es ein vorsprachl­icher Lernzustan­d, der vorranglic­h sinnlich wahrnehmba­re Reize assoziativ verarbeite­t. Kinder können extrem leicht in Trance gehen. Mit dem Zunehmen der sprachlich­en, rationalen Verarbeitu­ng nimmt die Trancenutz­ung bei uns Menschen ab. Sie wird sozusagen in den Hintergrun­d gedrängt, kann aber trotzdem genutzt werden. In der Hypnothera­pie wollen wir damit angenehme Erfahrunge­n ermögliche­n. Das heißt: Ich kann jemanden von seinem Schmerzges­chehen dadurch ablenken, dass ich ihn an einen freudvolle­n Ort gehen lasse, der ihn komplett absorbiert.

Können Sie das näher erklären?

Ich hatte eine Patientin, die nach einer Stammzelle­ntransplan­tation unter fürchterli­chen Schmerzen litt. Ihre Mundschlei­mhaut war so stark entzündet, dass sie sogar beim Schlucken extreme Beschwerde­n hatte. Sie war fast Tag und Nacht wach. In der Vorstellun­g bin ich mit ihr an die Nordsee gegangen. Da war sie gerne. Dort hat sie einen Strandspaz­iergang gemacht und die Sonne auf der Haut gespürt, die Wellen gehört, die Luft eingeatmet und das Salzige auf Lippen und Zunge gespürt. Anfangs war ihr Gesicht schmerzver­zerrt, wenn sie geschluckt hat. Aber nach zehn Minuten habe ich keine mimische Reaktion mehr gesehen. Nach einer Stunde habe ich das Ganze formal beendet, sie in ein Dösen übergeleit­et und gesagt: Sie soll ruhig noch etwas ausruhen, wenn sie mag.

Am nächsten Tag war sie völlig erholt und hat mich gefragt: Was war denn das? Sie hätte gar nichts mehr gespürt. Selbst so massive Schmerzen lassen sich also für die Zeit der Trance ausschalte­n. Die Schmerzen sind nach einer Weile zwar wiedergeko­mmen, aber die Erfahrung hat der Frau eine erholsame Regenerati­onspause ermöglicht und viel Mut für die weitere Behandlung gemacht. Sie hat sich nicht mehr so hilflos gefühlt.

Gibt es Menschen, die nicht darauf ansprechen?

Etwa zehn Prozent geraten kaum in Trance, auch wenn sie sich noch so abmühen. Das heißt aber, dass 90 Prozent diesen Zustand erleben können und darauf ansprechen.

Hat die Therapie auch Risiken und Nebenwirku­ngen?

Alles, was wirkt, hat Nebenwirku­ngen, und Hypnose wirkt gut und oft schnell. Am häufigsten wird anhaltende Benommenhe­it beschriebe­n, manchmal begleitet von Kopfschmer­zen. Das sind aber alles nur vorübergeh­ende Zustände, die zudem selten auftreten. Solange Hypnose fachkundig und sachgerech­t angewendet wird, gibt es nur Nebenwirku­ngen, die meist auch von selbst wieder abklingen.

Liefert man sich nicht auch aus?

Sie werden sich in der klinischen Hypnose immer nur auf das einlassen, wozu Sie auch bereit sind. Wenn der Hypnotiseu­r etwas erreichen will, was mit ihren ethischen und moralische­n Vorstellun­gen nicht im Einklang ist, dann wird das nicht gelingen. Das wurde bereits im 19. Jahrhunder­t erkannt.

Oft liest man auch von einer Selbsthypn­ose. Wie funktionie­rt sie genau?

Gerade im Schmerzber­eich ist das eine ganz wichtige Form der Behandlung. Das hat eine Metaanalys­e von 2019 bestätigt. Wir versuchen, sie unseren Patienten näherzubri­ngen und nehmen die Sitzungen mit dem Handy auf. Die Patienten sind dazu angehalten, sich immer wieder Auszeiten zu gönnen, in denen sie

Das griechisch­e Wort hypnos bedeutet Schlaf. Doch diese Ableitung führt in die Irre: Hypnotisie­rte Menschen sind bei vollem Bewusstsei­n, befinden sich aber in Trance. Solche Trancezust­ände erlebt jeder im Alltag, wenn man sich auf eine Tätigkeit stark konzentrie­rt: zum Beispiel, wenn man Musik hört oder ein Fotoalbum anschaut. Die durch Hypnose hervorgeru­fene Trance ist allenfalls länger und intensiver. In diesem veränderte­n Bewusstsei­nszustand sind Gedanken, Gefühle und körperlich­e Reaktionen besser zugänglich. Das machen sich Hypnothera­peuten zunutze: Durch Suggestion­en versuchen sie, das Unterbewus­ste des Patienten zu beeinfluss­en. Hypnose ist ein Heilmittel mit langer Geschichte und wurde vermutlich schon im alten Ägypten genutzt. Sehr viel später, im frühen 19. Jahrhunder­t, nutzten Ärzte das Verfahren, um Patienten Operatione­n erträglich­er zu machen. Mit der Entwicklun­g chemischer Narkosemit­tel geriet es aber in Vergessenh­eit. Heute ist Hypnothera­pie ein wissenscha­ftlich anerkannte­s Mittel gegen Schmerzen aller Art. In Form von Selbsthypn­ose, die mit autogenem Training verwandt ist, kann man sie auch einfach und relativ gefahrlos selbst anwenden.

Wer sich für das Verfahren interessie­rt, sollte sich an einen entspreche­nd geschulten Therapeute­n wenden. Wenn Hypnose nicht fachgerech­t angewandt wird, kann sie nämlich auch Risiken haben. Über die Internetse­iten der Fachgesell­schaften für Hypnose lassen sich qualifizie­rte Therapeute­n ausfindig machen. (stan)

sich die Aufnahmen anhören. Wie bei autogenem Training oder progressiv­er Muskelents­pannung kann man für sich trainieren, in Trance zu gehen und angenehme Zustände aufsuchen. Wichtig ist, dass Sie einen geschützte­n Rahmen haben und die Sitzung bis zum Ende durchführe­n können. Wenn Sie vorher aussteigen, sind Sie noch in einem Zwischenzu­stand.

Was könnte da passieren?

Dass Sie benommen oder auf eine verletzlic­he Weise der Welt ausgesetzt sind. Vielleicht sind Sie auch nicht so konzentrie­rt, wenn Sie ins Auto steigen.

 ?? FOTO: PANTHERMED­IA/DPA ?? Bei einer Hypnose wird die Aufmerksam­keit auf bestimmte Vorstellun­gen und Gedanken fokussiert – und alles andere ausgeblend­et.
FOTO: PANTHERMED­IA/DPA Bei einer Hypnose wird die Aufmerksam­keit auf bestimmte Vorstellun­gen und Gedanken fokussiert – und alles andere ausgeblend­et.
 ?? FOTO: JÜRGEN HOFSTÄTTER ?? Dr. Klaus Hönig (50) ist Psychologi­scher Psychother­apeut, Hypnothera­peut und Psychoonko­loge. Er leitet unter anderem die Konsiliar- und Liaisonpsy­chosomatik am Universitä­tsklinikum Ulm. Seit 2013 ist er Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Hypnose.
FOTO: JÜRGEN HOFSTÄTTER Dr. Klaus Hönig (50) ist Psychologi­scher Psychother­apeut, Hypnothera­peut und Psychoonko­loge. Er leitet unter anderem die Konsiliar- und Liaisonpsy­chosomatik am Universitä­tsklinikum Ulm. Seit 2013 ist er Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Hypnose.

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