Früher Schund, heute Kunst
Taschen entführt in die Welt der EC Comics
Sabbernde Zombies, radioaktive Mutanten und kernige Helden: Das Werk der Comic-Pioniere des Verlages EC war in den Augen von Moralaposteln nichts als Schund. Erst heute wird die Kunst darin sichtbar. Bestsellerautor Stephen King, Skandal-Zeichner Robert Crumb, „Krieg der Sterne“-Erfinder George Lucas und viele andere USProminente hatten als Kind dieselbe Leidenschaft. Sie alle liebten Comics aus dem Verlag EC. Bis Mitte der 1950er-Jahre erschienen hier Kultreihen mit so sprechenden Titeln wie „Tales from the Crypt“(„Geschichten aus der Gruft“), „The Vault of Horror“(„Das Gewölbe des Grauens“) und „Weird Science“(„Seltsame Wissenschaft“), deren Einfluss auf die Popkultur im Rückblick als immens anzusehen ist.
Dennoch sind EC Comics heute den wenigsten Menschen ein Begriff. Nur ein einziger Titel des einstigen Bilderbuch-Imperiums überlebte unter neuem Dach bis heute: das Satiremagazin „Mad“. Der Taschen Verlag hat EC Comics dem Vergessen entrissen und in diesem Herbst einen sechs Kilo schweren, englischsprachigen Prachtband auf den Markt gebracht.
„The History of EC Comics“von Grant Geissman zeichnet in Texten und mehr als 1000 Bildern Aufstieg und Fall des bemerkenswerten Verlages nach und liefert obendrein ein Panoptikum der reißerischsten Titel. Voller sabbernder Riesenechsen, blutgieriger Zombies, grimmiger Atommutanten, Fäuste schwingender Helden und ängstlich blickender Blondinen. Dabei liefern die 592 großformatigen Seiten auch recht versierten Comic-Liebhabern viele überraschende Erkenntnisse.
Der New Yorker Maxwell Charles Gaines ist ein verkrachter Mittdreißiger, der aus Geldnot wieder bei seiner Mutter eingezogen ist, als ihm 1933 eine geniale Idee kommt. Er schlägt seinem Arbeitgeber, einer Druckerei, vor, ein eigenes Heft nur mit Comics zu drucken. Das hat bis dahin noch keiner gemacht. Comic-Strips sind zu diesem Zeitpunkt nur als Wochenendbeilage zu Zeitungen erschienen.
Der Band „Famous Funnies“, ein zusammengeschustertes RecyclingProdukt älterer Zeichnungen, soll als Gratis-Werbegeschenk für eine Kosmetikfirma fungieren. Bald ist klar: Für so was kann man auch Geld nehmen. Die Druckerei macht mit der Idee Kasse, setzt deren Erfinder aber bald vor die Tür. Gaines sucht sein Glück woanders. Er treibt die Idee des Comicheftes mit einigen Partnern voran, ist Miterfinder von „Wonder Woman“und gründet schließlich seinen eigenen Verlag EC. Das E steht für Educational. Und tatsächlich setzt der Gründer auf erzieherisch angehauchte Stoffe aus der Bibel. Die Glanzzeit von EC beginnt jedoch erst nach seinem Tod bei einem Motorbootunfall 1947.
Sein Sohn Bill erfindet das „Mad“Magazin und gibt auch dem Comicsortiment eine völlig neue Richtung, den „New Trend“. Die neuen reißerischen Serien unter seiner Ägide fallen nicht nur sehr oft durch ein besonders schockierendes Ende auf. Sie greifen auch soziale Themen auf: Rassismus, Korruption bei der Polizei oder die Gefahren von Atomenergie und Krieg.
Dennoch gerät EC wie andere Comic-Verlage Mitte der 1950er-Jahre ins Visier der Zensurbehörden. Amerika sorgt sich um die Moral seiner Kinder. Die Folgen sind drastisch. Worte wie „Horror“und „Terror“sollen von den Titeln verschwinden. Unter dem Druck der Zensoren bringt Bill Gaines neue, ernstere Titel auf den Markt, sie floppen. Irgendwann
will der Herausgeber den Spagat zwischen Zensur und roten Zahlen nicht mehr hinnehmen. Bis auf „Mad“verschwinden alle Titel.
Damals als „Schundheftchen“angeprangert, erinnert an den Storys heute viel an die Ästhetik eines Roy Lichtenstein oder Andy Warhol. Der Fernsehsender HBO verfilmte Ende der 1980er-Jahre „Tales from the Crypt“als Serie und legte damit den Grundstein für seinen Erfolg als Bezahlsender. Regisseur John Hughes benannte 1985 eine bezaubernde Teenagerkomödie nach „Weird Science“. Leider verhunzte der deutsche Kinoverleih diese Hommage mit der schrägen Betitelung „L.I.S.A – Der helle Wahnsinn“. (dpa)
Grant Geissman: The History of EC Comics, Taschen, 592 Seiten, 150 Euro.