Rücksichtslose Wanderer
Wildtiere werden immer mehr gestört – Jäger und Behörden fordern jetzt ein Raumnutzungs-Konzept
- Auf dem Schild steht es deutlich und groß genug: „Stopp! Wildschutzgebiet“. Trotzdem hält das Wanderer oder Schneeschuhgeher nicht davon ab, einfach weiterzumarschieren. „Die Leute steigen sogar über den Zaun und rennen durchs Winter-Gatter“, schüttelt Berufsjäger Bernhard Pissarski den Kopf. „Würden die Menschen wissen, was sie damit anrichten, täten sie das vielleicht nicht“, glaubt Wildökologin Agnes Hussek. Denn in dem Wintergatter befindet sich ein großes Rudel von Rothirschen. Und für die kann die ständige Störung ihrer Winterruhe tödliche Folgen haben, sagt die Mitarbeiterin des Landratsamts. Sie und Revierjagdmeister Pissarski fordern ein Raumnutzungs-Konzept, das Menschen feste Wege und Räume zuweist, um die Wildtiere zu schonen.
Wenn sich Hussek und Pissarski vorstellen, dass in diesem Winter wahrscheinlich noch weit mehr Menschen durch Wälder und Berge streifen, als so schon unterwegs sind, verdüstern sich ihre Mienen. „Es sind schon jetzt viel mehr in der Natur unterwegs als früher“, wissen die beiden: Skitourengeher, Leute auf Schneeschuhen und – die moderne Ausrüstung macht’s möglich – immer Menschen, die über Nacht draußen biwakieren.
Über soziale Medien verbreiten sie anschließend begeistert Bilder über ihre Erlebnisse – „und dann kommen noch mehr in die abgelegensten Gegenden“, sagt Pissarski. Und auch was die Tageszeit betrifft, gebe es kein Halten mehr. „Manche sind mit Stirnlampen mitten in der Nacht unterwegs, die wie Scheinwerfer die Umgebung erhellen“, sagt Hussek. Vorbei sei es mit der Ruhe und Stille in den Wäldern.
„Die Leidtragenden sind die Wildtiere. Rotwild oder Schneehühner und -Hasen sind sehr sensible Tiere, die äußerst empfindlich auf Störungen reagieren.“Die Folge: Die Tiere ziehen sich in noch größere Höhen und abgelegene Tobel zurück, wo aber das Nahrungsangebot viel schlechter ist. „Dabei kämpfen Wildtiere im Winter sowieso schon ums Überleben, fahren ihren Stoffwechsel und die Körpertemperatur herunter, reduzieren jeden unnötigen Energieverbrauch“, erläutert Hussek. Jede Störung kann da schon eine zuviel bedeuten. Sucht das Rotwild Ruhe im Schutzwald, werde der durch den Verbiss junger Triebe betroffen. Außerdem komme damit „eine Spirale in Gang“, erläutert Pissarski. Denn die Tiere würden ihre Erlebnisse – und damit auch die Angst vor dem Menschen – an ihre Artgenossen und nachfolgende Generationen weitergeben.
Deshalb fordern die Naturschutzbehörde und die Jäger ein Konzept, um den Wildtieren Rückzugsgebiete zu sichern. Vertreter des Landratsamts, des Naturschutzes, der Kommunen und Tourismus-Verbände sollen zusammenkommen und eine Besucherlenkung in gefährdeten Gebieten festlegen. Wer sich nicht an die Schutzgebiete für Tiere hält, müsse mit Strafe rechnen. „Und das kann teuer werden“, sagt Hussek: Wer beispielsweise wiederholt in einem Winter-Gatter erwischt wird, müsse mit einer Geldstrafe bis zu 5000 Euro rechnen.
Revierbesitzer legen solche Winter-Gatter an, um dem Rotwild Schutz zu bieten. Das bei Hinterstein ist 25 Hektar groß und komplett eingezäunt. Das Rotwild wird dort täglich von Pissarski gefüttert und kann Ruhe finden – wenn nicht Menschen in das Gatter eindringen und es aufschrecken.