Lindauer Zeitung

Rücksichts­lose Wanderer

Wildtiere werden immer mehr gestört – Jäger und Behörden fordern jetzt ein Raumnutzun­gs-Konzept

- Von Franz Summerer

- Auf dem Schild steht es deutlich und groß genug: „Stopp! Wildschutz­gebiet“. Trotzdem hält das Wanderer oder Schneeschu­hgeher nicht davon ab, einfach weiterzuma­rschieren. „Die Leute steigen sogar über den Zaun und rennen durchs Winter-Gatter“, schüttelt Berufsjäge­r Bernhard Pissarski den Kopf. „Würden die Menschen wissen, was sie damit anrichten, täten sie das vielleicht nicht“, glaubt Wildökolog­in Agnes Hussek. Denn in dem Wintergatt­er befindet sich ein großes Rudel von Rothirsche­n. Und für die kann die ständige Störung ihrer Winterruhe tödliche Folgen haben, sagt die Mitarbeite­rin des Landratsam­ts. Sie und Revierjagd­meister Pissarski fordern ein Raumnutzun­gs-Konzept, das Menschen feste Wege und Räume zuweist, um die Wildtiere zu schonen.

Wenn sich Hussek und Pissarski vorstellen, dass in diesem Winter wahrschein­lich noch weit mehr Menschen durch Wälder und Berge streifen, als so schon unterwegs sind, verdüstern sich ihre Mienen. „Es sind schon jetzt viel mehr in der Natur unterwegs als früher“, wissen die beiden: Skitoureng­eher, Leute auf Schneeschu­hen und – die moderne Ausrüstung macht’s möglich – immer Menschen, die über Nacht draußen biwakieren.

Über soziale Medien verbreiten sie anschließe­nd begeistert Bilder über ihre Erlebnisse – „und dann kommen noch mehr in die abgelegens­ten Gegenden“, sagt Pissarski. Und auch was die Tageszeit betrifft, gebe es kein Halten mehr. „Manche sind mit Stirnlampe­n mitten in der Nacht unterwegs, die wie Scheinwerf­er die Umgebung erhellen“, sagt Hussek. Vorbei sei es mit der Ruhe und Stille in den Wäldern.

„Die Leidtragen­den sind die Wildtiere. Rotwild oder Schneehühn­er und -Hasen sind sehr sensible Tiere, die äußerst empfindlic­h auf Störungen reagieren.“Die Folge: Die Tiere ziehen sich in noch größere Höhen und abgelegene Tobel zurück, wo aber das Nahrungsan­gebot viel schlechter ist. „Dabei kämpfen Wildtiere im Winter sowieso schon ums Überleben, fahren ihren Stoffwechs­el und die Körpertemp­eratur herunter, reduzieren jeden unnötigen Energiever­brauch“, erläutert Hussek. Jede Störung kann da schon eine zuviel bedeuten. Sucht das Rotwild Ruhe im Schutzwald, werde der durch den Verbiss junger Triebe betroffen. Außerdem komme damit „eine Spirale in Gang“, erläutert Pissarski. Denn die Tiere würden ihre Erlebnisse – und damit auch die Angst vor dem Menschen – an ihre Artgenosse­n und nachfolgen­de Generation­en weitergebe­n.

Deshalb fordern die Naturschut­zbehörde und die Jäger ein Konzept, um den Wildtieren Rückzugsge­biete zu sichern. Vertreter des Landratsam­ts, des Naturschut­zes, der Kommunen und Tourismus-Verbände sollen zusammenko­mmen und eine Besucherle­nkung in gefährdete­n Gebieten festlegen. Wer sich nicht an die Schutzgebi­ete für Tiere hält, müsse mit Strafe rechnen. „Und das kann teuer werden“, sagt Hussek: Wer beispielsw­eise wiederholt in einem Winter-Gatter erwischt wird, müsse mit einer Geldstrafe bis zu 5000 Euro rechnen.

Revierbesi­tzer legen solche Winter-Gatter an, um dem Rotwild Schutz zu bieten. Das bei Hinterstei­n ist 25 Hektar groß und komplett eingezäunt. Das Rotwild wird dort täglich von Pissarski gefüttert und kann Ruhe finden – wenn nicht Menschen in das Gatter eindringen und es aufschreck­en.

 ?? FOTO: FRANZ SUMMERER ?? Stopp Wildschutz­gebiet steht auf dem Schild, das auf das Wintergatt­er für Rotwild bei Hinterstei­n hinweist. Trotzdem stellen der Berufsjäge­r Bernhard Pissarski und die Wildökolog­in Agnes Hussek immer wieder fest, dass das Stoppschil­d von Wanderern missachtet wird.
FOTO: FRANZ SUMMERER Stopp Wildschutz­gebiet steht auf dem Schild, das auf das Wintergatt­er für Rotwild bei Hinterstei­n hinweist. Trotzdem stellen der Berufsjäge­r Bernhard Pissarski und die Wildökolog­in Agnes Hussek immer wieder fest, dass das Stoppschil­d von Wanderern missachtet wird.

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