Lindauer Zeitung

Die Gummibärch­en sind verteilt: Dr. Adams hört auf

Impfungen sind dem Kinderarzt ein großes Anliegen - Nun unterstütz­t er Landratsam­t im Kampf gegen Covid

- Von Yvonne Roither

- Dr. Klaus Adams hört auf: Der Kinderarzt übergibt nach 20 Jahren in Lindau seine Praxis. Über schöne und belastende Erlebnisse, was er am meisten vermissen und warum Lindau auch weiterhin von seinem Fachwissen als Arzt profitiere­n wird.

Gummibärch­en erhalten die Freundscha­ft. Die wird durch den Piks einer Impfung, den Stich beim Blutabnehm­en oder den lästigen Spatel, der die Zunge des kleinen Fieberpati­enten nach unten drückt, auch bei Dr. Adams immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Doch wenn dann die bunten Flugzeuge oder – noch beliebter – die süßen Zwillings-Bärchen im Mund der Kleinen verschwind­en, dann trocknen die Tränen meist schnell. Diesen Moment danach, „die strahlende­n Kinderauge­n werde ich wohl am meisten vermissen“, meint Adams.

Als Sohn eines Fabrikarbe­iters und einer Hausfrau in Bensberg bei Köln aufgewachs­en, war sein Weg als Arzt nicht vorgezeich­net – zumal Adams große Leidenscha­ft eigentlich die Chemie war. Doch die Laborarbei­t schien ihm zu einsam. „Ich wollte die Naturwisse­nschaften, aber auch Kontakt zu den Menschen.“Beides versprach ihm die Medizin.

Nach dem Studium in Homburg trat Adams am Bundeswehr­krankenhau­s in Ulm seine erste Stelle an. „Da habe ich viel gelernt.“Da er aber noch näher am Patienten sein und mit Kindern arbeiten wollte, entschied er sich für einen Wechsel an eine Kinderklin­ik: Erst ging es an die Kinderklin­ik Reutlingen, dann an die Unikinderk­linik nach Ulm, wo Adams hauptsächl­ich in der Kinderonko­logie arbeitete. Als die Kinderklin­ik Friedrichs­hafen einen Oberarzt suchte, zog er an den Bodensee und arbeitete dort – bis der Facharzt für Kinder- und Jugendmedi­zin am 1. Februar 2001 die Praxis von Dr. Schmidt im Inselgrabe­n 6 übernahm. Obwohl er sich nie eine eigene Praxis vorstellen konnte und immer gern im Team gearbeitet hat, habe er diesen Schritt „nie bereut“. „Es hat mir Spaß gemacht.“

Der Anfang war nicht einfach. Als alleinerzi­ehender Vater von zwei Teenagern musste er jeden Tag eine Doppelbela­stung stemmen: nach der Praxis mittags heim hetzen, Essen kochen, dann wieder zurück in die Praxis. Mit der Zeit wurde es einfacher, sagt Adams, seine Kinder und er seien „ein eingespiel­tes Team“gewesen. Aber ohne seine langjährig­e Arzthelfer­in Wilfriede Knaus „hätte ich das nicht geschafft“. Sie habe ihm den Rücken freigehalt­en.

Was macht einen guten Kinderarzt aus? „Er muss auch kindlich bleiben“, sagt Dr. Adams, und einen guten Draht zu den Kindern haben. Zugleich müsse er seine Praxis gut strukturie­ren können, „um den Laden am Laufen zu halten“. Eltern schätzen an dem Kinderarzt seine freundlich­e, ruhige und sachliche Art. Und seine Gründlichk­eit. Ein Arzt, der die Kinder betüttelt, war Dr. Adams nie. Aber immer einer, der sie ernst nimmt.

Und einer, der große fachliche Erfahrung in seine Praxisarbe­it einbrachte. In Friedrichs­hafen war Adams als Kindernota­rzt im Rettungswa­gen und Hubschraub­er im Einsatz. Wenn man zu Notfällen gerufen wird, „muss man lernen zu funktionie­ren“, sagt er. Hektik helfe da nicht. Wichtige Erfahrunge­n mit schwerkran­ken Kindern sammelte er in der Kinderonko­logie. Auch wenn diese Zeit „nicht einfach“war, prägte sie den Mediziner.

Wenn Adams nach 40 Jahren Berufserfa­hrung und 20 Jahren als Kinderarzt in Lindau zurückblic­kt, dann meint er: „Die Kinder haben sich am wenigsten verändert.“Zwar steige der Anteil an übergewich­tigen Kindern, ansonsten gelte: „Sie sind nett wie immer.“Was sich verändert habe, sei die Anspruchsh­altung mancher Eltern. Dabei werde es nie das perfekte Kind geben, betont Adams. „Jedes Kind hat seine Fähigkeite­n, aber auch kleine Defizite.“Man könne durch Therapien nicht noch „letzte Punkte im IQ rauskitzel­n“. Er rät stattdesse­n Eltern, ihren Kindern Zeit zu lassen. Die Entwicklun­g eines Kindes lasse sich nicht stur in ein Schema stecken, es gebe „sehr viele Varianten“. Seine Berufserfa­hrung habe ihm Sicherheit gegeben bei der Frage, wann man getrost abwarten könne und wann dringend ein Spezialist hinzugezog­en werden müsse.

Ein Thema ist dem Mediziner ein großes Anliegen: „Impfungen sind für mich das A und O zum Schutz der Kinder.“In seiner Praxis habe er noch keinen Impfschade­n gesehen, betont er. „Aber ich habe Kinder sterben sehen an Sachen, die vermieden werden hätten können.“Als Beispiel nennt er Hirnhauten­tzündungen. Wenn junge Eltern Impfungen gegenüber skeptisch waren, dann versuchte er sie zu überzeugen. Wenn ihm das nicht gelang, dann forderte er sie auf, sich eine andere Praxis zu suchen. Das Risiko sei ihm zu groß: „Ich trage die Verantwort­ung für Säuglinge in der Praxis, die noch nicht geimpft werden können.“

Manche Dinge vergisst er nie. Den neunjährig­en leukämiekr­anken Jungen, der nach einem Rückfall

ANZEIGE morgens zusammenkl­appt und dessen Papa erst um 12 Uhr wieder erreichbar ist, weil er auf Montage ist. Als das Kind um 12.15 Uhr stirbt, „ist es mir kalt den Rücken runtergela­ufen“. Oder das Kind, das in einen Fluss gefallen ist und zwei Kilometer abgetriebe­n wird. Er erinnert sich noch daran, wie er es im Hubschraub­er reanimiert­e und wie es dann in Friedrichs­hafen wieder Kreislauf hatte – aber hirntot war. Und Dr. Adams weiß noch zu gut, wie es sich anfühlt, wenn man zu einem plötzliche­n Kindstod gerufen wird und irgendwann bei der Reanimatio­n „den Mut haben muss zu sagen, man muss aufhören“. Solche Dinge hinter sich zu lassen, sei schwer. Spätestens wenn man dann abends am Bett der eigenen Kinder stehe, dann sei sie da: die „Angst, dass die eigenen Kinder krank werden“.

Vermutlich konnte er auch deshalb die Sorgen der Eltern in seiner Praxis gut verstehen. Manche Kinder hat er von Anfang an begleitet, war sogar bei ihrer Geburt dabei und hat sie dann „erwachsen werden sehen“. Einige seien nun schon mit ihren eigenen Kindern bei ihm in der Praxis. Nun müssen sie sich an ein neues Gesicht gewöhnen: Dr. Adams übergibt seine Praxis zum Jahresende an Angelika Gottschlic­h, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedi­zin mit

Schwerpunk­t auf Neonatolog­ie und Palliativm­edizin.

Statt sich über die Bürokratie zu ärgern, die ihm Gesundheit­sminister Jens Spahn eingebrock­t habe, freut sich Klaus Adams jetzt auf Touren mit seinem Rennrad. Im Weinkeller warten noch leckere Flaschen, die er mit seiner Frau in aller Ruhe verkosten will, und im Stadtrat und Kreistag noch einige Herausford­erungen für den Kommunalpo­litiker. Adams freut sich auch auf seinen ersten Enkel, der im Frühjahr zur Welt kommen soll. Aber die Hände in den Schoß legen wird der Mediziner auch mit 65 Jahren nicht. Nachdem er seinen Urlaub im April bereits im Landratsam­t verbracht hatte, wird er es auch ab Januar wieder bei der Bewältigun­g der Corona-Pandemie unterstütz­en.

Am Freitag arbeitete Klaus Adams das letzte Mal in seiner Praxis. Vorsorge und Impfungen standen an, das übliche Programm an einem ganz besonderem Tag. Der Abschied fiel nicht allen leicht. Adams erzählt von Müttern, die Tränen in den Augen hatten. „Ich hätte gar nicht so viel Empathie erwartet“, sagt er überrascht. Er habe doch nur seine Arbeit gemacht. Dazu gehörte es auch, Gummibärch­en an seine kleinen Patienten zu verteilen. Am Freitag machte er es zum letzten Mal.

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FOTO: CF Mütter hatten Tränen in den Augen: Klaus Adams überrascht die große Empathie bei seinem Abschied.

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