18-Jährige Achbergerin hilft nach Erdbeben in Kroatien
Michelle Ozwald sieht ihre Heimat zerbrechen und muss helfen
- Aus Sorge fährt eine junge Achbergerin zu ihrem Opa in die kroatische Ortschaft Sisak. Kurz zuvor hat dort ein Erdbeben der Stärke 6,4 die Region erschüttert. Häuser sind eingestürzt, Menschen gestorben. Zurück in Achberg will sie helfen und stellt in wenigen Tagen eine Spendenaktion auf die Beine.
Michelle Ozvald war klar: Sie kann nicht nichts tun. Sie hatte die zerstörten Häuser gesehen, die Ziegelsteine auf der Straße, die Risse in den Gehwegen und auf den Ackern. Und sie hatte die Menschen gesehen, die verzweifelt sind, auf der Straße stehen, weil sie in ihren Häusern nicht sicher sind. Jederzeit kann ein ein Nachbeben kommen, das ihr schon kaputtes Haus vielleicht ganz einstürzen lässt.
Noch am Abend des 29. Dezembers, der Tag, an dem ein Erdbeben die Ortschaften Sisak und Petrinja 50 Kilometer südlich der kroatischen Hauptstadt Zagreb erschüttert hat, beschließen die junge Achbergerin und ihre Schwester Melanie Ozvald dorthin aufzubrechen.
„Ich war geschockt von dem Anblick vor Ort“, sagt Michelle Ozvald. In der Stadt, in der sie jedes Jahr mit ihrer Familie Urlaub macht und ihre Verwandten besucht, ist jetzt „alles so kaputt.“Ihrem Großvater, der in Sisak lebt und anderen Verwandten, die in der Nähe wohnen, geht es zum Glück den Umständen entsprechend gut.
Zurück in Deutschland hat Michelle Ozvald ein „richtig schlimmes Gefühl“, wie sie es beschreibt. „Ich war wieder in Sicherheit, aber so viele andere nicht.“Dann entschied sie sich für eine Hilfsaktion, von der Michelle
Ozvald später sagen wird, dass sie überwältigt ist von der Solidarität der Achberger, von der Unterstützung des Achberger Bürgermeisters und stolz ist auf die Leistung der Helfenden.
Als Ozwald und ihre Schwester zurück nach Deutschland kommen wissen sie, es muss jetzt schnell gehen. Nur dann kommt die Hilfe rechtzeitig an. Sie wissen auch, dass die Einschränkungen durch die Coronamaßnahmen erhöhte Organisation erfordern. Über die sozialen Medien rufen sie zum Spenden auf. Von ihren Verwandtschaft weiß Michelle Ozvald, was am meisten vor Ort gebraucht wird: lang haltbare Lebensmittel, wie Öl, Zucker, Reis, Nudeln oder Salz und auch Babykleidung und Desinfektionsmittel, Duschgel, Zahnbürsten oder Mundschutz werden gebraucht. Auf Vorschlag des Achberger Bürgermeisters Johannes
Aschauer dient die Grundschule als Abgabeort für die Spender und Ladestation der Transporter. Dort gibt es zum einen große Räume, es kann Abstand gehalten werden und die Leute geben ihre Spenden per „Drive-in“ab, ohne aus dem Auto auszusteigen.
Die Unterstützung aus Achberg ist groß. „Ich kann mich niemals genug bedanken für die unglaubliche Hilfe“, sagt Ozvald. Es kommen über 70 Autos und weitere Leute zu Fuß zu der Grundschule und bringen Kistenweise Lebensmittel, Hygieneartikel und Kleidung. „Ich hab ständig Gänsehaut bekommen, als mir klar wurde, wie viel die Leute bringen.“
Michelle Ozvald und ihre Helfer sortieren die Hilfsgüter in unterschiedlich große Pakete ein – für Familien oder für Paare. „Das war wichtig, dass wir nicht in Kroatien nochmal schauen mussten, wo denn jetzt was war“, sagt Ozvald. „Es kam so viel bei uns an, dass die Fahrzeuge gar nicht ausreichten.“Kurzerhand konnte die Gruppe über einen Aufruf noch einen weiteren großen Transporter organisieren. „Den machten wir auch bis obenhin mit Kartons voll und füllten mit Kleidung auf.“
Noch am selben Tag, abends um 18 Uhr, nimmt das Team mit sieben vollbeladenen Fahrzeugen die Tour auf sich. In Österreich hält der Schnee sie streckenweise auf, ein Transporter kann nicht schneller als 90 Kilometer pro Stunde fahren. Am nächsten Morgen um fünf Uhr kommen sie an.
In den Städten treffen sie eine ganz andere Situation an, als noch ein paar Tage zuvor. „Wir waren überrascht, wie viel Hilfe schon angekommen ist“, sagt die Abiturientin. Viele Deutsche seien mit Transportern dort gewesen. „Das fanden wir so toll.“Auch Feuerwehren aus Baden-Württemberg sind mit Hilfsgütern beladen in die Städte gefahren.
An schlafen ist aber nicht zu denken. Michelle Ozvald ist nur eines wichtig: Sie möchte die Spenden den Menschen direkt übergeben, um sicherzugehen, dass sie bei ihnen ankommen. Zu oft hat sie gehört, dass es lange dauerte, bis die Lebensmittel ankamen. Oder auch, dass es nicht fair zuging, weil die Menschen einen Abholschein brauchen, an den sie aber nicht kommen, wenn sie außerhalb der Stadt wohnen.
Kroatinnen und Kroaten, die es nicht so hart getroffen hat, hätten Restaurants oder andere Räumlichkeiten genutzt, um Spenden zu sammeln und zu verteilen, sagt Ozvald. In einem kleinen Ort finden sie einen solchen Restaurantbesitzer und Kellner, bei denen sie ein gutes Gefühl
haben, sie scheinen gut organisiert. „Bei vielen anderen Stellen wurde zu viel angenommen und bald waren sie überladen“, sagt Michelle Ozwald. „Dort haben immer drei Helfer die Pakete direkt sortiert und rausgegeben.“Also lädt die Gruppe dort alles ab, was sie mitgebracht haben.
Auf dem Weg nimmt Ozvald oft ihr Smartphone zur Hand und filmt die eingestürzten Häuserreihen, die Ziegelsteine auf dem Boden, die kaputten Straßen.
Was die Bilder auch zeigen: Seit dem Tag des Erdbebens regnet es ununterbrochen. Die Erde weicht auf, der Wasserspiegel der beiden Flüsse Kupa und Save, die durch die betroffenen Städte Sisak und Petrinja steigt. „Wenn es zu Überschwemmungen kommt und Häuser zerstört werden, können die Menschen nicht mehr zurück nach Hause“, sagt Michelle Ozvald.
Michelle Ozvald sieht ihre Heimat zerbrechen und will weiterhin helfen. „Das macht uns alle so traurig“, sagt sie.
Schlimm findet sie, dass man in Deutschland so wenig von dem Erdbeben mitbekommen hat. Als sie ein Bild von der Reise nach Kroatien im Internet postet, fragt sie jemand, ob sie denn nach Kroatien in Urlaub fahre. „Das fand ich erschreckend“, sagt die 18-jährige Abiturientin. Und eine Freundin hätte zu ihr gesagt: „Wenn du uns nicht informiert hättest, hätte ich nichts davon mitbekommen.“
Michelle Ozvald postet auf ihrem Instagram-Profil „m.lauraa“Bilder und Videos von der Situation in Kroatien nach dem Erdbeben.