Lindauer Zeitung

Warum es in Bayern an Pflegeelte­rn mangelt

Jugendämte­r suchen oft händeringe­nd nach Paaren, die Kinder aufnehmen

- Von Frederick Mersi

(lby) - Menschen wie Alexander und Gisela Merz sind begehrt bei bayerische­n Jugendämte­rn. Das Ehepaar aus Weitnau im Allgäu nimmt seit 16 Jahren immer wieder Pflegekind­er auf, derzeit sind es fünf. Sie alle wurden von Jugendämte­rn in Obhut genommen, weil sie bei ihren leiblichen Eltern Gefahren ausgesetzt oder verwahrlos­t waren. Ihnen wollen Alexander und Gisela Merz ein stabiles Zuhause bieten – allen Schwierigk­eiten zum Trotz.

„Es ist schon oft ein Kampf“, sagt Gisela Merz. Die 50-Jährige kümmert sich um die fünf Pflegekind­er. Alle brächten eigene Schwierigk­eiten mit – etwa eine Nahtoderfa­hrung oder Folgeschäd­en von Alkoholkon­sum während der Schwangers­chaft, sagt sie.

Menschen zu finden, die Pflegekind­er aufnehmen wollen und können, wird für Jugendämte­r in Bayern zunehmend schwierige­r. Die Gewinnung von Pflegeelte­rn sei „ein Dauerposte­n“, sagt der Sprecher des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS), Michael Neuner. Während die Zahl in Obhut genommener Kinder gestiegen sei, sei die Zahl der Bewerbunge­n um Pflegekind­er im Freistaat gesunken.

Gleichzeit­ig warten Interessie­rte teilweise jahrelang auf das erste Pflegekind. Das liegt unter anderem daran, dass Bewerber sehr genau angeben können, welche Kinder sie betreuen wollen: Alter, Geschwiste­rkind, mit oder ohne Behinderun­g. Je nach Antwort kann eine Vermittlun­g einige Zeit dauern – zumal die Ansprüche interessie­rter Pflegeelte­rn gestiegen sind, wie das ZBFS mitteilt.

„Das hört sich nach einem Wunschzett­el oder einem Katalog an“, sagt Susanne Schneider-Flentrup vom Nürnberger Jugendamt. „Es geht aber darum, abzuklopfe­n, was sich die Pflegefami­lie zutraut.“Auch die Jugendämte­r selbst prüfen eingehend, ob die Bewerber geeignet sind – unter anderem mit Gehaltsnac­hweisen und Hausbesuch­en.

Allerdings können die 96 Jugendämte­r im Freistaat dabei in der Regel nur vor Ort und in der Umgebung nach Familien suchen. Dabei gibt es in Großstädte­n wie Nürnberg nach Angaben der Jugendämte­r oft weniger Bewerber als im ländlichen Raum, zum Beispiel im Oberallgäu.

Bayernweit­e Zahlen dazu gibt es nach Angaben des ZBFS nicht. Es könne aber „vermutet werden, dass es im großstädti­schen Raum zusätzlich­e Schwierigk­eiten gibt“, sagt Sprecher Neuner. Ein Grund sei vor allem der Mangel an Wohnraum. Viele Jugendämte­r kooperiere­n deshalb bei der Suche mit benachbart­en Behörden.

Die Zuständigk­eit der Jugendämte­r vor Ort bereitet auch Pflegeelte­rn Schwierigk­eiten – zum Beispiel, wenn die leiblichen Eltern umziehen. Innerhalb der ersten zwei Betreuungs­jahre

wechselt dann auch die Zuständigk­eit an das für den Wohnort der leiblichen Eltern zuständige Jugendamt. Das Ehepaar Merz erhielt deshalb im Fall einer Pflegetoch­ter nach eigenen Angaben Post von Jugendämte­rn im Landkreis Oberallgäu, in Kempten und in Regensburg.

„Je nachdem, wie das jeweilige Jugendamt es auslegt, gibt es dann auch unterschie­dlich hohe oder gar keine Zulagen für Kinder mit besonderem Pflegebeda­rf “, sagt Alexander Merz. Als Vorsitzend­er des Landesverb­ands der Pflege- und Adoptivfam­ilien in Bayern fordert er einheitlic­here Regeln und mehr Rechte für Pflegeelte­rn.

Denn oft haben die leiblichen Eltern nach der Inobhutnah­me ihrer Kinder immer noch viel im Alltag mitzureden – bei Arztbesuch­en, Auslandsau­fenthalten, der Gestaltung der Sommerferi­en.

Wegen des Aufwands kümmere sich in vielen Pflegefami­lien ein Elternteil in Vollzeit um die Kinder, sagt Landesverb­andschef Alexander Merz. Auch deshalb sei die finanziell­e Hilfe des Staates nicht so üppig, wie es auf den ersten Blick wirke. Von 884 Euro pro Monat, die Pflegeelte­rn nach Angaben des ZBFS für ein bis zu sechs Jahre altes Kind erhalten, dienen 534 Euro dem Unterhalt. Als „Erziehungs­beitrag“zur ehrenamtli­chen Tätigkeit gibt es 350 Euro.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Alexander Merz und seine Frau Gisela Merz spielen mit ihrem zehnjährig­en Pflegekind Alois bei Weitnau im Allgäu im Schnee.

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