Schulschließung bringt Eltern und Schüler an Grenzen
Wenn Kinder und Jugendliche den ganzen Tag zu Hause sind, bedeutet das mehr Stress für alle
- Die Schulen bleiben im Januar zu, die Faschingsferien sind abgesagt. Schüler und Eltern haben Angst vor dem, was kommt. Weil sie wissen, wie es im vergangenen Jahr war.
Maria S. aus Lindau und ihr 15-jähriger Sohn haben die Weihnachtsferien damit verbracht, den verpassten Stoff aus dem letzten Schuljahr aufzuholen. Wenn die Schule wieder losgeht, bedeutet das vor allem eines: Stress. Denn der Junge sei weniger selbstständig, als es manch andere in diesem Alter sind. Er hat ADHS, kann sich schlecht konzentrieren – und zu Hause noch schlechter. Weil die Situation für den Sohn unangenehm sein könnte, möchte die Familie ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen.
„Homeschooling ist für meinen Sohn wie Ferien“, sagt Maria S. Dass sie selbst von zu Hause aus arbeiten kann, möge für viele vielleicht erst einmal toll klingen. Die Realität sehe aber anders aus. Bei den Schulaufgaben und dem Wochenplan braucht ihr Sohn die Unterstützung seiner Mutter. In Mathematik, Physik und Französisch schaffe er kaum etwas alleine. Seine Schulaufgaben würde der 15-Jährige über den Tag verteilt erledigen. „Dementsprechend bittet er auch über den Tag verteilt um Hilfe.“
Weil es keinen richtigen Schulstart und auch kein Ende gibt, ist der Tag unstrukturiert. „Teilweise müssen wir ihn motivieren, überhaupt etwas zu tun“, sagt Maria S. Abends bleibe er oft lange wach, schlafe schlecht und komme morgens nur schwer aus dem Bett. „Früher waren die Abende entspannter.“Falls der Schüler eine Aufgabe auslässt, bekomme seine Mutter eine Nachricht von dem Lehrer. „Ich habe in diesem Halbjahr schon mit nahezu allen Lehrern Kontakt gehabt, mich setzt das persönlich etwas unter Druck“, sagt sie. „Das füllt meinen Stresstopf noch extra.“
Gestresst ist auch Nicole Zagst aus Lindau. Sie hat drei Kinder, die in der zweiten, dritten und sechsten Klasse sind. Die Mutter glaubt, dass sie ihren Kindern nicht gerecht wird. Sie seien unmotiviert, weil sie im Stoff nicht hinterherkommen. Und auch, weil ihnen der Ausgleich fehle: „Die Kinder dürfen nicht mit Freunden spielen und vieles andere, was ihnen Spaß macht, gibt es aktuell nicht“, sagt Zagst. „Von mir wird verlangt, dass ich mit allen drei Kindern lerne“, sagt Zagst. Oft verstehe sie den Stoff selbst nicht und versuche dann in der Suchmaschine im Internet
Lösungen zu finden und sie den Kindern zu erklären – das funktioniere aber auch nicht immer. „Wie soll ich den Kindern etwas beibringen, wenn ich es selbst nicht verstehe?“, fragt die Mutter.
Die Schulaufgaben hätten ihre Kinder weitestgehend alleine zu Haus machen müssen, von den Lehrern sei wenig gekommen. Während der Zeit des Distanzunterrichts hätte sie das Material einmal in der Woche an der Schule abgeholt. Dann arbeiteten Senna, Melisa und Levin sie durch und gaben es wieder ab. Das Problem: Der Kontakt zwischen Lehrer und Kinder sei zu wenig. „Der menschliche Bezug fehlt einfach“, sagt die Mutter.
Dass die Faschingsferien abgesagt wurden, davon ist sie wenig begeistert. Sie glaube nicht, dass in der einen Woche Stoff aufgeholt werden kann, der versäumt wurde.
An Motivation fehlt es auch den Kindern von Sabine Wolff. Lilan und Louis sind in der vierten Klasse Grundschule und in der sechsten Klasse Gymnasium. „Die Kinder sehen das Lernen daheim nicht als Schule an“, sagt Sabine Wolff. Lehrerinnen und Lehrer würden sich zwar viel Mühe geben und mit den Kindern auch mal telefonieren. Vieles bleibe aber an den Eltern hängen. „Ich komme an meine Grenzen“, sagt sie. Oft würden die Kinder tagsüber zu ihr kommen und um Hilfe bitten. Sie und ihr Mann arbeiten im Homeoffice. Im letzten Lockdown habe sie sich oft um sechs Uhr früh an den Computer gesetzt, um wenigstens etwas in Ruhe arbeiten zu können, bis die Kinder wach wurden. Wolff habe Konferenzen online, das mache die Internetleitung aber oft nicht mit. Denn die ist in Achberg, wo die Familie wohnt, schlecht. „Wenn vier Personen gleichzeitig ins Internet müssen, klappt das nicht“, sagt Sabine Wolff.
Nadine Bengart, Mutter von drei Kindern, hat dazugelernt. Im Gegensatz zum vergangenen Frühjahr, als ihre Kinder auch zu Hause waren, stellen sich jetzt alle morgens einen Wecker. „Damals waren die Kinder mehr im Ferienmodus“, sagt die Mutter aus Weißensberg. „Warum muss ich mir was anziehen?“, hätten ihre Kinder sie dann gefragt. Mittlerweile gehe sie systematischer vor, plane den Tag anders. „Jetzt weiß man, was kommt und kann sich besser darauf einstellen.“
Sie ist froh, wenn ihre Kinder – in der zweiten und vierten Klasse – Unterricht per Videoschalte haben. „Den Vormittag über sind die Kinder dann schon einmal aufgehoben“, sagt sie. Die Geräte dafür habe sie allerdings selbst kaufen müssen. Mittlerweile hätten die Kinder auch ein Tablet von der Schule bekommen, aber das sei zu spät.
Motivieren könne sie ihre Kinder mit einer Lern-App. Darin würden sie unabhängig von Fächern lernen und die Lehrer könnten das dann einsehen. Das Beste daran sei aber: „Darüber lernen die Kinder spielerisch und für jeden Erfolg bekommen sie Münzen, die sie sammeln“, sagt Bengart. Das sei wie eine Belohnung für die Kinder.
Gustav Schick aus Nonnenhorn ist in der siebten Klasse auf dem Gymnasium. Er würde lieber in die Schule gehen, anstatt zu Hause lernen. Denn er kommt mit dem Wochenplan, den er von seiner Schule bekommt, nicht zurecht. Er könne seinen Lehrern zwar online Fragen stellen, aber „im Gespräch mit den Lehrern könnte ich mich besser motivieren“, sagt er.
Bei seiner Schwester Lotta ist das anders: Die geht auf die Realschule und hat von acht bis 13 Uhr jeden Tag Online-Unterricht und schickt die bearbeiteten Aufgaben ihren Lehrerinnen und Lehrern zu. „Das finde ich übersichtlicher“, sagt Gustav. Man würde vieles dann besser erklärt bekommen. Auch Lotta Schick findet das System gut. Sie macht das so lieber, als in die Schule zu gehen. „Dann spare ich mir auch den Schulweg“, sagt sie. Um in die Schule und wieder zurück zu kommen, brauche sie nämlich insgesamt zwei Stunden jeden Tag.
Manche der Eltern bangen um das Weiterkommen ihrer Kinder in die nächste Klasse. Maria S. weiß noch nicht, ob ihr Sohn überhaupt auf dem Gymnasium bleiben kann. Des öfteren hätten sie und ihr Mann überlegt, ob der 15-Jährige nicht auf die Realschule gehen sollte. Wenn ihr Sohn weiterhin zu Hause lernen muss, sieht sie wenig Hoffnung fürs Gymnasium.
Mehr Online-Unterricht könnte eine Lösung sein, glaubt die Mutter. Dann gäbe es feste Zeiten, an denen die Schüler sich orientieren und auch einen Lehrer oder eine Lehrerin, die sie fragen können. „Mein Mann und ich verstehen den Schulstoff immerhin und können unserem Sohn weiterhelfen“, sagt sie. „Aber es gibt viele andere Kinder, die das nicht haben und mit den Problemen alleingelassen werden.“