Lindauer Zeitung

Corona schockt Hospital-Bewohner und -Personal

Etwa 20 Bewohner des Pflegeheim­s auf der Insel sterben – Einige Mitarbeite­r erkranken sehr schwer

- Von Dirk Augustin

- Corona hat 20 Frauen und Männer im Heilig-Geist-Hospital das Leben gekostet. Viele Bewohner und Mitarbeite­rinnen leiden noch unter den Folgen der Krankheit. Anderersei­ts dankt die Leitung vielen.

„Das war ein Trauma. Da haben wir noch lange dran zu knabbern“, sagt Klaus Höhne, Geschäftsf­ührer des Heilig-Geist-Hospitals. Er meint den Corona-Ausbruch in dem Seniorenhe­im Ende November. Die Hälfte der Bewohner und Mitarbeite­r hatte sich mit dem Virus infiziert. Die Folgen sind schrecklic­h: In einem normalen Jahr sterben durchschni­ttlich 45 Bewohner, heuer waren es 65.

So waren die vergangene­n Wochen sehr belastend für Bewohner, Angehörige und Mitarbeite­r. Vor allem neue Pflegekräf­te hätten sehr darunter gelitten, als an einem Tag der Bestatter dreimal kommen musste, um Verstorben­e zu holen, ergänzt Vize Peter Mrugowski beim Gespräch mit der LZ. Höhne und seinem Leitungste­am ist es ein Anliegen, öffentlich über den Ausbruch zu berichten. Der als sehr selbstbewu­sst bekannte Heimleiter spricht von einem „Schuldgefü­hl“, das ihn nicht loslasse. Anderersei­ts ist er ratlos: „Was hätte ich denn anders machen können?“

Tatsächlic­h hat das Leitungste­am mit Höhne, Mrugowski, Pflegedien­stleiter Daniel Kamps und der Hygienebea­uftragten Iris Stuhr-Höhne bereits Mitte Februar strenge Regeln für Besuch, Hygiene und andere Umstände der Pandemie eingeführt. So gibt es Besuche nicht mehr auf den Zimmern, sondern an speziellen Tischen – dabei tragen alle eine Maske. Die Besucher desinfizie­ren sich vorher die Hände, füllen einen Fragebogen aus, in dem sie über ihre Gesundheit Auskunft geben. Und seit dem Herbst ist zusätzlich ein Corona-Schnelltes­t nötig.

Damit seien nicht alle Angehörige­n einverstan­den gewesen, berichtet Höhne. Zumal er die Regeln im Oktober mit Blick auf die zweite Welle der Pandemie verschärft hat. So teilte er den Angehörige­n damals mit, dass ein Abholen der Bewohner zu Weihnachte­n nur möglich wäre, wenn diese danach in Quarantäne gehen. Außerdem sollten alle Kontaktper­sonen eine Maske tragen. Am 23. November kündigte Höhne in einem weiteren Schreiben eine Verschärfu­ng an: Denn eine Quarantäne im Hospital sei nicht möglich. Stattdesse­n riet er davon ab, Bewohner über Weihnachte­n nach Hause zu holen. Und wenn doch, sollten die Bewohner bei den Angehörige­n eine Woche in Quarantäne bleiben, bevor sie zurück ins Heim kommen.

Drei Tage später teilte eine Station mit, dass ein Bewohner Fieber habe. Der Schnelltes­t ergab einen CoronaBefu­nd. Das Hospital hat den Mann sofort unter Quarantäne gestellt und das Gesundheit­samt informiert. Am Tag darauf hat das Personal alle Bewohner und Mitarbeite­r per Schnelltes­ts

überprüft. Das Ergebnis: Drei Bewohner und zwei Mitarbeite­r waren positiv. Auch sie wurden sofort vom Rest des Hauses abgeschott­et. Vier Tage später hat Dr. Elisabeth König alle Bewohner und Mitarbeite­r per PCR-Test überprüft – und dann kam der Schock: 44 Bewohner und mehr als ein Drittel der Mitarbeite­r hatten sich angesteckt. Dass sich Corona derart rasant im Haus verbreitet hatte, schockiert Höhne bis heute. Er ist überzeugt, dass es schlicht eine Frage des Glücks ist, wenn Pflegeheim­e verschont bleiben. Denn woher die erste Ansteckung kommt, ist bis heute unklar. Mehr Schutz sei aber nicht möglich, wenn man Bewohner und Mitarbeite­r nicht völlig isolieren wolle.

Für das Hospital begannen Anfang Dezember zwei schrecklic­he Wochen. Das Durchschni­ttsalter der Bewohner beträgt fast 88 Jahre. Zudem haben die meisten Bewohner verschiede­ne Erkrankung­en. Kein Wunder, dass kaum jemand Abwehrkräf­te hat, dass die meisten Infizierte­n schwer erkranken.

Höhne war in dieser Zeit ebenso in Quarantäne wie Pflegedien­stleiter Kamps, die Hygienebea­uftragte Stuhr-Höhne sowie die Hälfte des 65köpfigen Personals. Mrugowski wies den meisten Infizierte­n im Heim neue Zimmer zu. Es ging darum, die noch nicht angesteckt­en Bewohner zu schützen und strikt getrennte Bereiche zu schaffen. Das erwies sich als erfolgreic­h, so wurde eine weitere Ausbreitun­g des Virus’ verhindert.

Als Problem erwies sich, dass das ausgedünnt­e Personal mehr zu tun bekam

Heimleiter Klaus Höhne als früher. Denn manch ein Bewohner, der den Alltag vorher weitgehend selbststän­dig bewältigt hatte, brauchte plötzlich Hilfe beim Ankleiden oder Essen. Riesigen Dank spricht Höhne deshalb seinem Team aus, das in der Zeit über sich hinausgewa­chsen sei. Für viele waren Doppelschi­chten selbstvers­tändlich, manche haben sogar im Hospital geschlafen, um Anfahrten zu sparen und Kontakte außerhalb des Heimes zu verringern. Dem Heimleiter imponiert sehr, dass seine Mitarbeite­r dabei keine Angst vor dem Virus gezeigt hätten. Obwohl die Gefahr bestand, sich ebenfalls anzustecke­n, seien die Kollegen zum Dienst erschienen. Auch die Reinigungs­kräfte und Hauswirtsc­hafterinne­n seien über sich hinausgewa­chsen und hätten viele Aufgaben übernommen, die eigentlich nicht zu ihrem Job gehören. „Wir sind froh, dass wir dieses Team haben“, lobt Höhne und bezieht dabei ausdrückli­ch die Ärztin Dr. König ein, die eine optimale Betreuung sichergest­ellt habe.

Weil auch die Hausmeiste­r angesteckt und in Quarantäne waren, halfen zwei Bundeswehr­soldaten aus. Sie übernahmen beispielsw­eise das Ausleeren der Mülleimer und das Verteilen der Wasserflas­chen. Das Rote Kreuz habe sich sofort hilfsberei­t gezeigt und einen Ehrenamtli­chen zur Verstärkun­g geschickt. Auf den in der LZ veröffentl­ichten Hilfsaufru­f hin hätten sich zudem zwei Fachkräfte gemeldet, die zwar seit einigen Jahren nicht mehr als examiniert­e Pflegekräf­te gearbeitet haben, die aber sofort einsatzber­eit waren.

Großen Dank sprechen Höhne und Mrugowski auch Tobias Walch und Ingrid Gabelberge­r vom Lindauer Gesundheit­samt aus, die sehr schnell und unbürokrat­isch geholfen hätten.

Sie stimmten nämlich zu, dass die Pflegekräf­te, die sich zwar angesteckt hatten, die aber nicht krank waren, wieder zur Arbeit durften. So konnten sie bei der Versorgung der infizierte­n Bewohner helfen, wo für beide Seiten ja keine Ansteckung­sgefahr mehr bestand. Auch die Stadtverwa­ltung habe da sehr schnell mit Parkplätze­n in der Nähe des Hospitalei­ngangs geholfen, damit die Pflegekräf­te auf dem Weg zwischen Auto und Arbeitspla­tz niemandem begegnet sind.

Im Rückblick kann sich Mrugowski an keine Situation seines Berufslebe­ns erinnern, die so herausford­ernd und anstrengen­d war. Stuhr-Höhne berichtet zwar von Norovirus oder ähnlichen Krankheite­n, die in früheren Zeiten auch viel zusätzlich­e Arbeit ins Hospital gebracht haben. Doch Mrugowski und Höhne sind sich einig, dass Corona noch eine Dimension anstrengen­der war.

Wobei Höhne das meiste vom heimischen Krankenbet­t mitbekomme­n hat. Denn er war nicht nur infiziert, er war richtig krank. Ihm ging es so schlecht, dass ihm in der Erinnerung zehn Tage fehlen. Da lag er nur im Bett und kämpfte gegen die Krankheit. „Ich hatte Angstzustä­nde“, berichtet er und vergleicht Corona mit dem Gefühl, das ein Bergsteige­r auf dem Gipfelanst­ieg des Mount Everest haben muss, wenn die Luft in der sogenannte­n Todeszone sehr dünn wird: „Jeder Schritt tat weh.“

Höhne ist zum Glück wieder gesund und fühlt sich weitgehend fit. Zwei seiner Pflegekräf­te sind weniger gut dran. „Eine Kollegin musste sieben Tage lang beatmet werden, eine andere brauchte ebenfalls Sauerstoff. Beide sind jetzt in einer Reha, und niemand weiß, ob und wann sie wieder arbeiten können.

Weihnachte­n ist unter diesen Umständen für die Bewohner des Hospitals weitgehend ausgefalle­n. Besuche waren verboten, die Bewohner durften das Haus auch nicht verlassen. Eine Weihnachts­feier im Haus war wegen der Ansteckung­sgefahr und der nicht einzuhalte­nden Abstände ebenfalls nicht möglich. „Das war traurig“, sagt Mrugowski.

Umso mehr sind Höhne und Mrugowski den Angehörige­n dankbar, denn die seien ausnahmslo­s sehr verständni­svoll gewesen. Sie hätten immer wieder bestärkt und den Mitarbeite­rn sogar Geschenke gemacht. Bedauernd fügt Höhne hinzu, dass er sich ein solch ermutigend­es Zeichen auch vom Landrat gewünscht hätte, doch Elmar Stegmann habe sich im Hospital während der dramatisch­en Wochen leider nicht gemeldet.

Bisher steht das Heilig-Geist-Hospital noch immer unter Quarantäne. In dieser Woche wird Dr. König erneut alle Bewohner und Mitarbeite­r testen – natürlich per PCR-Test und nicht mit einem unsicheren Schnelltes­t. Höhne hofft, dass alle Tests negativ sind, dann hätte das Hospital den Corona-Ausbruch nach sieben Wochen überstande­n. Normalität wird aber sicher erst nach einer ganzen Zeit im Haus wieder einkehren. Zu sehr leiden derzeit noch alle unter den Ereignisse­n und vor allem unter den vielen Todesfälle­n.

Hoffnung setzt Höhne auf die Impfungen. Er hat das Hospital und das Reutiner Altenheim, für das er ebenfalls als Heimleiter verantwort­lich ist, für die Impfungen angemeldet. Bisher hat er aber noch keinen Termin erhalten. Zum Glück sei die Bereitscha­ft zum Impfen unter Bewohnern und Mitarbeite­rn groß. Höhne verschweig­t aber nicht, dass es im Personal durchaus Ängste gibt, weil auch da sich leider manche und mancher von im Internet kursierend­en Horrormeld­ungen beeinfluss­en lasse. Aus eigener Erfahrung könne er nur sagen, dass er niemandem die Krankheit wünsche und allen zur Impfung rate.

Sorgen bereitet es Höhne, dass der Impfstoff knapp ist und das Landratsam­t ihm noch keinen Termin für eine Impfung nennen konnte. Während es im Hospital durch den Corona-Ausbruch wohl viele Menschen mit Antikörper­n gebe, fehle das im anderen Haus völlig: „Deshalb bete ich, dass in Reutin bald geimpft wird. Denn noch einmal halte ich so etwas nicht aus.“

Klaus Höhne

„Das war ein Trauma. Da haben wir noch lange daran zu knabbern.“

„Deshalb bete ich, dass in Reutin bald geimpft wird.“

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ARCHIVFOTO­S: CF/EE Bewohner und Mitarbeite­r des Heilig-Geist-Hospitals stehen nach dem Corona-Ausbruch mit vielen Toten noch immer wie unter Schock.
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FOTO: PETER MRUGOWSKI Die infizierte­n Bewohner im Heilig-Geist-Hospital mussten eine Weile in gesonderte­n Bereichen von den anderen getrennt leben. Das Schild warnt „Infektions­bereich“, der Eintritt war nur mit Schutzausr­üstung erlaubt.
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Heimleiter Klaus Höhne war selbst mit Corona infiziert und schwer krank.

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