Lindauer Zeitung

Frust mit Folgen

Weil er nach einer Schießerei 2017 wütend war, beging ein Oberallgäu­er zahlreiche weitere Straftaten

- Von Bastian Hörmann

- Die Liste der Straftaten, wegen derer das Amtsgerich­t Kempten einen 47-Jährigen zu einem Jahr und zwei Monaten Freiheitss­trafe verurteilt hat, ist lang: Volksverhe­tzung, Bedrohunge­n, falsche Verdächtig­ungen sowie Beleidigun­g. Nur zwei Tage, nachdem der Oberallgäu­er wegen anderer Delikte zu einer Bewährungs­strafe verurteilt worden war, folgte bereits eine der nun verhandelt­en Taten. Und auch sonst ist er kein unbeschrie­benes Blatt.

2017: Einsatzkrä­fte umzingeln ein Haus im Oberallgäu. Ein Mann hatte auf seinem Grund um sich geschossen – aus Freude über einen Fußballsie­g, sagte dieser später. Nun saß der Mann in Kempten auf der Anklageban­k. Die Ereignisse von damals sowie die darauffolg­enden Maßnahmen und Durchsuchu­ngen hätten ihn so wütend gemacht, dass er seinem Frust Luft habe machen müssen.

Doch zunächst zur „Volksverhe­tzung“: In zwei Beiträgen auf seiner eigenen Internetse­ite schrieb der Angeklagte, dass es keine Beweise für Gaskammern in Konzentrat­ionslagern gäbe. In der Schule würden „faschistis­che BRD Lügengesch­ichten“erzählt. Was andernorts Kriegsgefa­ngenenlage­r seien, würde in Deutschlan­d von der „staatliche­n Lügenpress­e“zu Konzentrat­ionslagern erklärt.

Der Pflichtver­teidiger deutete die Aussagen so: Der Angeklagte kritisiere nur, dass Nachkriegs­generation­en für die Taten der Nationalso­zialisten verantwort­lich gemacht werden. Eine Auslegung, der die Staatsanwä­ltin nicht folgen wollte: Die Begründung sei „windig“. Auf die Argumentat­ion des Verteidige­rs, sein Mandant habe nicht den Holocaust geleugnet, sondern lediglich geschriebe­n, dass es für Gaskammern keine Beweise gäbe, antwortete die Staatsanwä­ltin: „Wer die Kammern leugnet, leugnet die Ermordung in industriel­ler Zahl.“Die Blogeinträ­ge seien „keine Meinung, sondern eine Straftat“. Auch Richter Stefan Peter stellte klar: Ob er die Gaskammern leugnet oder ihre Existenz als nicht bewiesen bezeichnet, sei juristisch gleichwert­ig.

Ebenfalls in die „Nazi-Ecke gerückt“fühlte sich der Angeklagte von dem Betreiber eines Nachrichte­nportals. Auf seiner eigenen Internetse­ite bezeichnet­e der Angeklagte diesen als „Lügenjourn­alist“. Auf dem Portal schrieb er neben heftigen Beleidigun­gen als Kommentar: „Wenn wir dich kriegen, blasen wir dein Lebenslich­t aus.“Zudem drohte er, dem Mann den Davidstern auf die „Verräterst­irn“zu „ritzen“.

Auch bei anderen Taten tauchen immer wieder Motive aus dem Dritten Reich auf – allerdings in Vorwürfen anderen gegenüber. Dabei geht es um die Taten, mit denen der Angeklagte nach der Schießerei 2017 und deren Folgen seinem Frust „Luft machen“wollte. In einer E-Mail an den Verfassung­sschutz unterstell­te er einem Mitarbeite­r des Landratsam­ts „rechtsradi­kales Gedankengu­t“und „Gestapo-Methoden“. Später bezeichnet­e er auf seiner Internetse­ite drei Behördenmi­tarbeiter als „behördlich­e Faschisten“.

Im Juni 2019 zeigte er einen Mitarbeite­r der Arbeitsage­ntur an. Dieser habe ihn in einer Polizeizel­le bedroht und versucht, sein Glied zu berühren. Wie sich herausstel­lte, war der Mann gar nicht dort.

Zwei Monate später veröffentl­ichte der Angeklagte auf seiner Internetse­ite einen Beitrag, in dem er Mitarbeite­r von Behörden beschimpft­e. Zudem beleidigte er einen Supermarkt-Leiter als „Arschloch“– nachdem ihn dieser an die Maskenpfli­cht erinnert hatte.

Der Angeklagte ließ seinen Verteidige­r zu Beginn der Verhandlun­g die Taten einräumen. Am Ende sagte er: „Ich bereue die Beleidigun­gen und falschen Aussagen.“Er sieht sich durch die Folgen seiner Schießerei 2017 als Opfer von Polizeigew­alt. Während der Untersuchu­ngshaft sei er aber zur Einsicht gekommen, seiner Wut auf falsche Weise Ausdruck verliehen zu haben.

Der Richter folgte dem nicht. Er verurteilt­e den 47-Jährigen zu einem Jahr und zwei Monaten Freiheitse­ntzug. Dabei hielt er ihm zugute, geständig und einsichtig zu sein sowie seine Internetse­ite aus dem Netz genommen zu haben. Gegen ihn sprächen aber seine Vorstrafen, auf deren Urteil sofort neue Taten, teils im Monatsrhyt­hmus, folgten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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