Circus Berlin steht bald ohne Bleibe da
Deutscher Zirkus hängt seit einem Jahr in Vorarlberg fest - Lage spitzt sich zu
- Der deutsche Circus Berlin hängt immer noch in Bregenz fest – seit mehr als einem Jahr. Jetzt spitzt sich die Situation für die Zirkusfamilie Lauenburger zu: In wenigen Tagen muss sie das alte Fabrikgelände räumen. Bei der Suche nach einem neuen Platz setzt sie auf die Hilfe der Stadt Bregenz und des Landes Vorarlberg. Doch die schieben sich gegenseitig die Zuständigkeiten zu und verstehen nicht, warum der Circus Berlin nicht nach Deutschland zurückkehrt.
Früher war Familie Lauenburger auf der ganzen Welt zu Hause. Jetzt drängen sich hinter einem Zaun im Bregenzer Stadtteil Neu Amerika, neben Sportplatz und Hundeschule, die vier Wohnwagen, schwere Zugmaschinen und Anhänger samt Zirkusinventar. In den Hallen einer ehemaligen Kartonfabrik schlafen die Kamele, Pferde und Ponys nachts in ihren Boxen, hinter dem Stall reicht es für etwas Auslauf. Doch hier können sie nicht bleiben: Der kleine Zirkus muss umziehen, aber noch weiß keiner wohin.
„So ein Weihnachten habe ich noch nie mitgemacht“, sagt Zirkusdirektor Adolf Lauenburger. Nachdem feststand, dass Mitte Januar endgültig die Bagger anrollen, um die alte Fabrik abzureißen, brach kurz darauf auch der dünne Strohhalm, an den er sich bis jetzt geklammert hatte. Ein Unternehmer in Hard zog sein Angebot zurück, den Zirkus auf seinem Gelände unterzubringen. Obwohl er als „Familienoberhaupt“eigentlich Zuversicht verbreiten sollte, kämpft der 55-jährige Zirkusdirektor seither mit „Angstgefühlen“. „Ich kann kaum schlafen, es geht um unsere Existenz, um unsere Zukunft“, gibt Lauenburger zu und denkt dabei an seine Frau, die drei erwachsenen Kinder und seine 15 Tiere.
Eigentlich ist der Circus Berlin ein „Reisezirkus“, wie Adolf Lauenburger betont. Seit 14 Jahren reist er bevorzugt durch Österreich. In seinen Glanzzeiten gehörten laut Lauenburger 30 Frauen und Männer zu dem Zirkus, der auch namhafte Artisten aus Italien und Spanien sowie
Clowns aus Frankreich verpflichtete. Das scheint lange vorbei.
2019 endete die geplante Tour durch Vorarlberg und Tirol abrupt, als im Juli bei einem Pferd auf einem Hof in Lustenau eine gefährliche Tierseuche festgestellt worden war und der Amtstierarzt eine Sperrzone rund um diesen Hof verhängte. Davon waren auch die Zirkusleute betroffen: Durch das Ausreiseverbot von drei Monaten platzten Engagements. Auch eine Geschäftsbeziehung zu dem ehemaligen Schweizer Radprofi, dem sie ihren Zirkus vermieteten, endete mit einer finanziellen Bruchlandung. Obwohl die Lauenburgers all ihre Rücklagen und Futterspenden brauchten, um über den Winter zu kommen, blickten sie optimistisch ins Frühjahr. Am 12. März 2020 sollte es endlich wieder mit der festlichen Premiere in Bregenz losgehen, danach wäre es über Tirol durch Oberösterreich gegangen. Doch dann kam das Coronavirus – und die Manege blieb geschlossen.
Nachdem sich die Infektionslage im Sommer und Herbst wieder etwas entspannt hatte, unterschrieb Lauenburger einen Vertrag für den Weihnachtszirkus in Paderborn. Doch auch der fiel ins Wasser.
Die letzte Vorstellung liegt mehr als ein Jahr zurück. Ein Jahr, in dem der Zirkus kein Geld verdient, aber weiterhin fixe Ausgaben hat. Allein für Futter brauchen sie täglich rund 100 Euro, rechnet Lauenburger vor. Die 9000 Euro Soforthilfe, die der Zirkus vom deutschen Staat bekommen hat, seien jedenfalls gleich weg gewesen, nachdem er Futter, Versicherungen, Leasingraten und Schulden bezahlt habe. Die drei erwachsenen Kinder leben inzwischen von Hartz IV, Adolf und seine Frau Attelina Lauenburger von dem, was in der kleinen Artisten-Spendendose landet, die sie aufgestellt haben. „Wir schämen uns, dass wir uns so durchkämpfen müssen“, sagt Lauenburger und dankt den österreichischen Bürgern und Landwirten, „die helfen, wo sie können“. Der Zirkusdirektor würde sich wohler fühlen, wenn er und seine Kinder auch arbeiten könnten, beispielsweise als Lastwagen- oder Kurierfahrer. Das sei bislang aber daran gescheitert, so versichert er, dass sie nur in Teilzeit arbeiten könnten. Den Rest des Tages müssten die Tiere versorgt werden und die Artisten trainieren. Damit sie fit sind, wenn es irgendwann wieder heißt: Manege frei.
Doch jetzt droht ihren Kamelen und Pferden die Obdachlosigkeit. Bei der Suche nach einem neuen Platz hätten sich die Lauenburgers mehr Unterstützung von Stadt und Land erhofft. Doch die schieben sich gegenseitig die Zuständigkeiten zu. „Um uns kümmert sich niemand“, ist der Eindruck von Lauenburger, der sich einen Stellplatz wünscht, auf dem der Zirkus bis zum Frühjahr bleiben darf. Bis Corona hoffentlich wieder abflacht, bis Vorstellungen wieder möglich sind. Doch er bekomme noch nicht mal Gelegenheit, sein Anliegen persönlich vorzutragen. Nur zum Veterinär des Landes habe er persönlichen Kontakt. „Es gab verschiedene Kontrollen“, bestätigt der Veterinär Norbert Greber, der an der Tierhaltung des Zirkus’ nichts auszusetzen hatte.
Da der Zirkus in Klein Amerika auf Privatgrund stehe, sei „rein rechtlich“das Land Vorarlberg zuständig und nicht die Stadt Bregenz, heißt es aus dem Rathaus Bregenz. Man wolle aber gemeinsam mit dem Land nach einer Lösung suchen. Für einen Zirkus, der nicht spielen darf, gebe es keine klar definierten Zuständigkeiten, kontert das Land. Was Stadt und Land wundert: Dass der deutsche Zirkus keine Anstalten macht, nach Deutschland zurückzukehren. Das dürften nämlich sowohl Mensch und Tier – auch in Corona-Zeiten, so die Behördenvertreter.
„Ich sehe den Sinn darin nicht“, sagt Adolf Lauenburger. Schließlich toure er schon seit 15 Jahren fast ausschließlich durch Österreich. Er bezweifelt, dass er in Corona-Zeiten in Deutschland einen Platz bekommen würde. „Die wollen einen nicht haben“, mutmaßt er. Fest steht: Wenn er im Ländle keinen neuen Platz bekommt, weiß er nicht, wie es weitergehen soll. Der Zirkusdirektor, der schon einige Krisen bewältigt hat, wirkt verzweifelt. Er redet schnell und redet sich dabei immer mehr in Rage. Adolf Lauenburger fühlt sich als Opfer. Er gibt Corona die Schuld an seiner Misere, ärgert sich aber auch über den geringen Stellenwert, den der Zirkus inzwischen in der Gesellschaft habe. „Ich bin das nicht gewohnt, dass man uns so wenig Würde gibt.“
Ohne die Manege kann der 55-Jährige nicht leben. Wenn die Musik ertönt, dann muss er sein Kostüm anziehen. „Ich bin so ein verrückter Mensch.“Bis März, April will er noch abwarten. Wenn sich dann nicht eine Perspektive abzeichnet, wird er das erste Zirkusinventar verkaufen. Und ganz zuletzt, wenn nichts mehr da ist, dann auch die Tiere. „Da wäre ich aber der unglücklichste Mensch auf der Welt.“