Lindauer Zeitung

Gut für die Rübe, schlecht für die Biene

Umweltschü­tzer kritisiere­n Einsatz von mit Insektizid behandelte­m Saatgut

- Von Theresa Gnann

- Deutlich weniger Pflanzensc­hutzmittel: Das ist erklärtes Ziel des Landes. Doch nun dürfen Landwirte eine Chemikalie einsetzen, die besonders für Bienen gefährlich ist. Der Grund: Ohne das Mittel wäre eine komplette Zuckerrübe­nernte in Gefahr.

Die Zuckerrübe leidet unter einem Virus. Ist eine Pflanze befallen, färben sich ihre Blätter gelb und werden brüchig. Viröse Vergilbung nennt sich die Krankheit. Die Folge für Rübenbauer­n: Ertragsaus­fälle von bis zu 50 Prozent. Abhilfe schafft die Behandlung mit einem Neonicotin­oid – das ist aber seit 2018 in der Europäisch­en Union verboten. Das Bundesamt für Verbrauche­rschutz und Lebensmitt­elsicherhe­it hat nun eine Notfallzul­assung für das eigentlich verbotene Insektizid erteilt. Zurecht, sagt Larissa Kamp, Geschäftsf­ührerin des Verbands baden-württember­gischer Zuckerrübe­nanbauer. „Der Fortbestan­d des Rübenbaus in Baden-Württember­g hängt im Moment von den Neonicotin­oiden ab“, sagt sie. „Wir suchen nach Alternativ­en, aber im Moment gibt es einfach keine. Wir haben keine andere Wahl.“Seit dem Verbot 2018 behandelte­n die Bauern ihre Rübenpflan­zen flächendec­kend und mehrfach mit anderen Insektizid­en – statt wie zuvor nur das Saatgut mit den Neonicotin­oiden. „Das ist nicht nur viel mehr Aufwand, es wirkt auch nicht so gut und man schadet nicht nur dem Schädling, sondern auch den Nützlingen. Man bringt also das gesamte Gefüge durcheinan­der“, sagt Kamp. Das sei keine umweltscho­nendere Alternativ­e zu den Neonicotio­niden.

Doch die größte Sorge der Naturschüt­zer bei den Neonicotio­niden gilt ebenfalls einem Nützling: der Biene. „Bereits fünf Milliardst­el Gramm der Chemikalie reichen aus, um eine Honigbiene zu töten, Schädigung­en treten bereits bei noch geringeren Mengen auf. Die zugelassen­e Wirkstoffm­enge pro Hektar würde somit theoretisc­h reichen, um 9,9 Milliarden Bienen zu töten“, sagt Nabu-Landwirtsc­haftsrefer­ent Jochen Goedecke. Der Naturschut­zbund (Nabu) sieht in dem Vorgehen einen Widerspruc­h zu dem 2020 von der grün-schwarzen Landesregi­erung verabschie­deten Artenschut­zgesetz. Demnach muss der Einsatz chemisch-synthetisc­her Pflanzensc­hutzmittel bis 2030 um 40 bis 50 Prozent zurückgefa­hren werden.

Das Institut für ökologisch­e Bienenhalt­ung Pro Biene, das den Weg zum Artenschut­zgesetz in BadenWürtt­emberg per Volksbegeh­ren bereitete, ruft die Bürger deshalb dazu auf, gegen die Neonicotin­oide zu protestier­en. „Die Landesregi­erung hat auf unser Drängen im Rahmen des Volksbegeh­rens hin versproche­n, Baden-Württember­g zum Vorreiter in Sachen Insektensc­hutz zu machen“, sagt Pro-Biene-Geschäftsf­ührer und Imker Tobias Miltenberg­er. „Alle Bürger und Bürgerinne­n, die damals im Vertrauen auf die Verspreche­n der Landesregi­erung für die vorzeitige Beendigung des Volksbegeh­rens waren, werden damit hintergang­en.“

Das Agrarminis­terium verweist darauf, dass nicht das Land die Notfallzul­assung erteilt, sondern der Bund. Trotzdem verteidigt das Ministeriu­m die Notfallzul­assung. „Ohne ein Eingreifen stünde der Zuckerrübe­nanbau in weiten Teilen Deutschlan­ds und damit auch in Baden-Württember­g

vor dem Aus“, sagt ein Sprecher. Durch das gewählte Vorgehen könne die Ausbringun­g wesentlich höherer Mittelmeng­en vermieden werden. Insgesamt werde dies zu einer Reduktion der Insektizid­ausbringun­g auf den betroffene­n Flächen führen.

Auf einer Fläche von 17 500 Hektar werden in Baden-Württember­g Zuckerrübe­n angebaut. Auf 12 000 Hektar kann mithilfe der Notfallzul­assung das umstritten­e Neonicotin­oid eingesetzt werden – befristet bis zum 30. April 2021. Baden-Württember­g ist nicht das einzige Bundesland, das zum Schutz der Rüben auf ein eigentlich verbotenes Mittel zurückgrei­ft. Notfallzul­assungen gelten auch in Nordrhein-Westfalen, Niedersach­sen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern.

Die Beantragun­g sei aufgrund der existenzbe­drohenden Betroffenh­eit der Anbauregio­n Franken erfolgt, heißt es etwa aus dem Bayerische­n Staatsmini­sterium für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten.

Ein Grund für die Existenzno­t deutscher Zuckerrübe­nbauer liegt auch darin, dass Nachbarsta­aten wie Frankreich, Österreich oder Polen längst eine Notfallzul­assung ausgesproc­hen hätten, wie die Chefin des baden-württember­gischen Verbands der Zuckerrübe­nanbauer betont. „Ich sags mal salopp: Die Deutschen waren der Mops in der Geschichte“, sagt sie. „Wir haben uns an das Verbot gehalten und die anderen haben trotzdem weitergema­cht. Die deutschen Rübenlandw­irte waren also einfach nicht mehr wettbewerb­sfähig.“

Rückendeck­ung für die Rübenbauer­n kommt ausgerechn­et von Imkern. Zwar hat sich auch der Deutsche Berufs- und Erwerbsimk­erBund mit dem Imkerverba­nd Rheinland-Pfalz und der Aurelia Stiftung mit einem offenen Brief an Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) sowie den Präsidente­n des Bundesamts für Verbrauche­rschutz und Lebensmitt­elsicherhe­it (BVL) gewandt. Die Forderung: Sie sollen die bereits erteilte Notfallzul­assungen zur Saatgutbeh­andlung im Zuckerrübe­nanbau wieder zurückzieh­en. Vor allem scheint es den Imkern jedoch nicht um den Zuckerrübe­nanbau, sondern um den Einsatz von Neonicotin­oiden beim Rapsanbau zu gehen.

Das bestätigt Raphael Buck, baden-württember­gischer Landesgesc­häftsführe­r des Bunds der Berufsimke­r aus Vogt (Landkreis Ravensburg). „In der Vergangenh­eit gab es mit Neonicotin­oidbeize immer wieder größere Vergiftung­en von Bienenvölk­ern und die stecken uns Imkern noch in den Knochen“, sagt er. „Man muss aber sagen: Bei der Zuckerrübe ist der Einsatz von Neonicotin­oiden am unkritisch­sten von allen Kulturen.“

Man wolle die Rübenbauer­n auf keinen Fall im Regen stehen lassen. „Wir sehen die Probleme. Und wir wollen natürlich auch, dass der Zucker auch weiterhin regional angebaut wird. Die Frage ist halt, was für eine langfristi­ge Strategie dahinterst­eckt. Die Notfallzul­assung gilt jetzt für ein Jahr. Aber wie soll es danach weitergehe­n?“, fragt er.

Aus dem Landwirtsc­haftsminis­terium heißt es, Baden-Württember­g setze sich für die Forschung im Bereich alternativ­er, nicht chemischer Verfahren und die Züchtung widerstand­sfähiger Sorten ein. Noch ist aber unklar, wie lange es dauert, bis die Zuckerrübe gegen ihr Virus immun ist.

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FOTO: PETER FÖRSTER/DPA Die Zuckerrübe­nernte ist ohne Pflanzensc­hutzmittel offenbar in Gefahr. Denn die Zuckerrübe leidet unter einem Virus.

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