Neuer Ärger in der Pipeline
Nach den angedrohten Sanktionen der USA kocht die Debatte um Nord Stream 2 wieder hoch
- Fossiles Erdgas ist eine Übergangslösung, um die Energiewende zu schaffen und schließlich die Klimaneutralität zu erreichen. So lautet ein Argument für den Bau der umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland. Manuela Schwesig, SPD-Landeschefin Mecklenburg-Vorpommerns, hat es kürzlich wieder bemüht: Weil Deutschland aus Atomenergie und Kohlekraft aussteige, „brauchen wir neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien auch Gas als Übergangstechnologie“. Aber stimmt das Argument für die Pipeline überhaupt?
Ob der augenblicklich unterbrochene Bau der beiden Rohrleitungen bald weitergeht, ist unklar. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) hat am vergangenen Freitag den sofortigen Weiterbau genehmigt. Eventuell verlegt deshalb die vom russischen Konzern Gazprom kontrollierte Betreibergesellschaft schnell zusätzliche Rohre und testet damit die Handlungsfähigkeit der neuen US-Regierung. Oder sie wartet ab, um Verhandlungen über die angedrohten Sanktionen der USA zu ermöglichen.
Unterdessen hat der Industriedienstleister Bilfinger SE sich einem Bericht der „Bild“-Zeitung zufolge aus dem Pipeline-Projekt Nord Stream 2 verabschiedet. Dies geht nach Angaben der Zeitung aus ihr vorliegenden Briefen des Mannheimer Unternehmens hervor. Mit Hinweis auf die Bestimmungen des „Schutzes des europäischen Energiesicherheitsgesetzes“seien sämtliche Kooperationen und Verträge mit Nord Stream 2 gekündigt worden.
Ende 2017 hatte Bilfinger den Zuschlag für Leit- und Sicherheitssysteme zum Betrieb der Pipeline zwischen Russland und Deutschland erhalten. Das Auftragsvolumen lag bei mehr als 15 Millionen Euro. Außerdem war Bilfinger verantwortlich für den Bau einer Wärmezentrale zur Vorwärmung von Erdgas am Anlandepunkt in Lubmin.
Am Dienstag bestrafte die scheidende US-Regierung erstmals ein Unternehmen wegen der Beteiligung am Bau von Nord Stream 2. Betroffen sei die russische Firma KVTRUS, teilte das US-Außenministerium am Dienstag mit. Deren Verlegeschiff „Fortuna“werde als „blockiertes Eigentum“eingestuft. In der Mitteilung hieß es weiter, die USA würden weitere Strafmaßnahmen in naher Zukunft erwägen.
Und so kocht die Debatte über den grundsätzlichen Sinn oder Unsinn der Pipeline nun erneut hoch. Die Europäische Union und Deutschland könnten ihren Bedarf an Erdgas jederzeit decken, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in
Berlin im Auftrag des Naturschutzbundes. Die zusätzliche Pipeline brauche man dafür nicht, schreiben die Energie-Expertinnen Franziska Holz und Claudia Kemfert. Schon jetzt seien genug unterschiedliche Quellen vorhanden, etwa die Lieferungen aus den Niederlanden, Großbritannien, Norwegen, Nordafrika, die drei bestehenden Erdgasleitungen von Russland nach Zentraleuropa und potenziell das Flüssiggas
Mit einer landeseigenen Umweltstiftung will Mecklenburg-Vorpommern den Weiterbau des umstrittenen Pipelineprojekts Nord Stream 2 vorantreiben. Die gemeinwohlorientierte Stiftung, die am Dienstag offiziell gegründet wurde, soll Projekte im Umwelt-, Naturund Klimaschutz fördern, aber auch gewerblich aktiv werden können. So ist geplant, durch die Stiftung Bauteile und Maschinen zu kaufen, die für die Fertigstellung der Gaspipeline unerlässlich sind.
Die Idee ist, mit der Stiftungskonstruktion angedrohte Sanktionen der USA gegen am Bau der Leitung beteiligte Firmen zu umgehen. Die Unternehmen hätten dann keine direkten Geschäftsbeziehungen mehr mit der Nord Stream 2 AG, sondern mit der Stiftung.
Die Stiftung, die das Land Mecklenburg-Vorpommern mit 200 000 Euro ausgestattet hat, wird vom
aus den USA. Ökonom Thilo Schaefer vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln teilt diese Einschätzung: „Für die Versorgungssicherheit ist Nord Stream 2 nicht nötig.“
Die Gegenposition nimmt Manuel Frondel vom Wirtschaftsforschungsinstitut RWI in Essen ein: „Die Lieferungen aus den Niederlanden und Großbritannien werden zurückgehen.“Norwegen könne das ehemaligen Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns Erwin Sellering (SPD) geleitet. Hinter den Kulissen dürfte aber der russische Gaskonzern Gasprom die Fäden ziehen. Denn die Nord Stream 2 AG, dessen hudertprozentiger Eigner Gasprom ist, hatte MecklenburgVorpommerns Landeschefin Manuela Schwesig (SPD) 20 Millionen Euro für die Stiftung zugesichert. Unterdessen haben die USA angekündigt, erstmals Sanktionen gegen am Bau der Pipeline beteiligte Unternehmen zu verhängen. Die Strafmaßnahmen sollten an diesem Dienstag verkündet werden und das russische Verlegeschiff „Fortuna“und dessen Inhaber, die russische Firma KVT-RUS, betreffen. Aus der Sorge heraus, den Zugang zum US-Markt zu verlieren, hatten in den Tagen zuvor bereits der norwegische Zertifizierer Det Norske Veritas Holding und die dänische nicht ausgleichen. Grundsätzlich stünden zwar Alternativen zur Verfügung, etwa Frackinggas aus den USA, so Frondel. „Im Vergleich dazu dürften Importe aus Russland aber günstiger bleiben. Das rechtfertigt Nord Stream 2.“
Diese Annahme jedoch relativiert IW-Forscher Schaefer: „Gas aus Russland ist nicht grundsätzlich günstiger als aus anderen Quellen.“Ein größeres Angebot infolge von
Ingenieursberatung Ramboll ihr Engagement gestoppt. Auch der Schweizer Versicherungskonzern Zurich, der den Bau der Pipeline versichert, soll dem Vernehmen nach beschlossen haben, sich zurückzuziehen. Dagegen will der Düsseldorfer Energiekonzern Uniper an dem Projekt festhalten. Uniper ist an Nord Stream 2 nicht nur in Form eines Gasliefervertrags beteiligt, sondern auch als Infrastrukturakteur und Ingenieurdienstleister. Russland bekräftigte am Dienstag noch einmal, Nord Stream 2 trotz erwarteter US-Sanktionen zu Ende zu bauen. Bis zur Fertigstellung sind noch etwa 120 Kilometer in dänischen und etwas über 30 Kilometer in deutschen Gewässern zu verlegen. Durch die beiden Leitungsstränge sollen künftig jedes Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland nach Deutschland gepumpt werden. (ank)
Nord Stream 2 könne aber die Preise insgesamt stabilisieren oder drücken. „Das wäre ein Vorteil für die Verbraucher, unter anderem für die energieintensive Industrie“, sagt Schaefer.
Und wie sieht es mit der Rolle von Erdgas für die Energiewende aus? Holz und Kemfert vom DIW erklären, dass im Zuge des Abschieds von den fossilen Energien bis 2050 logischerweise auch der Verbrauch von Erdgas gen Null sinke. Mehr und mehr werde Elektrizität aus regenerativen Quellen und mit deren Hilfe produzierter „grüner“Wasserstoff den Bedarf decken.
„Trotz der Dekarbonisierung der europäischen und deutschen Energieversorung muss Erdgas vorübergehend einen höheren Beitrag leisten als heute“, betont dagegen Manuel Frondel. „Wenn die Atomkraftwerke in zwei Jahren und die Kohlekraftwerke bis 2038 abgeschaltet werden, brauchen wir mehr Erdgas, nicht weniger. Grüner Strom und Wasserstoff alleine können die Versorgungssicherheit nicht gewährleisten.“Um das zu untermauern verweist Frondel auf eine Greenpeace-Studie von 2017 zum Kohleausstieg, die eine größere Menge zusätzlicher Gaskraftwerke zur Stromerzeugung prognostiziert. Dazu sagt IW-Ökonom Schaefer: „Vielleicht nimmt der Verbrauch von Gas relativ betrachtet vorübergehend zu, weil Atom und Kohle zurückgehen.
Die absolute Gasmenge wird in den nächsten 30 Jahren vermutlich aber nicht steigen, sondern irgendwann deutlich sinken.“Beide Seiten können Untersuchungen zitieren, die ihre Position stützen. Ob der Erdgasbedarf während der Energiewende im Vergleich zu heute noch mal zunimmt oder vom gegenwärtigen Plateau aus allmählich sinkt, hängt auch vom Tempo ab, mit dem Wind- und Solarkraftwerke, Stromspeicher und Wasserstofffabriken hinzugebaut werden.
Als drittes Argument gegen Nord Stream 2 thematisiert das DIW die Klimaauswirkungen von Erdgas. Vor allem beim Fördern des Rohstoffs aus der Erde werde Methan frei, das das Klima viel stärker schädigt als das Verbrennungsprodukt Kohlendioxid. Unter Umständen liege „die Klimabilanz ungefähr bei der von Kohle“, sagen die EnergieExpertinnen Franziska Holz und Claudia Kemfert.
Konkret heißt das: Erdgas wäre keine vermeintlich saubere Brückenenergie, sondern eine Fortsetzung der Kohleverstromung unter anderem Namen. Zwar gehen die wissenschaftlichen Folgenabschätzungen an diesem Punkt weit auseinander – viel Forschung ist noch nötig, um den Klimaeffekt von Erdgas genau zu bestimmen. Fest aber steht: Der Gegenwind für den Energieträger, und damit auch für die Pipeline Nord Stream 2, nimmt zu.