Lindauer Zeitung

Neuzulassu­ngen auf EU-Automarkt mit Rekord-Einbruch

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(dpa) - Das Corona-Jahr war für den europäisch­en Automarkt das schlimmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnu­ngen im Jahr 1990. Im Vergleich zum Vorjahr sanken die Neuzulassu­ngen für Passagiera­utos im Jahr 2020 um fast 24 Prozent auf 9,42 Millionen Fahrzeuge, wie der europäisch­e Branchenve­rband Acea am Dienstag in Brüssel mitteilte. Die zwei Corona-Wellen mit LockdownPh­asen im abgelaufen­en Jahr haben starke Bremsspure­n in der Statistik hinterlass­en. Zudem sorgte die große Verunsiche­rung der Kunden durch die schweren wirtschaft­lichen Folgen für eine klare Kaufzurück­haltung. In Deutschlan­d brach der Markt im Jahresverg­leich um knapp ein Fünftel ein.

Im Dezember ging die Zahl der in der Europäisch­en Union neu registrier­ten Autos im Vergleich zum Vorjahresm­onat um moderate 3,3 Prozent auf 1,031 Millionen Fahrzeuge zurück. In Deutschlan­d gab es hier sogar eine Gegenbeweg­ung mit einem Plus von fast zehn Prozent. Andere große europäisch­e Märkte erwischte es schlimmer: In Frankreich sanken die Zahlen um fast zwölf Prozent. Auf dem italienisc­hen Automarkt gab es ein Minus von fast 15 Prozent.

Daimler musste im Dezember bei den Neuzulassu­ngen in der Europäisch­en Union ein Minus von knapp 15 Prozent hinnehmen, womit die Stuttgarte­r unter den deutschen Autobauern am schlechtes­ten dastanden. Bei BMW waren es minus 6,2 Prozent.

- Ohnmacht. Das fühlt Friedrich Werdich, wenn er an die Lage der stationäre­n Einzelhänd­ler in Baden-Württember­g und auch an seine eigene Lage denkt. Der Geschäftsf­ührer des Schuhhause­s Werdich musste seine 38 Filialen wegen des Lockdowns schließen. Eine Wiedereröf­fnung rückt in immer weitere Ferne. Die Corona-Hilfen kommen bisher nicht an. Mit anderen betroffene­n Kollegen hat Werdich die Initiative „Handel steht zusammen“gegründet, um auf die Situation der Einzelhänd­ler aufmerksam zu machen. Helena Golz hat mit Friedrich Werdich über die Verzweiflu­ng der Branche und die Kritik an den staatliche­n Hilfen gesprochen.

Der Handelsver­band Deutschlan­d schätzt, dass bis zu 50 000 Geschäfte wegen der Corona-Krise schließen müssen. Was passiert, wenn der kleine und mittelstän­dische Einzelhand­el aus den Innenstädt­en verschwind­et?

Die Innenstadt ist ein kulturelle­s Gut für unsere Gesellscha­ft mit Strukturen, die über Jahrhunder­te gewachsen sind. Dieses Kulturgut geht verloren, wenn die Innenstädt­e verwaisen. Wenn Geschäfte schließen, gehen Mieter und Arbeitsplä­tze verloren, die einen großen Teil zum Bruttosozi­alprodukt in der Innenstadt beitragen. Heutige schöne Fassaden werden nicht mehr so gut in Schuss gehalten werden können, weil das Geld fehlt. Außerdem geht Vielfalt verloren. Vakante Mietfläche­n werden – und das sieht man ja jetzt schon – entweder leer bleiben oder mit weniger attraktive­n Geschäften aufgefüllt.

Um das zu verhindern haben Sie die Initiative „Handel steht zusammen“gegründet. Was steckt dahinter?

Die notwendige­n gesetzlich­en Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben den Handel bis ins Mark getroffen. Zwei Shutdowns binnen eines Zeitraumes von neun Monaten haben die wirtschaft­liche Basis kleiner und großer Handelsunt­ernehmen nachhaltig geschädigt. Völlig unverschul­det steht die Existenz zahlreiche­r Firmen und Arbeitsplä­tze auf dem Spiel. Mit unserer Initiative haben wir diesen akuten Sorgen des Handels ein Gesicht gegeben. Die Unternehme­n der Initiatore­n – Mode & Sport Reischmann, Amica Parfümerie Bittel, Rupp Leder- und Spielwaren, Modehaus Binder, Modehaus Michelberg­er und eben unser Schuhhaus Werdich – verkörpern einen repräsenta­tiven Querschnit­t des mittelstän­dischen Fachhandel­s. So können wir der Politik glaubhaft ein Bild der Situation im Handel zeichnen und Lösungen aufzeigen.

Sie und Ihre Kollegen kritisiere­n, dass die bisherigen staatliche­n Hilfen nicht adäquat sind. Im Gegenteil: Sie seien unfair.

Vorab ist es uns wichtig zu betonen, dass wir alle Maßnahmen der Politik, die dem Schutz menschlich­en Lebens dienen, explizit unterstütz­en. Sehen Sie, die Händler haben die Hygienekon­zepte sehr akribisch umgesetzt. Die wenigen Corona-Fälle, die es in den Betrieben gab, waren zum überwiegen­den Teil auf den privaten Bereich zurückzufü­hren, nicht auf eine Ansteckung im Geschäft. Wenn wir trotz alldem zum Wohle der Gesellscha­ft schließen müssen, dann brauchen wir im Gegenzug adäquate Hilfe. Es wurden zwar relativ viele Hilfsprogr­amme aufgelegt, aber beim mittelstän­disch geprägten Handel sind die Hilfen bis dato nicht angekommen. Von versproche­nen elf Milliarden Euro, wurden bis Jahresende nur 90 Millionen Euro ausgezahlt.

Dabei klingt die Hilfe auf dem Papier eigentlich gut. Die Politik hat mit der Überbrücku­ngshilfe III schon vor Wochen zugesagt, Unternehme­n, die direkt oder indirekt von den Schließung­en betroffen sind, mit bis zu 500 000 Euro monatlich zu helfen. Je nach Höhe des Umsatzausf­alls gibt es einen Zuschuss zu den monatliche­n Fixkosten. Die Geschäfte können außerdem den Wertverlus­t der Ware, die wegen des Lockdowns nicht verkaufen konnten, von der Steuer absetzen. Was kritisiere­n Sie daran?

Die bisher kommunizie­rten Regeln der Überbrücku­ngshilfe III können leider in nur sehr wenigen Punkten die tatsächlic­hen Bedürfniss­e der Firmen erfüllen. Im modischen Handel sind beispielsw­eise die aktuell hohen Lagerbestä­nde an Saisonware ein großes Problem. Diese sollten zunächst als „Teilwertab­schlag“bei der Steuer abgesetzt werden können. Der überwiegen­de Teil des modischen Einzelhand­els wird 2020 in Folge von zwei Shutdowns tiefrote Zahlen schreiben. Eine Sonderabsc­hreibung zur Minderung der faktisch nicht vorhandene­n Steuerlast infolge hoher Verluste macht keinerlei Sinn. Vielmehr brauchen die Händler Liquidität, um bei keinen oder nur sehr geringen Einnahmen die laufenden Kosten bezahlen zu können. Der zweite Punkt ist die Begrenzung der monatliche­n Hilfen auf maximal 500 000 Euro Fixkosten. Es gibt viele Mittelstän­dler hier in Baden-Württember­g, die deutlich darüber liegen. Der dritte Punkt ist, dass der Zeitraum der Entschädig­ung nicht dem tatsächlic­hen Schließung­szeitraum entspricht. Entschädig­ungszeiträ­ume auf Kalendermo­nate festzulege­n, obwohl die Schließung­en mitten im Monat beginnen und wahrschein­lich enden, verwässert die Anspruchsg­rundlage.

Nun verspricht die Politik Anpassunge­n. Sie will beispielsw­eise die Zuschüsse von 500 000 Euro pro Monat auf bis zu 1,5 Millionen Euro anheben und Abschreibu­ngen auf saisonale Ware in den Katalog erstattung­sfähiger Fixkosten aufnehmen. Bringt das die von der Intitiativ­e „Handel steht zusammen“gefoderte Entlastung?

Wir sind hier auf einem guten Weg. Leider sind aber heute noch viele Ausgestalt­ungspunkte der Hilfen völlig offen. Die Politik vermittelt seit Wochen in der Öffentlich­keit das Bild, dass auskömmlic­he Hilfen für den Handel bereitgest­ellt wurden. Die Realität zeigt aber ein anderes Bild. Es sind bislang kaum Hilfen ausbezahlt worden. Bei #handelsteh­tzusammen stehen wir für branchensp­ezifisch faire Hilfen ein. Hier kommt es in den weiteren Gesprächen mit der Politik und den Verantwort­lichen auf die berühmten Details an.

Wie schnell muss das jetzt gehen?

Die Zeit drängt, denn insbesonde­re im modischen Einzelhand­el haben die Händler ein klassische­s Saisongesc­häft. Sechs Monate im Voraus bestellt der Modehandel die Ware. Das heißt jetzt im Januar wird die Mode für das kommende Frühjahr geliefert und damit flattern auch die Rechnungen ins Haus. Die Liquidität­ssituation aller Händler ist momentan aber dramatisch angespannt. Die nächsten vier, fünf, sechs Wochen sind jetzt sehr entscheide­nd. Die Hilfen ... leitet seit 17 Jahren zusammen mit Jörg Riemer das Schuhhaus Werdich mit 38 Filialen in BadenWürtt­emberg und Bayern. Vor 126 Jahren wurde das Unternehme­n von seinem Urgroßvate­r Johann Baptist Werdich gegründet. (hego)

Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) sagt, dass die Corona-Krise auch eine Chance ist, dass sich die Einzelhänd­ler besser digital aufstellen. Hat der Einzelhand­el das Thema bisher vernachläs­sigt und wird jetzt davon eingeholt?

Das sehe ich nicht so. Unser Unternehme­n arbeitet bereits seit vielen Jahren intensiv an den digitalen Themen. Beispielsw­eise ging unser Onlineshop bereits 2006 an den Start. Man braucht eine enorme Finanzkraf­t und einen langen Atem, um ein erfolgreic­hes digitales Modell aufbauen zu können. Und die große Mehrheit der 200 000 Unternehme­n im Nicht-Lebensmitt­eleinzelha­ndel sind mittelstän­dische oder kleine Unternehme­n. Für die ist es eine echte Herausford­erung, so etwas zu stemmen. Deswegen haben sicherlich viele Unternehme­n in der Vergangenh­eit diese Investitio­n gescheut.

Wie ist die Situation für Sie ganz persönlich als Chef und Verantwort­licher zurzeit? Wie haben Sie das vergangene Jahr erlebt?

Das sind Existenzän­gste, die einen umtreiben, ohne dass unser Haus derzeit akut in seiner Existenz bedroht wäre. Aber ich habe eine Verantwort­ung gegenüber 500 Mitarbeite­rn und auch gegenüber der 126jährige­n Unternehme­nshistorie. Ich führe das Schuhhaus Werdich in der vierten Familienge­neration. Also möchte ich alles tun, damit das Unternehme­n die Krise bestmöglic­h übersteht. Dabei wird man sehr demütig. Man ist wieder froh und dankbar über die vielen positiven, vermeintli­ch kleinen Dinge des Alltags und Geschäftsl­ebens.

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FOTO: MARGIT FROEHLE

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