Lindauer Zeitung

Geburt auf Krankenhau­sparkplatz: „Es geht auch so“

Stefanie Dinc bringt im Auto ihren Sohn Ilyas zur Welt – Wie es dazu kam und wie die Mutter das Erlebte schildert

- Von Bastian Schmidt

- Die meisten Frauen entscheide­n sich heute für eine Geburt im Krankenhau­s. Eine Klinikgebu­rt bietet die Gewissheit, dass kompetente Hilfe für Mutter und Kind bereitsteh­t. So eine „normale“Geburt hatten auch die 27-jährige Stefanie Dinc und ihr Mann Ismail aus Röthenbach vor Augen, als sie sich Anfang Dezember langsam auf die Geburt ihres zweiten Kindes vorbereite­ten. Wie die Tochter zwei Jahre zuvor, sollte auch der erste Sohn in einem Kreißsaal des Westallgäu-Klinikums Wangen das Licht der Welt erblicken. Doch dann kam alles anders

„Irgendwie war die zweite Geburt unberechen­bar“, sagt Stefanie Dinc und vergleicht sie mit der Geburt ihrer Tochter. Bei der heute zweijährig­en Emilia sei zuerst die Fruchtblas­e geplatzt, ein unmissvers­tändliches Zeichen, sich unverzügli­ch auf den Weg ins Krankenhau­s zu machen. Ein paar Stunden später kam die gesunde Emilia im Wangener Kreißsaal auf die Welt.

So, oder so ähnlich hatte sich das Paar auch die Geburt des kleinen Ilyas im Dezember des vergangene­n Jahres vorgestell­t. Doch der hatte andere Pläne. Zuerst habe sie Wehen bekommen, die dann sehr schnell stärker wurden. Als sie kurz darauf noch im eigenen Heim Presswehen bekam, war der werdenden Mutter schnell klar, dass die Geburt bereits kurz bevor stand. „Ich habe meinem Mann gesagt, dass er einen Notarzt rufen soll“, blickt sie zurück. Keine gute Idee befand ihre Mutter, die mit der jungen Familie in einem Haus wohnt. Sie hatte Bedenken, dass die Zeit dafür nicht mehr reichen könnte und bot stattdesse­n an, Tochter und Schwiegers­ohn persönlich ins Krankenhau­s zu fahren.

Gesagt, getan, die Mutter am Steuer des SUV, Stefanie Dinc auf dem Beifahrerp­latz und Ehemann Ismail auf dem Rücksitz. „Ich habe mit den Händen auf dem Sitz im Fußraum gekniet. Anders hätte ich es schon gar nicht mehr ausgehalte­n“, beschreibt sie die einzige Position, in der sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch „reisen“konnte. Ungefähr 30 Minuten waren da seit dem Einsetzen der Wehen vergangen.

Gute Erinnerung­en hat Dinc an die Fahrt nicht, dafür noch immer sehr lebhafte. „Ich hatte solche Presswehen, dass ich mir sicher war,

TRAUERANZE­IGEN er würde jederzeit kommen und habe meine Mutter immer wieder aufgeforde­rt, einfach am Straßenran­d anzuhalten.“Die wollte davon aber nichts hören und fuhr weiter, „wirklich schnell“, wie sich Dinc mit einem Schmunzeln erinnert.

Aber auch die rasante Fahrweise der Mutter konnte nicht verhindern, dass Stefanie Dinc noch im Fußraum des Wagens die Fruchtblas­e platzte. „Da haben wir uns alle noch einmal erschrocke­n. Und kurze Zeit später, noch bevor wir am Parkplatz waren, war auch der Kopf schon da“, so die 27-Jährige.

Sich der prekären Situation bewusst, habe sie versucht, die Wehen während der Fahrt „irgendwie zu unterdrück­en“. Ein Unterfange­n ohne wirkliche Chance auf Erfolg. Umso dankbarer ist Stefanie Dinc ihrem Mann und ihrer Mutter, die trotz der heiklen Situation alles versucht hätten, ihr die Angst zu nehmen. Ihre Mutter habe weiter versucht, sie abzulenken und zu beruhigen, während sie den Wagen im „Tiefflug“Richtung Krankenhau­s steuerte. Dabei war sie immer noch so geistesgeg­enwärtig, das Tempo vor dem fest installier­ten Blitzer in der Nähe auf die erlaubten 50 Kilometer pro Stunde zu reduzieren. Vom Rücksitz aus versuchte auch Ismail Dinc seiner Frau so gut zu helfen, wie es eben ging. „Er hat mit mir gesprochen, meine Hand gehalten und all das gemacht, was Männer eben tun können, wenn sie bei einer Geburt dabei sind.“

Wenig später kommt die Familie, noch zu Dritt im Auto, auf dem Kurzzeitpa­rkplatz des Krankenhau­ses an. Nur ein Etappenzie­l, wie sich schnell herausstel­lt, denn ein Ende der Odyssee ist noch nicht in Sicht. Der gut gemeinte Versuch des Krankenhau­s-Sicherheit­sdienstes, alarmiert durch die Hilferufe der Mutter, schlug fehl. Zwar hatten sie reagiert, mit dem zum Auto gebrachten Rollstuhl kann die werdende Mutter jetzt, mitten im Geburtsvor­gang, allerdings nichts mehr anfangen. Für profession­elle Hilfe sorgt dann das Fachperson­al der Klinik, bestehend aus einem Arzt, einer Hebamme und einigen Helferinne­n, die Stefanie Dinc mit wärmenden Decken versorgen und ihr mithilfe hochgehalt­ener Handtücher etwas Privatsphä­re schufen.

Denn eines war auch dem medizinisc­hen Personal schnell klar: Die Geburt ist bereits in vollem Gange und der Kreißsaal dafür definitiv zu weit weg. Das Kind würde unweigerli­ch im Auto auf dem Parkplatz vor dem Krankenhau­s auf die Welt kommen. Sie habe sich dann auf Anweisung des Arztes vorne im Wagen quer über die Handbremse gelegt und in die Hände der Fachleute begeben, erzählt Dinc.

„Die Geburt ist dann sehr gut verlaufen“, erinnert sie sich. Auch die Liegeposit­ion im Auto ist ihr nicht unangenehm in Erinnerung geblieben. „Ich war einfach nur froh, dass jemand da war, um mir zu helfen. Genau wie meine Mutter, die bereits Angst hatte, dass sie das Kind holen muss, weil alles so schnell ging.“

Und auch ihr Mann habe sie weiter toll unterstütz­t, „auch wenn er anfangs, wie wir alle, nicht genau wusste, wie er mit der Situation umgehen soll.“Vom Rücksitz aus konnte er seiner Frau dann aber bei der Geburt beistehen. Trotz der improvisie­rten Geburtssta­tion ging glückliche­rweise alles gut und kurze Zeit später wurden Mutter und Kind im warmen Inneren des Krankenhau­ses weiter versorgt. Eine Geburt auf einem Parkplatz ist auch für die Profis eine ungewohnte Situation. „Die Hebamme“, so erzählt Stefanie Dinc, „hatte so etwas auch noch nicht erlebt. Als wir später im Kreißsaal waren, musste sie sich auch erst einmal setzen und durchpuste­n.“Weitere Komplikati­onen gab es nicht, sodass Mutter und Kind schon eineinhalb Tage später gesund den Heimweg antreten konnten.

„Alle Welt spricht immer davon, wie schlimm eine Geburt ist, aber ich finde, hier sieht man: Es geht auch so.“Zwar hätte auch sie sich einen geordneter­en Ablauf gewünscht, aber mit dem Ergebnis ist Stefanie Dinc auf jeden Fall mehr als zufrieden. Denn seit dem 7. Dezember 2020 lebt Familie Dinc glücklich und gesund zu Viert im beschaulic­hen Röthenbach - trotz der ungewöhnli­chen Geburt auf dem Parkplatz vor dem Wangener Krankenhau­s.

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FOTO: DINC Seit dem 7. Dezember ist die Familie Dinc, Vater Ismail, Tochter Emilia und Mutter Stefanie mit Baby Ilyas, zu viert.
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Der kleine Ilyas Dinc kurz nachdem er auf dem Parkplatz der Oberschwab­enklinik das Licht der Welt erblickt hat.
 ??  ?? Der stolze Vater Ismail Dinc mit seinem neugeboren­en Sohn.
Der stolze Vater Ismail Dinc mit seinem neugeboren­en Sohn.
 ??  ?? Stefanie Dinc mit ihrem neugeboren­en Sohn Ilyas im Krankenhau­s.
Stefanie Dinc mit ihrem neugeboren­en Sohn Ilyas im Krankenhau­s.

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