Bahn-Winterdienst: Vor Schnee kapituliert?
Wegen gesperrter Strecken und Zugausfällen kamen viele Reisende nicht mehr weiter
- Ältere werden den Spruch noch kennen, der als erfolgreichster Slogan der damaligen Deutschen Bundesbahn gilt: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“Das war 1966. Das Bundesunternehmen gab sich gerne winterfest, gewappnet gegen Schnee, Glätte und Eis. Im Allgäu haben gerade die vergangenen Tage gezeigt, dass heutzutage Schnee und Eis sehr wohl den Schienenverkehr lahmlegen können. So wie vor zwei Jahren, im Januar 2019. Als es damals heftig schneite, waren ebenfalls zahlreiche Bahnstrecken im Allgäu komplett gesperrt.
Manche erwischte es jetzt eiskalt. Beispielsweise einen 25-jährigen Oberallgäuer Berufspendler zwischen München und Kempten, der spätabends in Buchloe nicht mehr weiterkam. Der Anschlusszug in Richtung Kempten „entfällt“, hieß es auf der Anzeigetafel im Buchloer Bahnhof. Und: „Witterungsbedingte Störungen im Bahnverkehr – Es kann zu Verspätungen und Zugausfällen kommen.“Wer in einer solchen Situation einen Angehörigen anrufen kann, der ihn mit dem Auto abholt, hat Glück. Dass es Probleme auf der Strecke zwischen Kempten und Buchloe gab, bestätigt ein Bahnsprecher. Ein Zug sei am 15. Januar wegen eines technischen Defekts liegen geblieben. Reisende ab Buchloe hätten aber dann um 23.32 Uhr noch einen Zug nach Kempten nehmen können, der dort um 0.15 Uhr ankam.
Dass es mit dem Winterdienst bei der Bahn nicht mehr richtig zu klappen scheint, glaubt Jürgen Vögele vom Fahrgastverband Pro Bahn in Kempten. Einen Grund sieht er im Strukturwandel des Unternehmens, der dem für 2006 geplanten, dann aber doch gescheiterten Börsengang der Deutschen Bahn vorausging. Früher waren viel mehr Aufgaben bei der Bahn dezentral organisiert. Heute würden Entscheidungen in Frankfurt oder Berlin getroffen, auch wenn es etwa um den Winterdienst in Garmisch oder Kempten geht, sagt ein Branchenkenner. Früher hätten allein am Bahnhof Buchloe 100 Leute zur Verfügung gestanden, um bei starkem Schneefall Übergänge und
Weichen freizuschaufeln, schildert Pro-Bahn-Mann Vögele.
Heute ist die DB Netz AG für den Unterhalt zuständig. Bei der Vergabe von Arbeiten an Subunternehmer werde gespart, „was das Zeug hält“, sagt ein privater Dienstleister, der lange für die Bahn gearbeitet hat. Denn die DB Netz AG müsse an den Mutterkonzern Dividende abliefern. Um zu sparen, habe man erst im November Verträge mit günstigeren Subunternehmern abgeschlossen. Deren Mitarbeiter hätten es bei den jüngsten Schneefällen einfach nicht geschafft, die Bahnübergänge zu räumen. Da seien Hilfskräfte aus anderen Teilen Deutschlands gekommen, die noch nie so viel Schnee gesehen hätten. „Die haben erst einmal ein Selfie im Schnee gemacht und das nach Hause geschickt.“
Fürs Räumen der Schienenwege benötigt man unter anderem Radlader sowie kräftig schaufelnde, ausdauernde Arbeiter. Denn trotz aller Technisierung ist dabei immer noch viel Handarbeit erforderlich – insbesondere an den zahlreichen Bahnübergängen
und an Weichen.
„In den vergangenen Jahren ist es immer schlechter geworden“, sagt ein Lokomotivführer, der seit Jahrzehnten im Allgäu unterwegs ist, über den Winterdienst. Die Gründe seien vielfältig, glaubt er. So stehe im Allgäu jetzt keine Schneefräse mehr zur Verfügung. Früher habe es hier ein Hochleistungsgerät gegeben, dass sich auch durch zwei oder drei Meter hohe Schneewehen hindurchkämpfen konnte. Auch seien lokbespannte Züge sehr viel schneetauglicher als die leichten TriebwagenGarnituren, wie sie heute überwiegend im Allgäu unterwegs sind. Von den jüngsten Zugausfällen und Streckensperrungen betroffen war auch der Fernverkehr im Allgäu: Unter anderem der Eurocity Lindau-München auf der neu elektrifizierten Strecke.
Die Bahn versicherte auf Anfrage, im Allgäu stünden genügend Räumund Instandhaltungsfahrzeuge bereit. Nach einer europaweiten Ausschreibung seien bis Ende 2020 die Aufträge für Räum- und Sicherungskräfte
vergeben worden. Fazit des Unternehmens: „Während der Schneefälle Mitte Januar dieses Jahres hat sich gezeigt, dass Strecken im Allgäu in der Regel schnell und kontinuierlich geräumt werden konnten.“
Häufig betroffene Strecken
Besonders oft von Streckensperrungen betroffen sind die höher gelegenen Bahnstrecken im Allgäu. Das sind insbesondere:
Außerfernbahn Kempten-Pfronten-Reutte-Garmisch Immenstadt-Oberstdorf
Die Strecke Immenstadt-Oberstaufen-Lindau
Der Bahnhof Günzach (Ostallgäu) soll laut einer Informationstafel am Bahnhofsgebäude mit 801 Metern der höchstgelegene zweigleisige Bahnhof Deutschlands sein. Das stimmt aber nicht ganz: Der zweigleisige Bahnhof Sankt Georgen ( Schwarzwald-BaarKreis) liegt auf 806 Metern Höhe.