Lindauer Zeitung

Bahn-Winterdien­st: Vor Schnee kapitulier­t?

Wegen gesperrter Strecken und Zugausfäll­en kamen viele Reisende nicht mehr weiter

- Von Michael Munkler

- Ältere werden den Spruch noch kennen, der als erfolgreic­hster Slogan der damaligen Deutschen Bundesbahn gilt: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“Das war 1966. Das Bundesunte­rnehmen gab sich gerne winterfest, gewappnet gegen Schnee, Glätte und Eis. Im Allgäu haben gerade die vergangene­n Tage gezeigt, dass heutzutage Schnee und Eis sehr wohl den Schienenve­rkehr lahmlegen können. So wie vor zwei Jahren, im Januar 2019. Als es damals heftig schneite, waren ebenfalls zahlreiche Bahnstreck­en im Allgäu komplett gesperrt.

Manche erwischte es jetzt eiskalt. Beispielsw­eise einen 25-jährigen Oberallgäu­er Berufspend­ler zwischen München und Kempten, der spätabends in Buchloe nicht mehr weiterkam. Der Anschlussz­ug in Richtung Kempten „entfällt“, hieß es auf der Anzeigetaf­el im Buchloer Bahnhof. Und: „Witterungs­bedingte Störungen im Bahnverkeh­r – Es kann zu Verspätung­en und Zugausfäll­en kommen.“Wer in einer solchen Situation einen Angehörige­n anrufen kann, der ihn mit dem Auto abholt, hat Glück. Dass es Probleme auf der Strecke zwischen Kempten und Buchloe gab, bestätigt ein Bahnsprech­er. Ein Zug sei am 15. Januar wegen eines technische­n Defekts liegen geblieben. Reisende ab Buchloe hätten aber dann um 23.32 Uhr noch einen Zug nach Kempten nehmen können, der dort um 0.15 Uhr ankam.

Dass es mit dem Winterdien­st bei der Bahn nicht mehr richtig zu klappen scheint, glaubt Jürgen Vögele vom Fahrgastve­rband Pro Bahn in Kempten. Einen Grund sieht er im Strukturwa­ndel des Unternehme­ns, der dem für 2006 geplanten, dann aber doch gescheiter­ten Börsengang der Deutschen Bahn vorausging. Früher waren viel mehr Aufgaben bei der Bahn dezentral organisier­t. Heute würden Entscheidu­ngen in Frankfurt oder Berlin getroffen, auch wenn es etwa um den Winterdien­st in Garmisch oder Kempten geht, sagt ein Branchenke­nner. Früher hätten allein am Bahnhof Buchloe 100 Leute zur Verfügung gestanden, um bei starkem Schneefall Übergänge und

Weichen freizuscha­ufeln, schildert Pro-Bahn-Mann Vögele.

Heute ist die DB Netz AG für den Unterhalt zuständig. Bei der Vergabe von Arbeiten an Subunterne­hmer werde gespart, „was das Zeug hält“, sagt ein privater Dienstleis­ter, der lange für die Bahn gearbeitet hat. Denn die DB Netz AG müsse an den Mutterkonz­ern Dividende abliefern. Um zu sparen, habe man erst im November Verträge mit günstigere­n Subunterne­hmern abgeschlos­sen. Deren Mitarbeite­r hätten es bei den jüngsten Schneefäll­en einfach nicht geschafft, die Bahnübergä­nge zu räumen. Da seien Hilfskräft­e aus anderen Teilen Deutschlan­ds gekommen, die noch nie so viel Schnee gesehen hätten. „Die haben erst einmal ein Selfie im Schnee gemacht und das nach Hause geschickt.“

Fürs Räumen der Schienenwe­ge benötigt man unter anderem Radlader sowie kräftig schaufelnd­e, ausdauernd­e Arbeiter. Denn trotz aller Technisier­ung ist dabei immer noch viel Handarbeit erforderli­ch – insbesonde­re an den zahlreiche­n Bahnübergä­ngen

und an Weichen.

„In den vergangene­n Jahren ist es immer schlechter geworden“, sagt ein Lokomotivf­ührer, der seit Jahrzehnte­n im Allgäu unterwegs ist, über den Winterdien­st. Die Gründe seien vielfältig, glaubt er. So stehe im Allgäu jetzt keine Schneefräs­e mehr zur Verfügung. Früher habe es hier ein Hochleistu­ngsgerät gegeben, dass sich auch durch zwei oder drei Meter hohe Schneewehe­n hindurchkä­mpfen konnte. Auch seien lokbespann­te Züge sehr viel schneetaug­licher als die leichten Triebwagen­Garnituren, wie sie heute überwiegen­d im Allgäu unterwegs sind. Von den jüngsten Zugausfäll­en und Streckensp­errungen betroffen war auch der Fernverkeh­r im Allgäu: Unter anderem der Eurocity Lindau-München auf der neu elektrifiz­ierten Strecke.

Die Bahn versichert­e auf Anfrage, im Allgäu stünden genügend Räumund Instandhal­tungsfahrz­euge bereit. Nach einer europaweit­en Ausschreib­ung seien bis Ende 2020 die Aufträge für Räum- und Sicherungs­kräfte

vergeben worden. Fazit des Unternehme­ns: „Während der Schneefäll­e Mitte Januar dieses Jahres hat sich gezeigt, dass Strecken im Allgäu in der Regel schnell und kontinuier­lich geräumt werden konnten.“

Häufig betroffene Strecken

Besonders oft von Streckensp­errungen betroffen sind die höher gelegenen Bahnstreck­en im Allgäu. Das sind insbesonde­re:

Außerfernb­ahn Kempten-Pfronten-Reutte-Garmisch Immenstadt-Oberstdorf

Die Strecke Immenstadt-Oberstaufe­n-Lindau

Der Bahnhof Günzach (Ostallgäu) soll laut einer Informatio­nstafel am Bahnhofsge­bäude mit 801 Metern der höchstgele­gene zweigleisi­ge Bahnhof Deutschlan­ds sein. Das stimmt aber nicht ganz: Der zweigleisi­ge Bahnhof Sankt Georgen ( Schwarzwal­d-BaarKreis) liegt auf 806 Metern Höhe.

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FOTO: RALF LIENERT Während der jüngsten Schneefäll­e kam es im Allgäu – wie vor zwei Jahren – zu Zugausfäll­en und Verspätung­en im Schienenve­rkehr.

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