Fast 5000 Menschen im Kreis haben Geldsorgen
Die Corona-Krise wird diese Zahl steigen lassen, so vermutet die Schuldnerberatung
- Dass mehr Lindauer durch die Corona-Pandemie mehr Schulden haben, davon geht die Schuldnerberatung in Lindau aus. Gegenteiliges sagt der aktuelle Schuldneratlas. Demnach ging die Überschuldung im letzten Jahr zurück.
In Zeiten einer Pandemie ein erstaunliches Ergebnis: Sowohl deutschlandweit als auch im Landkreis Lindau hat Überschuldung von Privatpersonen im letzten Jahr nicht zugenommen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Menschen, die ihre finanziellen Verpflichtungen über das monatliche Einkommen nicht decken können, sind sogar weniger geworden. Waren es im Kreis Lindau im Jahr 2019 noch 4981 Frauen und Männer über 18 Jahre, die zu wenig Geld haben, sind es ein Jahr später knapp 80 Menschen weniger.
Diese Zahlen erhob das Wirtschaftsauskünfteund Inkasso-Unternehmen Creditreform und veröffentlichte sie wie jedes Jahr in seinem Schuldneratlas. Den Experten zufolge liege das an staatlichen Hilfsmaßnahmen und -programmen, die die schlimmsten sozialen Auswirkungen der Corona-Krise abgemildert hätten. Außerdem hätten die Menschen im letzten Jahr wieder mehr gespart als in der Zeit davor.
Auch wichtig: Die Zahlen beziehen sich auf eine Zeitspanne vom 1. Oktober 2019 bis zum 30. September 2020. Das heißt: Auch die Hochkonjunkturphase von Herbst 2019 bis zum Frühjahr 2020 steckt in der Statistik. Für das laufende Jahr könnten die Zahlen dann schon schlechter aussehen, vermuten die Experten. Sie schreiben von „der Ruhe vor dem Sturm“.
Dieses Gefühl macht sich auch bei der Lindauer Schuldnerberaterin Christiane Norff breit. „Die Menschen kommen ja immer zeitversetzt zu uns“, sagt die Bankkauffrau. Die Anfragen im Dezember seien zum Beispiel schon merklich höher gewesen als in den Monaten davor. „Wir vermuten, dass es durchaus eine Überschuldung in Lindau gibt“, sagt Norff von der Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonie Kempten Allgäu in Lindau.
Und auch im Januar habe es für diese Jahreszeit deutlich mehr Anfragen gegeben als üblich. Der Grund: Eine Woche vor Weihnachten wurde kurzfristig eine Reform des Insolvenzrechts vom Bundestag verabschiedet. Demnach verkürzt sich die Laufzeit der Insolvenzanträge
von sechs auf drei Jahre. Das bringt Schuldner in Handlungszwang und wenn sie nicht schon bei der Beratung waren, kommen sie jetzt dorthin.
Auch wegen Auswirkungen der Corona-Krise, wie Kurzarbeit und Jobverlust, rechnet die Beratungsstelle mit mehr Hilfesuchenden. „Das geringere Budget, das die Leute zur Verfügung haben, trifft viele“, sagt Norff. Betroffen seien vor allem Menschen, die auch schon vor der Krise Geldprobleme hatten. Dazu gehörten vor allem Menschen aus dem Niedriglohnsektor und alte Menschen. Zur Überschuldung komme es dann, „wenn jemand über seine Verhältnisse lebt“. Aber: „Alte Menschen haben teilweise eine so geringe Rente, dass sie unter der Armutsgrenze leben“, sagt Norff.
Obwohl in einer Familie beispielsweise beide Elternpaare arbeiten, sie aber ein Niedrigeinkommen haben, fehle das Geld. Die Kurzarbeit kam in diesem Jahr dann noch obendrauf. Viele Menschen würden nicht wissen, was ihnen zusteht.
Ein weiterer Grund für die Überschuldung im Landkreis sind laut Norff auch die steigenden Mieten.
Obwohl es eigentlich mehr Not gibt, sind die Anfragen bei der Beratungsstelle während Ausgangsbeschränkungen und Lockdown im letzten Jahr abgerissen. „Klienten nehmen jeden Grund, um nicht kommen zu müssen“, begründet Norff. Schließlich seien Schulden und Geldprobleme ein Thema, mit dem sich keiner gerne auseinandersetzt. Aber: „Je früher man sich Hilfe sucht, desto besser“, weiß die Schuldnerberaterin. „Egal aus welcher Situation heraus, es kann jeden treffen“, sagt Norff und will dazu ermutigen, sich früh an die Beratungsstelle zu wenden.
Denn auch schon zu normalen Zeiten suche ein Großteil der Klientinnen und Klienten die Schuldnerberatung erst dann auf, wenn alle Bemühungen misslungen seien, aus den Schulden selbstständig herauszukommen, wie es im Jahresbericht 2019 der Beratungsstelle in Lindau zu lesen ist. Viele würden schon jahrelang unter psychischem Druck stehen und ihre Situation als aussichtslos sehen. „Es erfordert viel Disziplin, das durchzuziehen und dranzubleiben“, sagt Christiane Norff.
Dennoch: Insgesamt hat die Stelle mittlerweile mehr Zulauf. Im letzten Jahr haben Mitarbeiter mehr als 300 Menschen beraten, im Jahr zuvor waren es noch 124. Einen Grund für den Anstieg dafür sei vermutlich der Trägerwechsel 2019 gewesen. War die Schuldnerberatung zuvor beim Landratsamt angesiedelt, hat das ab da die Diakonie Kempten Allgäu übernommen. „Das heißt nicht, dass das zuvor schlechter gemacht wurde, aber jetzt sind es einfach andere Strukturen“, sagt Norff. Zum Beispiel sei das Angebot sehr niedrigschwellig. Mitarbeitende würden auch Hausbesuche machen und auch Beratungen in Lindenberg. „Vorher musste jeder nach Lindau runterfahren.“So würden mehr Menschen erreicht.
Obwohl die Zahl sich im letzten Jahr schon mehr als verdoppelt hat, vermutet Christiane Norff sehr stark, dass in diesem Jahr noch mehr Menschen die Schuldnerberatung in Anspruch nehmen müssen.
Wer sich Gedanken um seine finanzielle Situation macht und Hilfe sucht, kann sich an die Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonie Kempten Allgäuin Lindau wenden und einen Beratungstermin ausmachen. Diese ist unter der Lindauer Telefonnummer 504 26 20 oder per E-Mail über
zu erreichen. Oder direkt über die Stelle immer vormittags von neun bis 12 Uhr in der Maximilianstraße 20 in Lindau.