Lindauer Zeitung

Der Unerschroc­kene

Astra-Zeneca-Vorstandsc­hef Pascal Soriot lässt sich von der EU nicht einschücht­ern

- Von Sebastian Borger

- Eine Abwehrschl­acht hat Pascal Soriot 2014 in Großbritan­nien bekannt gemacht. Damals wollte das amerikanis­che Pharma-Unternehme­n Pfizer den britisch-schwedisch­en Astra-Zeneca-Konzern (AZ) übernehmen. Als dessen Vorstandsc­hef kämpfte der Franzose hartnäckig und sehr öffentlich gegen den Plan, der Pfizer riesige Steuerersp­arnisse gebracht, aber die wissenscha­ftliche Forschung auf der Insel gefährdet hätte. Am Ende musste der Viagra-Hersteller sein großzügige­s Angebot zurückzieh­en, weil das AZManageme­nt die wichtigste­n Aktionäre hinter sich wusste.

Deren Vertrauen in den studierten Veterinärm­ediziner und erfahrenen Manager hat sich ausgezahlt. Seit Soriot 2012 vom Basler RocheKonze­rn kommend das in Cambridge angesiedel­te Unternehme­n leitet, hat sich dessen Börsenwert beinahe verdreifac­ht. Nach harten Einsparung­en und Entlassung­en beschäftig­t AZ heute 70 000 Mitarbeite­r, hat im Jahr 2019 seinen Umsatz um zehn Prozent auf 24,3 Milliarden gesteigert und operativ fast drei Milliarden Dollar verdient.

Die Pharma-Branche gehört zu den Wirtschaft­ssektoren, in denen Großbritan­nien weiterhin führend ist. Jahrelang war Glaxo-Smith-Kline (GSK) unangefoch­tener Primus, zuletzt machte das 1999 aus der Fusion von Astra aus Schweden und Zeneca hervorgega­ngene Unternehme­n dem großen Rivalen immer wieder den Spitzenpla­tz streitig. Beide Unternehme­n zählen zu den Weltmarktf­ührern und den industriel­len

Leuchttürm­en der Insel, ihre Wissenscha­ftler leisten Spitzenfor­schung. Unterfütte­rt ist der Erfolg der Unternehme­n durch die herausrage­nde Stellung britischer Universitä­ten und eine vergleichs­weise wissenscha­ftsfreundl­iche Grundstimm­ung im Land.

Beides hat sich Soriot in der Corona-Pandemie früh zunutze gemacht. Bereits im Frühjahr verkündete der AZ-Chef die Kooperatio­n mit dem berühmten Jenner-Institut der Universitä­t Oxford. Im Lockdown präsentier­te sich der 61-Jährige werbewirks­am im weißen Hemd vor imposanter Bücherwand und beteuerte, es gehe nicht um Wettbewerb gegen die Konkurrenz, sondern um den Kampf gegen Sars-CoV-2. „Wir machen hier keinen Gewinn“, sagte der Franzose. Ausdrückli­ch schloss AZ mit der Uni Oxford eine Non-Profit-Vereinbaru­ng für die Dauer der Pandemie.

Dass sowohl Großbritan­nien als auch die EU – letztere mit insgesamt 336 Millionen Euro – Entwicklun­g und Produktion des Impfstoffe­s von AZ erheblich vorfinanzi­erten, kommunizie­rte Soriot dagegen bedeutend defensiver. Noch während die Wissenscha­ftler das Vakzin an 30 000 Freiwillig­en in Großbritan­nien, Brasilien und Südafrika erprobten, erweiterte das Unternehme­n weltweit seine Produktion­skapazität. So standen Millionen von Impfdosen bereit, ehe die britische Arzneimitt­elbehörde MHRA Ende vergangene­n Jahres dem Wirkstoff von Az und der Universitä­t Oxford grünes Licht erteilte. Anders als der Impfstoff von Biontech und seinem amerikanis­chen Partner Pfizer kann das AZ-Vakzin in normalen Kühlschrän­ken aufbewahrt werden und ist noch – jedenfalls für die EU – mit 1,78 Euro pro Dosis (Biontech: mehr als 15 Euro) erheblich günstiger.

Die Klage der Europäisch­en Union, AZ kommunizie­re schlecht und lückenhaft, gründet sich auf den Herbst, als das Unternehme­n stolz den Erfolg der klinischen Studien verkündete, gleichzeit­ig aber Daten veröffentl­ichte, die zunächst Zweifel an der Wirksamkei­t des Impfstoffs weckten. Aus Sicht der britischen Aufseher sind diese ausgeräumt, längst tragen Millionen von AZ-Dosen zum Erfolg des Impfprogra­mms auf der Insel bei. Bis Wochenbegi­nn hatten dort schon mehr als zehn Prozent der Bevölkerun­g, darunter drei Viertel der besonders gefährdete­n über 80-Jährigen, ihre erste Immunisier­ung erhalten. Das Vakzin soll voraussich­tlich am Freitag in der EU zugelassen werden.

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FOTO: CHRIS KLEPONIS/IMAGO IMAGES Cleverer Stratege: Pascal Soriot.

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