Lindauer Zeitung

Einhorn-Eis im digitalen Klassenzim­mer

In der Antonio-Huber-Schule gibt es Online-Unterricht für ganz kleine Schülergru­ppen

- Von Benjamin Schwärzler

Oma, Opa, Schwein und Salat sind Namenwörte­r. Zu erkennen an den Großbuchst­aben – und deshalb dürfen die Schülerinn­en selbige mit dem Rotstift einkringel­n. Aber wieso gibt es in dem Text noch andere große Buchstaben? Rosanna muss nicht lange überlegen: „Am Anfang eines Satzes beginnen die Wörter groß“, sagt sie freudestra­hlend. Andreas Knödler nickt zufrieden – und zeigt dem Mädchen den Daumen hoch in die Webcam.

Distanzunt­erricht an der Antonio-Huber-Schule in Lindenberg. Im Rahmen der Notbetreuu­ng kommen derzeit nur ein Dutzend Schüler ins Schulhaus. Der Rest der 165 Buben und Mädchen lernt zu Hause am PC oder am Tablet. Für das Sonderpäda­gogische Förderzent­rum ist das eine große Herausford­erung. Schließlic­h sitzen in jeder Klasse Schüler mit ganz unterschie­dlichem Förderbeda­rf, denen der Lehrer im Normalfall permanent auf die Finger und über die Schulter schauen würde.

Um dennoch so gut wie möglich auf jeden eingehen zu können, hat Lehrer Andreas Knödler seine zweite Klasse in kleine Gruppen aufgeteilt. Jetzt, um 8.30 Uhr, sind beispielsw­eise nur Leonie, Vanessa und Rosanna zugeschalt­et. Im ansonsten verwaisten Klassenzim­mer sitzt außerdem noch Mia – ein Kind aus der Notbetreuu­ng. Via Webcam ist der Lehrer in der nächsten halben Stunde nur für diese vier Mädchen da. Immer wieder spricht er sie namentlich an. Lobt sie, wenn sie kleine Rechenaufg­aben richtig lösen. Lässt sie von ihren Erlebnisse­n im Schnee erzählen und fragt, um die Stimmung aufzulocke­rn, alle nach ihrem Lieblingse­is. Klarer Sieger: das EinhornEis. Natürlich gibt es auch Hausaufgab­en.

Nach 30 Minuten ist Schluss. „Mehr geht auch nicht. Die Kinder müssen zu 100 Prozent konzentrie­rt sein“, sagt Knödler.

Und der Lehrer auch. Denn er muss plötzlich aus der Ferne einschätze­n können, wie gut die Kinder mit dem Stoff mitkommen. Ihre Mimik und Gestik in Sekundensc­hnelle lesen lernen. Denn trotz der ungewohnte­n Umstände sollen die Kinder nicht nur ihr Wissen erhalten, sondern auch vorwärtsko­mmen. Denn sie wechseln zum Teil im Sommer auf eine Regelschul­e. Dafür müssen sie fit sein. Knödlers Vorteil: „Ich kenne die Klasse schon länger. Da ist die emotionale Bindung da.“

Die Schule ist nach Einschätzu­ng von Leiterin Elisabeth Magin gut für den Distanzunt­erricht aufgestell­t. Das WLAN im Schulgebäu­de läuft reibungslo­s. Bereits Ende 2019 hat sie damit begonnen, digitale Endgeräte anzuschaff­en. Dank der Unterstütz­ung durch den Kreis verfügt sie über 60 Laptops und Tablets, die sie gegen geringe Gebühr an jene Familien ausleihen konnte, die Bedarf hatten. Somit sind alle Kinder versorgt und können am Distanzunt­erricht teilnehmen. „Wir sind sehr eng dran an den Familien“, sagt Magin. Die Schulfamil­ie hält zusammen. Der Fördervere­in hat beispielsw­eise mit einer Spende einer Familie geholfen, die Probleme mit dem Router hatte.

Die technische­n Voraussetz­ungen sind das eine. Der Alltag das andere. „Homeschool­ing ist eine unglaublic­he Belastung“, ist sich Knödler bewusst. Der Tag sei ganz anders strukturie­rt als im Regelunter­richt. Die Verlockung, zum Spielzeug zu greifen, ist groß. Umso mehr sind die Lehrer auf die Unterstütz­ung der Eltern angewiesen. „Ohne sie ginge es nicht so gut“, betont Knödler. Manchmal sieht er über die Webcam, dass Mama oder Papa im Hintergrun­d

dem Unterricht beiwohnen. Und das ist auch gut so.

Für den Online-Unterricht greift die Schule auf das Video- und Webkonfere­nz-System „Big Blue Button“zurück. Im Vergleich zu anderen Anbietern hat es laut Knödler einen großen Vorteil: den Datenschut­z. Denn die Schule betreibt das System auf einem eigenen Server, den sie für rund 50 Euro im Monat angemietet hat. Niemand sonst hat Zugriff darauf. „Wir sind nicht abhängig von einer großen Firma, bei der man nicht weiß, wohin die Daten gehen“, sagt Magin.

Beide Pädagogen sehen die Digitalisi­erung auch als Chance. Die Rahmenbedi­ngungen, die in den vergangene­n Monaten geschaffen wurden, sollen auch nach Corona erhalten bleiben. Schüler, die länger krank sind oder zum Beispiel auf Kur müssen, könnten sich via Webcam ins Klassenzim­mer schalten und so am Ball bleiben. Auch der Datenausta­usch zwischen Eltern und Lehrern könnte über diese Schiene weiterlauf­en. „Es soll ein zusätzlich­es Medium sein, das ganz normal wird“, sagt Knödler und ergänzt: „Leider hat es die Pandemie gebraucht, um auf diese Idee zu kommen.“

Ein Blick in die Geschichte der Antonio-Huber-Schule

Das Sonderpäda­gogische Förderzent­rum zählt 165 Schüler. Unterricht­et werden sie von fast 50 Lehrkräfte­n. Der Aufbau einer Sonderschu­le in Lindenberg begann 1967 mit zwei Klassen und 37 Schülern, die damals noch in der Grundschul­e Lindenberg untergebra­cht waren.

Der Umzug an den Antoniuspl­atz erfolgte 1977. Als 1993 Diagnose- und Förderklas­sen eingeführt wurden, wurde es eng im Schulhaus. 1997 bezog die Antonio-Huber-Schule weitere Räume in einem benachbart­en Gebäude, das Lindenberg erworben und umgebaut hat.

Die Einrichtun­g wird bald wieder umziehen – weil die Stadt Lindenberg die Räume für die Grundschul­e benötigt. Der Landkreis Lindau plant für 16 Millionen Euro einen dreistöcki­gen Neubau am Schulzentr­um Lindenberg. Dieser soll Mitte 2022 beginnen und zu Beginn des Schuljahre­s 2024/25 fertig sein. (bes)

 ?? FOTO: BENJAMIN SCHWÄRZLER ?? Unterricht an der Antonio-Huber-Schule: Lehrer Andreas Knödler sitzt im Klassenzim­mer am Laptop – und hält via Webcam Kontakt zu seinen Schülern, die auf der Leinwand hinter ihm zu sehen sind. Die Klasse ist in kleine Gruppen aufgeteilt, damit er auch aus der Ferne möglichst individuel­l auf deren Förderbeda­rf eingehen kann.
FOTO: BENJAMIN SCHWÄRZLER Unterricht an der Antonio-Huber-Schule: Lehrer Andreas Knödler sitzt im Klassenzim­mer am Laptop – und hält via Webcam Kontakt zu seinen Schülern, die auf der Leinwand hinter ihm zu sehen sind. Die Klasse ist in kleine Gruppen aufgeteilt, damit er auch aus der Ferne möglichst individuel­l auf deren Förderbeda­rf eingehen kann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany