Putins Alptraumschloss
Enthüllungen über Palast am Schwarzen Meer blamieren den Kreml-Chef
- Ein Hyundai-Jeep rollte vorbei, die Insassen winkten mit Klobürsten, die Menge auf der Rukosowkaja Straße jubelte. Dann kam ein gelber Lieferwagen, aus seinem Dach ragte eine meterlange Klobürste mit goldenen und rotbraunen Borsten in den Moskauer Winterhimmel. Der Jubel wurde lauter.
Die Hauptstadtrussen, die am Sonntag an der Protestdemonstration für den Regimekritiker Alexej Nawalny teilnahmen, wussten genau, was gemeint war: Jene 700 Euro teuren Klobürsten aus Edelmetall, die laut Nawalnys Enthüllungsvideo für die Privatgemächer des Schlosses bestimmt sind, das man für Wladimir Putin am Steilufer des Schwarzen Meer baut.
Über 104 Millionen YouTubeNutzer, also mehr als zwei Drittel der Russen, haben den Film über den mindestens 1,1 Milliarden Euro teuren Palast gesehen. „Das Video hat sehr ernsthafte politische Folgen“, sagte der konservative Moskauer Publizist Maxim Schewtschenko der „Schwäbischen Zeitung“. „Die Leute sehen, wie die oberste Staatsführung für ihr eigenes Vergnügen lebt, während immer mehr Russen unter die Armutsgrenze rutschen.“
Ein monströses Anwesen im neoklassizistischen Stil auf einem Grundstück, dass 39 mal so groß ist wie das Fürstentum Monaco. Mit unterirdischer Eishockeyhalle, Spielcasino, zwei „Aquadiscos“, einem 16stöckigen Kellersystem mit Weinkellern und Tunnel zum eigenen Strand. Und ein Objekt, dass die russische Präsidialverwaltung inzwischen von einer Peinlichkeit in die andere stürzt. Weil es Wladimir Putin selbst als maßlos, eitel und geschmacklos hinstellt. Putins Alptraumschloss.
Eigentlich lehnt der Kreml es ab, die Antikorruptionsfilme Nawalnys zu kommentieren. Da werde dem Präsidenten etwas als Besitz zugeschrieben, das nicht existiere, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow anfangs. Aber dann schaltete sich Putin persönlich ein. Das, was da gezeigt werde, gehöre weder ihm noch seinen engen Verwandten. „Und es hat uns auch niemals gehört.“Ende Januar meldete sich zumindest ein sehr enger Bekannter Putins: Der Baumagnat
Arkadi Rotenberg, der in Leningrad den Judo-Trainingspartner für den späteren Staatschef gemacht hatte. Und unter Putin Dollarmilliardär wurde. Er outete sich als Besitzer. Sicher, das sei „ein ziemlich skandalöses und schweres Gebäude", aber er wolle dort ein Apart-Hotel bauen. „Darum gibt es ziemlich viele Zimmer.“
Das kremlnahe Portal „mash.ru“zeigte Rohbau-Innenaufnahmen, die offenbar von dem in Italien bestellten Elite-Interieur ablenken sollten. Aber sie bestätigen nur Nawalnys Aussage, das Bauwerk müsse wegen Planungsfehlern komplett renoviert werden. Die Internetzeitung „meduza.io“veröffentlichte eine Reportage, in der Arbeiter und Ingenieure zu Wort kommen, die an dem schon über zehn Jahre dauernden Bau beteiligt waren. Nach ihren Aussagen tauchte Wladimir Putin mindestens viermal vor Ort auf. Alle hätten verstanden, dass sie eine Residenz bauten, sagt einer der Techniker. „Für den ersten Mann des Staates.“Als Putins Kronzeuge meldet sich umgehend Jewgeni Kiseljow zu Wort – Moderator eines staatlich gelenkten TVSenders. Er verkündete, der Palast besitze ein Wasserpfeifenrauch-Kabinett und könne deshalb nicht Putin gehören: Der sei ja Nichtraucher.
Wladimir Putin und seine Propaganda-Experten wirken wenig überzeugend. „Sie haben ein gewaltiges Problem“, erklärt Maria Pewtschich, Nawalnys Chefrechercheurin, dem Kanal TV-Doschd. „So alberne Dinge wie eine Aquadiscothek oder ein
Lagerraum für Heilschlamm sind zu fundamentalen Themen im Kampf gegen Putin geworden.“
Und die Klobürsten des Palastes könnten in Russland zum politischen Meme des Jahrs werden. „All diese Einzelheiten entfremden das Volk nicht nur von der Staatsmacht, sie rufen auch seine Verachtung hervor“, sagt Schewtschenko. „Das Schloss ist ja nicht nur ein Schloss, es ist auch geschmacklos bis zur Ungehörigkeit, es ist schmuddelig.“Trotz des millionenfach geklickten Videos habe die Enthüllung noch keine direkten Auswirkungen auf die politische Situation, die auf Gummiknüppeln thronende Staatsmacht habe dem Volk jede Möglichkeit zur Einflussnahme genommen. „Aber langfristig läuft alles auf Revolution heraus.“