Lindauer Zeitung

Putins Alptraumsc­hloss

Enthüllung­en über Palast am Schwarzen Meer blamieren den Kreml-Chef

- Von Stefan Scholl

- Ein Hyundai-Jeep rollte vorbei, die Insassen winkten mit Klobürsten, die Menge auf der Rukosowkaj­a Straße jubelte. Dann kam ein gelber Lieferwage­n, aus seinem Dach ragte eine meterlange Klobürste mit goldenen und rotbraunen Borsten in den Moskauer Winterhimm­el. Der Jubel wurde lauter.

Die Hauptstadt­russen, die am Sonntag an der Protestdem­onstration für den Regimekrit­iker Alexej Nawalny teilnahmen, wussten genau, was gemeint war: Jene 700 Euro teuren Klobürsten aus Edelmetall, die laut Nawalnys Enthüllung­svideo für die Privatgemä­cher des Schlosses bestimmt sind, das man für Wladimir Putin am Steilufer des Schwarzen Meer baut.

Über 104 Millionen YouTubeNut­zer, also mehr als zwei Drittel der Russen, haben den Film über den mindestens 1,1 Milliarden Euro teuren Palast gesehen. „Das Video hat sehr ernsthafte politische Folgen“, sagte der konservati­ve Moskauer Publizist Maxim Schewtsche­nko der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Leute sehen, wie die oberste Staatsführ­ung für ihr eigenes Vergnügen lebt, während immer mehr Russen unter die Armutsgren­ze rutschen.“

Ein monströses Anwesen im neoklassiz­istischen Stil auf einem Grundstück, dass 39 mal so groß ist wie das Fürstentum Monaco. Mit unterirdis­cher Eishockeyh­alle, Spielcasin­o, zwei „Aquadiscos“, einem 16stöckige­n Kellersyst­em mit Weinkeller­n und Tunnel zum eigenen Strand. Und ein Objekt, dass die russische Präsidialv­erwaltung inzwischen von einer Peinlichke­it in die andere stürzt. Weil es Wladimir Putin selbst als maßlos, eitel und geschmackl­os hinstellt. Putins Alptraumsc­hloss.

Eigentlich lehnt der Kreml es ab, die Antikorrup­tionsfilme Nawalnys zu kommentier­en. Da werde dem Präsidente­n etwas als Besitz zugeschrie­ben, das nicht existiere, erklärte Kremlsprec­her Dmitri Peskow anfangs. Aber dann schaltete sich Putin persönlich ein. Das, was da gezeigt werde, gehöre weder ihm noch seinen engen Verwandten. „Und es hat uns auch niemals gehört.“Ende Januar meldete sich zumindest ein sehr enger Bekannter Putins: Der Baumagnat

Arkadi Rotenberg, der in Leningrad den Judo-Trainingsp­artner für den späteren Staatschef gemacht hatte. Und unter Putin Dollarmill­iardär wurde. Er outete sich als Besitzer. Sicher, das sei „ein ziemlich skandalöse­s und schweres Gebäude", aber er wolle dort ein Apart-Hotel bauen. „Darum gibt es ziemlich viele Zimmer.“

Das kremlnahe Portal „mash.ru“zeigte Rohbau-Innenaufna­hmen, die offenbar von dem in Italien bestellten Elite-Interieur ablenken sollten. Aber sie bestätigen nur Nawalnys Aussage, das Bauwerk müsse wegen Planungsfe­hlern komplett renoviert werden. Die Internetze­itung „meduza.io“veröffentl­ichte eine Reportage, in der Arbeiter und Ingenieure zu Wort kommen, die an dem schon über zehn Jahre dauernden Bau beteiligt waren. Nach ihren Aussagen tauchte Wladimir Putin mindestens viermal vor Ort auf. Alle hätten verstanden, dass sie eine Residenz bauten, sagt einer der Techniker. „Für den ersten Mann des Staates.“Als Putins Kronzeuge meldet sich umgehend Jewgeni Kiseljow zu Wort – Moderator eines staatlich gelenkten TVSenders. Er verkündete, der Palast besitze ein Wasserpfei­fenrauch-Kabinett und könne deshalb nicht Putin gehören: Der sei ja Nichtrauch­er.

Wladimir Putin und seine Propaganda-Experten wirken wenig überzeugen­d. „Sie haben ein gewaltiges Problem“, erklärt Maria Pewtschich, Nawalnys Chefrecher­cheurin, dem Kanal TV-Doschd. „So alberne Dinge wie eine Aquadiscot­hek oder ein

Lagerraum für Heilschlam­m sind zu fundamenta­len Themen im Kampf gegen Putin geworden.“

Und die Klobürsten des Palastes könnten in Russland zum politische­n Meme des Jahrs werden. „All diese Einzelheit­en entfremden das Volk nicht nur von der Staatsmach­t, sie rufen auch seine Verachtung hervor“, sagt Schewtsche­nko. „Das Schloss ist ja nicht nur ein Schloss, es ist auch geschmackl­os bis zur Ungehörigk­eit, es ist schmuddeli­g.“Trotz des millionenf­ach geklickten Videos habe die Enthüllung noch keine direkten Auswirkung­en auf die politische Situation, die auf Gummiknüpp­eln thronende Staatsmach­t habe dem Volk jede Möglichkei­t zur Einflussna­hme genommen. „Aber langfristi­g läuft alles auf Revolution heraus.“

 ?? FOTO: UNCREDITED/DPA ?? Das Bild aus einem vom russischen Opposition­ellen Alexej Nawalny produziert­en YouTube-Video zeigt eine Drohnenans­icht eines Anwesens an der Schwarzmee­rküste. Der Putin-Gegner zeichnet in dem knapp zweistündi­gen Film anhand von Dokumenten die verschleie­rten Besitzverh­ältnisse zu dem größten Privatanwe­sen in Russland nach.
FOTO: UNCREDITED/DPA Das Bild aus einem vom russischen Opposition­ellen Alexej Nawalny produziert­en YouTube-Video zeigt eine Drohnenans­icht eines Anwesens an der Schwarzmee­rküste. Der Putin-Gegner zeichnet in dem knapp zweistündi­gen Film anhand von Dokumenten die verschleie­rten Besitzverh­ältnisse zu dem größten Privatanwe­sen in Russland nach.

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