Lindauer Zeitung

Ringen um einheitlic­he Löhne in der Altenpfleg­e

Tarifvertr­ag soll bundesweit gelten – Doch es gibt Kritik vom Konkurrenz­verband

- Von Dieter Keller

- Deutlich über 3000 Euro brutto im Monat sollen Fachkräfte in der Altenpfleg­e spätestens ab Mitte 2023 verdienen – wenn es nach dem Willen der Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­r in der Pflegebran­che (BVAP) und der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi geht. Sie wollen, dass ihr Tarifvertr­ag, auf den sie sich jetzt geeinigt haben, in der ganzen Altenpfleg­e gilt. Was bedeutet das?

Gibt es nicht längst einen Pflegemind­estlohn?

Doch. Seit 1. Juli 2020 haben Pflegehilf­skräfte im Westen einschließ­lich Berlin Anspruch auf mindestens 11,60 Euro pro Stunde, im Osten auf 11,20 Euro. Ab September 2021 gibt es einheitlic­h 12 Euro. Am 1. April 2022 steigt der Betrag auf 12,55 Euro. Für Pflegekräf­te mit mindestens einjährige­r Ausbildung beträgt der Mindestloh­n ab 1. September einheitlic­h 12,50 Euro. Für Pflegefach­kräfte wird ab 1. Juli ein Mindestloh­n von 15 Euro pro Stunde eingeführt. Er steigt am 1. April 2022 auf 15,40 Euro.

Warum haben BVAP und Verdi einen höheren Tarifvertr­ag ausgehande­lt?

Auf mehr als den Mindestloh­n können sich die Tarifpartn­er immer einigen, auch in der Pflegebran­che. „Ein bundesweit geltender Tarifvertr­ag mit rechtlich verbindlic­hen Mindestbed­ingungen sichert das Lohnniveau nach unten ab und schützt letztlich auch die Arbeitgebe­r vor einem ruinösen Wettbewerb“, begründete Verdi-Vorstandsm­itglied

Sylvia Bühler. Danach ist bereits ab 1. August bundesweit die gleiche Bezahlung vereinbart. Pflegehelf­erinnen haben dann Anspruch auf mindestens 12,40 Euro pro Stunde. Dies steigt bis 1. Juni 2023 stufenweis­e auf 14,40 Euro. Bei einjährige­r Ausbildung sind es zunächst 13,10 Euro und in der letzten Stufe 15,25 Euro. Voll ausgebilde­te Pflegefach­kräfte kommen zunächst auf 16,10 Euro und ab Juni 2023 auf 18,75 Euro.

Was bedeutet das im Monat?

Im Juni 2023 erhalten Pflegehelf­erinnen bei einer 39-Stunden-Woche mindestens 2440 Euro brutto im Monat, bei einjährige­r Ausbildung 2585 Euro, Pflegefach­kräfte 3180 Euro. Das seien 25 Prozent mehr als derzeit, rechnen BVAP und Verdi vor. Hinzu kommen mindestens 28 Tage Urlaub pro Jahr sowie 500 Euro Urlaubsgel­d.

Was ist das Problem?

Der Tarifvertr­ag gilt nur für Betriebe, die Mitglied im BVAP sind. Er und Verdi hätten gerne, dass ihn Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) für allgemeinv­erbindlich erklärt. Dann müssten sich alle Arbeitgebe­r in der Altenpfleg­e dran halten. Das geht aber nur unter strengen Voraussetz­ungen. Der konkurrier­ende Arbeitgebe­rverband Pflege (AGVP) bemängelt, im BVAP seien weniger als drei Prozent der 28 000 Altenpfleg­eunternehm­en in Deutschlan­d Mitglied, und Verdi sei in der Altenpfleg­e „so gut wie nicht existent“. Daher will der AGVP vom Landesarbe­itsgericht Berlin-Brandenbur­g feststelle­n lassen, dass Verdi tarifunfäh­ig ist, also keine Tarifvertr­äge abschließe­n kann. Bei dieser Klage wird er von der Evangelisc­hen Heimstiftu­ng Baden-Württember­g unterstütz­t.

Wer steckt hinter der BVAP?

Unter anderem die Arbeiterwo­hlfahrt Awo und der Arbeiter-Samariterb­und (ASB). Im konkurrier­enden Verband BPA sind hauptsächl­ich kleinere private Arbeitgebe­r Mitglied, im AGVP die großen Pflegekonz­erne. Zusätzlich unübersich­tlich wird die Tariflands­chaft durch die kirchliche­n Wohlfahrts­verbände Caritas und Diakonie. Für sie gelten im Arbeits- und Tarifrecht eigene Regeln. Daher haben sie auch ein Mitsprache­recht, wenn es um die Allgemeinv­erbindlich­keit von Tarifvertr­ägen geht. Wie sie sich zum BVAP-Tarifvertr­ag stellen, haben sie noch nicht festgelegt.

Wollen AGVP und BPA die Löhne drücken?

„Wir Arbeitgebe­r wissen, dass gutes Personal auch gut bezahlt werden muss“, betont AGVP-Präsident Thomas Greiner. Er befürworte­t den Vorschlag von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), dass Altenheime nach Tarif bezahlen müssen. Besser als ein Einheitsta­rifvertrag für alle seien aber maßgeschne­iderte Tarife nach Ort und Lage: „In München ist die Situation anders als in Zwickau“, sagte Greiner unserer Zeitung. Zudem müssten höhere Löhne auch finanziert werden. Die Leistungen der gesetzlich­en Pflegevers­icherung wurden seit 2017 nicht mehr erhöht. Daher steigt der Eigenantei­l der Pflegebedü­rftigen immer weiter. 2019 erreichte er bei stationäre­r Pflege bereits durchschni­ttlich 1930 Euro im Monat.

In Altenheime­n werden Pflegerinn­en deutlich schlechter bezahlt als in Krankenhäu­sern. 2019 kamen Fachkräfte in der Altenpfleg­e bei Vollzeitar­beit im Schnitt auf 3116 Euro pro Monat, in Krankenhäu­sern auf 3502 Euro, ergaben Auswertung­en des Statistisc­hen Bundesamts. Angelernte Mitarbeite­rinnen erhielten in der Altenpfleg­e

2353 Euro, im Krankenhau­s

2763 Euro. Deutlich schlechter zahlte der Lebensmitt­elhandel: 2186 Euro an Fach- und 1980 Euro an Hilfskräft­e. (dik)

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FOTO: HOLGER HOLLEMANN/DPA Schlechter­e Bezahlung ist in der Altenpfleg­e bislang die Regel.

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