Lindauer Zeitung

Plötzlich ist das Leben beider Kinder in Gefahr

Familie bangt um Laura und ihren kleinen Bruder – Viele Helfer lassen sich für Stammzelle­nspende typisieren

- Von Susi Donner

- Der Schock über die schlimme Diagnose Myelodyspl­astisches Syndrom (MDS) ihrer zehnjährig­en Tochter Laura vor gut einer Woche sitzt noch tief, da müssen sich die Eltern auch schon mit einer zweiten Angst auseinande­rsetzen. Weil MDS, eine schwere Erkrankung des blutbilden­den Systems, eine genetisch bedingte Mutation darstellt, besteht die Möglichkei­t, dass auch Lauras fünfjährig­er Bruder davon betroffen ist. In diesen Tagen wird er in der Uniklinik in Ulm untersucht.

Es ging alles so schnell. Laura – ein fröhliches und hilfsberei­tes Mädchen, selbst in der Jugendwass­erwacht aktiv – war zuvor völlig gesund. Aber seit einiger Zeit sehr blass. Die Eltern machten sich Sorgen und ließen sie beim Kinderarzt untersuche­n. Der Bluttest brachte einen extrem niedrigen Hämoglobin­wert als erstes Resultat, der nur ein Drittel des Normalen betrug. Lauras Befund war lebensbedr­ohlich. Die Diagnose lautete Myelodyspl­astisches Syndrom (MDS) Monosomie 7.

Es war sofort klar, dass Laura einen Stammzelle­nspender braucht, denn eine Stammzelle­ntransplan­tation ist die einzige Chance auf Heilung. Lauras kleiner Bruder wäre der ideale Spender, und die Untersuchu­ng brachte das Ergebnis, dass er ihr genetische­r Zwilling ist. Beinahe gleichzeit­ig fanden sich in der Datenbank der DKMS, mit der die Familie bereits Kontakt aufgenomme­n hatte, weitere genetische Zwillinge für Laura. „Das ist wie ein Sechser im Lotto“, sagt ihr Papa dankbar.

Aber auf die gute Nachricht folgte leider die nächste Sorge: MDS ist mit einer Häufigkeit von weniger als zwei Fällen im Jahr pro einer Million Kindern unter 14 Jahren in Deutschlan­d zwar eine sehr seltene Erkrankung. Da sie auf einer genetische­n Mutation beruht, ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass auch der Fünfjährig­e sie ererbt hat. Dann käme er natürlich nicht für Laura als Spender infrage. Vielmehr bräuchte er selbst in absehbarer Zukunft eine Stammzelle­nspende.

Was es für Eltern bedeutet, wenn ihr Kind die Diagnose einer lebensbedr­ohenden Erkrankung erhält, ist kaum vorstellba­r. Für Laura wurde schneller als geahnt ein genetische­r Zwilling gefunden. Wenn nun mitten in diese Hoffnung die Tatsache platzt, dass der kleine Bruder an derselben Krankheit leiden könnte, bricht die Welt gleich noch einmal zusammen. Die Ungewisshe­it dauert noch ein paar Tage. „Wir geben uns gegenseiti­g Halt“sagt Lauras Papa.

Laura gehe es in der Zwischenze­it ordentlich. „Sie ist so ein taffes Mädchen“, sagt ihr Papa gerührt. Um die Zeit bis zu ihrer langwierig­en Behandlung zu überbrücke­n, erhält sie Bluttransf­usionen, die ihr augenschei­nlich sehr guttun. „Man nimmt es immer als so selbstvers­tändlich hin, wenn alles gut ist. Dabei ist nichts selbstvers­tändlich. Wenn Du Angst um Dein Kind hast, ist von einer Sekunde auf die andere alles andere unwichtig“, sagt Lauras Papa.

Dieses „von einer Sekunde auf die andere“sei es auch, was ihren Freunden bei den Helfern vor Ort Nonnenhorn/Wasserburg (HvO) durch Mark und Bein gefahren sei. Sie sind oft die Ersten, die Hilfe leisten, wenn Mitmensche­n in Not geraten. „Wenn es aber einen aus den eigenen Reihen trifft, ist der Schock viel näher“, sagt Anika Kienzle von den HvO. Nicht aber die Ohnmacht. Denn die HvO haben sofort gehandelt und weitere Hilfsorgan­isationen und Vereine sogar über die Grenze hinaus mobil gemacht. Die Fürsorge der Freunde und der Familien sei es gewesen, was sie durch die ersten schrecklic­hen Tage getragen habe, erzählt Lauras Papa. „Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn du allein durch solche Ängste gehen musst.“

Zunächst gingen sie davon aus, dass die Zeit drängen würde, wohl wissend, wie lange es dauern kann, bis ein geeigneter Stammzelle­nspender gefunden ist. Denn eine Folge der Erkrankung ist, dass aus dem Knochenmar­k, das keine voll funktionsf­ähigen Blutzellen produziere­n kann, zu viele unreife Blutzellen, sogenannte Blasten, in die Blutbahn gelangen. Wenn diese eine bestimmte Prozentzah­l überschrei­ten, droht ohne eine Stammzelle­ntransplan­tation eine akute Leukämie. Blutkrebs. So riefen die Helfer vor Ort auf, dass sich möglichst viele Menschen typisieren lassen sollen. Denn je mehr Menschen in der Spenderkar­tei stehen, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, einen genetische­n Zwilling zu finden. Umso größer ist nun die Freude, dass die DKMS bereits mögliche Spender in ihrer Datenbank hatte. Das war ein unverhofft­er Glücksfall.

Laura hat nun eine dreimonati­ge, anstrengen­de Behandlung vor sich, die sie mit der Unterstütz­ung ihrer Eltern, ihrer Familie und Freunde überstehen wird. Es geht alles seinen Gang. Wenn der kleine Bruder auch positiv auf die Genmutatio­n getestet werden würde, würden zu ihm, als Lauras genetische­m Zwilling, auch die in der Datenbank gefundenen möglichen Spender passen.

Die Familie könnte sich nun völlig auf sich konzentrie­ren, zumal ihr das große öffentlich­e Interesse beinahe schon zu viel wird. Das ist ein echtes Dilemma, weil sie grundsätzl­ich so unfassbar dankbar ist für die Unterstütz­ung, Hilfe und Anteilnahm­e. Dennoch zieht sie sich nicht zurück. „Wir haben gesehen, wie schnell alles anders werden kann. Dass es jeden betreffen kann. Niemand ist sicher vor schlimmen Diagnosen. Wir wollen dazu beitragen, dass sich möglichst viele Menschen bei der DKMS registrier­en lassen“, sagt Lauras Papa. „Wir wollen uns stark machen für andere Betroffene. Ich wünsche allen, die dasselbe Schicksal erleiden, dass auch sie nicht allein sind.“Deshalb startet an diesem Dienstag die Registrier­ungsaktion, organisier­t von den HvO Nonnenhorn/ Wasserburg, Lauras Familie und Freunden gemeinsam mit der DKMS. Wer mitmacht, könnte ein Lebensrett­er für einen anderen Menschen sein. Laura kann dabei sehen, wie viele Menschen sich durch ihren Aufruf haben typisieren lassen.

Markus Schwendele, Notfallsan­itäter und Mitglied bei den HvO Nonnenhorn, sagt: „Es ist wirklich ganz einfach. Jeder kann das.“Denn wie für Laura, ist für viele andere Erkrankte die Stammzelle­nspende die einzige Hoffnung und Chance auf Heilung. Andersheru­m: Über eine Registrier­ung bei der DKMS kann jeder ohne eigenes Risiko zum Lebensrett­er werden. Wer über 55 Jahre ist, und somit für eine Stammzelle­nspende zu alt, kann die DKMS finanziell unterstütz­en, denn eine Typisierun­g kostet 35 Euro.

Unter dem Link

www.dkms.de/helfervoro­rt gelangen Interessie­rte auf die DKMS-Seite der HvO Nonnenhorn. Wegen der Pandemie bietet die DKMS die unkomplizi­erte OnlineRegi­strierung an. Jeder Interessie­rte kann sich ein Registrier­ungsset nach Hause bestellen. Die Abnahme der Probe ist mit den Wattestäbc­hen ganz einfach.

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FOTO: HVO Die Helfer vor Ort Nonnenhorn/Wasserburg Bodensee haben gesehen, wie schnell auf der ruhigen See des Lebens ein beängstige­nder Sturm ausbricht.
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FOTO: HVO Max Knörle von den Helfern vor Ort Nonnenhorn/Wasserburg hat sein Typisierun­gsset fotografie­rt. Die Durchführu­ng sei ganz einfach, sagt er.

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