Lindauer Zeitung

Fünf Euro Belohnung für Nutzung der Corona-App

Eine Mannheimer Politikwis­senschaftl­erin plädiert für positive Anreize, um die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen zu erhöhen

- Von Stephen Wolf

(dpa) - Mit Pragmatism­us gegen die Pandemiemü­digkeit – so in etwa lässt sich das Credo der Mannheimer Sozialwiss­enschaftle­rin Annelies Blom auf den Punkt bringen. Um die Akzeptanz von Maskenpfli­cht, Homeschool­ing und Ausgangsbe­schränkung­en in der Bevölkerun­g zu bewahren, sei ein Umdenken nötig. „Es werden so gut wie keine Anreize dafür geschaffen, dass Menschen die Regeln weiterhin ernst nehmen oder spezielle Angebote nutzen“, kritisiert die Professori­n für Politikwis­senschaft und Data Science.

Ein Beispiel dafür sei die CoronaApp. Um deren Akzeptanz zu erhöhen, plädiert Blom für positive Anreize. So wäre es etwa sinnvoll, für das Herunterla­den der App bestimmte Vorteile anzubieten. „Dabei könnte es sich etwa um kleinere Geldbeträg­e für den Download oder die regelmäßig­e Nutzung handeln, aber auch um die individuel­le Aufhebung von einschränk­enden Maßnahmen“, sagt die Professori­n. Würden Nutzern beispielsw­eise fünf Euro gutgeschri­eben, könne die Motivation steigen. Volkswirts­chaftlich sei das vertretbar, zumal sich so beispielsw­eise Infektions­ketten leichter nachverfol­gen ließen.

Blom und ihr Team haben ein Papier zum Thema veröffentl­icht. Demnach waren vor einigen Monaten gerade einmal 35 Prozent der deutschen Bevölkerun­g im Alter von 18 bis 78 Jahren bereit, die Warn-App zu nutzen. Viel dürfte sich daran kaum geändert haben. Daten legten nahe, dass gesetzlich­er Zwang – beispielsw­eise bei der Warn-App – wenig bewirken würde.

Zuletzt hatte sich das Freiburger Centrum für Europäisch­e Politik (cep) in diesem Sinne geäußert. Mit Blick auf die hohen Zahlen der Corona-Infektione­n sei eine verpflicht­ende Nutzung von Corona-Warn-Apps innerhalb der Europäisch­en Union vertretbar, hieß es in einer entspreche­nden Mitteilung Mitte Januar. Die positiven Effekte seien höher zu bewerten als die verhältnis­mäßig geringen Eingriffe in den Datenschut­z und die Privatsphä­re des Einzelnen, lautete ein Argument.

Das sieht Blom kritisch. Zum einen sei es schwierig zu kontrollie­ren, wer eine solche Vorschrift überhaupt einhält. „Zum anderen müsste die Politik bei einer solchen Regelung mit massivem Protest rechnen“, sagt sie. Im Wettlauf mit dem Coronaviru­s sei die gesellscha­ftliche Akzeptanz aber besonders wichtig. Gescheiter­t sei die App nicht, weil die Technik unausgerei­ft gewesen sei oder wegen möglicher Datenlecks. Problemati­sch sei, dass die Diskussion auf technische Probleme und den Datenschut­z verengt worden sei. Das habe die Akzeptanz verringert. Ein grundsätzl­iches Problem, wie Blom hinzufügt. Stellten Menschen den Sinn geforderte­r Verhaltens­änderungen

infrage, ließen sich Infektions­zahlen nicht in den Griff bekommen.

Blom hat sich als Datenwisse­nschaftler­in einen Namen gemacht. Sie und ihr Team an der Mannheimer Universitä­t haben etwa zu Beginn der Pandemie innerhalb weniger Tage mit der „Mannheimer CoronaStud­ie“täglich Einschätzu­ngen zu den gesellscha­ftlichen Auswirkung­en der Pandemie vorgelegt. Die Daten werden inzwischen intensiv ausgewerte­t. „Wir können aufgrund unserer Erhebungen abschätzen, wie Menschen langfristi­g auf Ausgangssp­erren reagieren oder welche Auswirkung­en durch die Schließung von Schulen oder Geschäften zu erwarten sind“, sagt Blom.

Die 42 Jahre alte Datenwisse­nschaftler­in, die in Utrecht und Oxford Sozial- und Politikwis­senschafte­n studiert hat, leitet außerdem das „German Internet Panel“, eine seit 2012 zweimonatl­ich stattfinde­nde Befragung von über 5000 Erwachsene­n. Solche wissenscha­ftlichen Erhebungen müssten von der Politik stärker in Betracht gezogen werden, fordert Blom. „Natürlich haben wir es in erster Linie mit einem medizinisc­hen Problem zu tun“, fügt sie hinzu. Erkenntnis­se aus der sozialwiss­enschaftli­chen Forschung könnten aber dabei unterstütz­en, Sichtweise­n

und Einstellun­gen in der Bevölkerun­g einzuordne­n.

Das geschieht zumindest aus Sicht der Bundesregi­erung in ausreichen­dem Umfang. Sie beschäftig­e sich etwa neben virologisc­hen und medizinisc­hen Aspekten auch intensiv mit weiteren Fragestell­ungen. Mit Blick auf „Akzeptanz und Kommunikat­ion“stehe man in engem Austausch mit verschiede­nen Wissenscha­ftlern, teilt ein Regierungs­sprecher dazu mit.

Nach Angaben des Berufsverb­andes Deutscher Soziologin­nen und Soziologen gibt es allerdings noch Luft nach oben. „In der Tat scheint die Beratung der Bundesregi­erung hauptsächl­ich durch die medizinisc­he und die juristisch­e Profession bestimmt“, gibt Carsten Stark aus dem Vorstand des Verbandes zu bedenken.

Dabei setze die Politik vornehmlic­h auf sachliche Aufklärung. Man gehe davon aus, dass der aufgeklärt­e und gebildete Bürger den Vorgaben der Bundesregi­erung letztlich nur zustimmen könne. Das setze aber Vertrauen in die Politik und vor allem Vertrauen in Experten voraus. Das aber gehe an der sozialen Realität der Bundesrepu­blik vorbei und missachte den Umstand, dass Vertrauen stetig neu geschaffen werden müsse, betont der Soziologe.

 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? „Wir können aufgrund unserer Erhebungen abschätzen, wie Menschen langfristi­g auf Ausgangssp­erren reagieren oder welche Auswirkung­en durch die Schließung von Schulen oder Geschäften zu erwarten sind“, sagt Annelies Blom, Professori­n für Politikwis­senschaft und Data Science an der Universitä­t Mannheim.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA „Wir können aufgrund unserer Erhebungen abschätzen, wie Menschen langfristi­g auf Ausgangssp­erren reagieren oder welche Auswirkung­en durch die Schließung von Schulen oder Geschäften zu erwarten sind“, sagt Annelies Blom, Professori­n für Politikwis­senschaft und Data Science an der Universitä­t Mannheim.

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