Proteste gegen Erdogan
150 Studenten in Istanbul festgenommen
- Nach der Festnahme von mehr als 150 Studenten in Istanbul weiten sich Proteste gegen die türkische Regierung aus. Aktivisten meldeten am Dienstag Solidaritätskundgebungen aus der Hauptstadt Ankara sowie aus anderen Landesteilen.
Am Montagabend war die Polizei in Istanbul mit einem Großaufgebot gegen Studenten der renommierten Bosporus-Universität vorgegangen, die seit mehreren Wochen gegen die Einsetzung eines neuen Rektors durch den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan protestieren. Die Behörden hatten dafür sogar Scharfschützen auf den Dächern um die Universität postieren lassen. Die Studenten wollen ihre Proteste dennoch fortsetzen.
Innenminister Süleyman Soylu, ein Nationalist und Kandidat für die Nachfolge Erdogans, heizte die Konfrontation an, indem er die Studenten auf Twitter mehrmals als „LGBTPerverse“beschimpfte. Twitter kennzeichnete die Kommentare daraufhin als Hassparolen, die erste derartige Entscheidung bei einem türkischen Minister. Soylu wirft den Studenten vor, ein Bild des islamischen Heiligtums Kaaba in Mekka mit der LGBT-Fahne kombiniert und damit entehrt zu haben.
Die Istanbuler Studenten und ihre Dozenten protestieren, seit Erdogan am 1. Januar den regierungstreuen
Akademiker Melih Bulu zum Rektor der Bosporus-Universität ernannte. Präsident Erdogan setzte sich damit über die Tradition der Hochschule hinweg, die ihren Rektor normalerweise aus den eigenen Reihen wählt. Die Bosporus-Universität ist eine der besten Hochschulen des Landes und ein Zentrum liberalen Denkens. Kritiker werfen der islamisch-konservativen Regierung vor, sich den Bildungssektor unterwerfen zu wollen.
Erdogans Regierung befürchtet, dass der Protest in Istanbul zu einem landesweiten Aufstand wie den Gezi-Unruhen von 2013 eskalieren könnte. Polizisten in Kampfmontur rückten am Montagabend auf den Campus der Universität vor, um eine geplante Nachtwache der Studenten vor dem Rektoratsgebäude zu zerschlagen. Fernsehbilder zeigten, wie Polizisten mit Knüppeln zuschlugen, nachdem sie die Studenten angewiesen hatten, sie sollten demütig den Kopf senken.
Von den 159 zunächst festgenommenen Studenten wurden bis zum Nachmittag knapp 100 wieder freigelassen. Für den Abend waren weitere Proteste in Istanbul geplant. Unter dem Hashtag #AsagiBakmayacagiz – wir werden den Kopf nicht beugen – riefen türkische Twitter-Nutzer zur Solidarität mit den Istanbuler Studenten auf. Oppositionspolitiker und Anwälte stellten sich ebenfalls hinter die Protestierenden.