Die Not der Händler wird immer größer
Manche Geschäfte haben schon geschlossen, andere stehen kurz vor dem Aus, nur wenige sind geöffnet
- Jeden Morgen schließt Cathrin Dreher ihre Spielecke in der Maximilianstraße auf. Sie drapiert Teddybären, Holzfiguren und Kinder-Schneeanzüge. So, als wäre es ein ganz normaler Arbeitstag. Ist es aber nicht. Denn die Lindauer Insel ist leer, und das schon seit Wochen. Wenn sie aus der Ladentür schaut, dann blickt Cathrin Dreher hauptsächlich auf verschlossene Türen und dunkle Schaufenster. Doch manche Händler werden diesen Zustand nicht mehr lange durchhalten.
Dass Cathrin Dreher ihren Laden auch während des Teil-Lockdowns ganz normal öffnen darf, hat sie erst Mitte Dezember erfahren. Weil sie Baby-Bedarf verkauft, ist sie systemrelevant. Mittlerweile hängt ein Schild in der Tür, das diesen Sonderfall erklärt.
Immer wieder schauen Kunden bei ihr rein und kaufen eine Kleinigkeit. „Das meiste sind Baby-Geschenke“, sagt die Händlerin. Von einem guten Geschäft sei sie aber noch weit weg, dafür seien auf der Insel schlicht zu wenig Leute unterwegs. „Für mich ist das eher eine Beschäftigung und ich kann zeigen, dass ich da bin“, sagt sie. Nebenbei macht sie Inventur. Cathrin Dreher weiß, dass sie in einer vergleichsweise glücklichen Lage ist. „Wenn die paar wenigen, die kommen, weiter kommen, dann überlebe ich das.“
Bei anderen Händlern auf der Insel ist die Lage dramatischer. „Momentan sind viele an dem Punkt, dass sie wie das Kaninchen vor der Schlange stehen“, sagt Robert Kainz, Sprecher der Interessengemeinschaft Zukunft Insel. Er zähle etwa zehn Händler, die nicht wissen, ob sie ihr Geschäft nach dem Lockdown wieder aufmachen werden. „Für sie wird es existenziell, sie schlafen schlecht.“Manche hätten die eigene Familie um Darlehen gebeten, nicht alle wollten über ihre Situation offen sprechen. Sie schämten sich. „Es gibt Einzelschicksale, die ihre Wohnung kündigen oder ihr Haus verkaufen müssen.“
Wer über die Insel läuft, kommt immer öfter an Schaufenstern vorbei, die mit Karton abgeklebt sind. „Ich weiß von ein paar Filialisten, die zugemacht haben“, sagt Kainz. Wie er, fürchteten auch andere einen „Leerstand“auf der Insel, der mitten in der Krise so schnell nicht wieder aufgefüllt werden könne. „In die leeren Geschäfte kommt ja nichts nach.“
Doch nicht jeder Geschäftsinhaber, der seinen Laden auf der Insel jetzt aufgibt, tut das allein wegen der Corona-Krise. Manche hätten schon länger mit dem Gedanken gespielt, andere seien ohnehin kurz vor dem Ruhestand gewesen. Die wochenlange Schließung ist dann eben der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Auch große Ketten haben sich mittlerweile von der Insel verabschiedet: Die Metzgerkette Vinzenz Murr hat ihre Filiale in der Maximilianstraße aufgegeben. Die Geschäftsführung äußert sich auf mehrmalige Nachfrage der LZ dazu nicht, allerdings berichten Mitarbeiter, dass sie gekündigt wurden. Manche von ihnen haben schon einen neuen Job, andere nicht. Die Bäckereikette Hamma hat ihre Filiale in der Maximilianstraße für die Zeit des Teil-Lockdowns geschlossen. Und natürlich geht es nicht nur um die Insel. Die Geschäfte auf dem Festland haben dieselben Probleme. „Wenn es keinen Wintersport gibt, ist das für ein Sportgeschäft eine Katastrophe“, sagt Kainz.
„Deutlich entspannter“sieht er die Lage in der Gastronomie, die eine sehr gute Sommersaison gehabt habe – und immerhin sollen Gastronomen ja drei Viertel ihres Verdienstausfalls ersetzt bekommen. „Die Regierung gibt da immer recht vollmundige Lippenbekenntnisse“, sagt Kainz. „Aber viele haben erst ganz geringe Abschläge bekommen, der Rest trudelt jetzt so langsam ein.“Und dann seien da noch die Angestellten, die diesen Winter nicht zum Arbeiten ins Skigebiet konnten. „Es hängt eben alles zusammen.“Von einem geschlossenen Restaurant oder Hotel sind auch Brauereien, Weinhändler, Obst- und Gemüselieferanten und Wäschereien betroffen.
Einige Restaurants, die im Frühjahr noch Essen zum Mitnehmen angeboten haben, machen das nun nicht mehr. Andere halten tapfer durch, kochen täglich und verbreiten ihre Angebote über die sozialen Medien. Auch viele Händler haben Schilder in ihren Schaufenstern, auf denen ihre Telefonnummern stehen. Schreibwarengeschäfte, die offiziell auch öffnen dürfen, bieten ihren Kunden Termine an, fast alle anderen Geschäftsinhaber haben einen Abhol- und Lieferservice. „Wir sind jetzt im Moment für Sie da“, steht auf einem Aufsteller von Inselbuch in der Fußgängerzone.
Nur: Wenn keiner über die Insel läuft, dann sieht auch keiner die Schilder. Zwar gebe es in Lindau glücklicherweise viele treue Kunden, so Kainz, die zu Weihnachten Gutscheine von heimischen Geschäften und Restaurants verschenkt hätten. „Aber es steht und fällt natürlich mit dem Engagement der Einzelnen.“Denn die Krise zeige auch: Was Internetseiten, Webshops und die Präsenz in den sozialen Medien angeht, gibt es in Lindau, wie Kainz es bezeichnet, „eine unheimlich heterogene Konstruktion“. Neben meist jungen, sehr online-affinen Geschäftsleuten gebe es eben auch solche, die sich bisher noch nicht viel mit ihrer Internetpräsenz auseinandergesetzt haben. „Bei manchen rächt sich jetzt die Tatsache, dass sie sich vorher nicht gekümmert haben.“Doch jetzt, wo vielleicht die Zeit dafür da wäre, fehle eben oft das Geld.
Auch deswegen freuen sich die meisten Händler über eine Aktion der LTK, die auf ihrer Internetseite alle Händler und Gastronomen, die das wollen, mit Fotos, Adresse, Kontaktdaten und Internetseite präsentiert. Gut 20 Händler sind dort mittlerweile aufgelistet, laut Kainz laufen derzeit aber jede Menge Fotoshootings, sodass noch einige Händler dazukommen werden.
Doch das allein wird sie nicht retten. „Wir können nur hoffen, dass die Lockerungen bald kommen“, sagt Kainz. Als Deadline nennt er Ostern. „Wenn es über Ostern hinausgeht, dann wird es ein Desaster.“Von der Stadt wünscht er sich einen Plan, wie Händler dann unterstützt werden könnten, zum Beispiel mit flexibleren Öffnungszeiten oder verkaufsoffenen Sonntagen. Damit die Insel wieder belebt wird. Und Cathrin Dreher nicht mehr fast die einzige ist, die dort täglich ihren Laden aufsperrt.
Robert Kainz, Sprecher von Zukunft Insel
„Wenn es über Ostern hinausgeht, dann wird es ein
Desaster.“
Die Liste der Händler und Gastronomen gibt es auf der Internetseite der LTK unter
www.lindau.de