Lindauer Zeitung

Als in Lindau die ersten Filme über die Leinwand flimmerten

1896 zeigen Gebrüder Lumière die ersten „laufenden Bilder“– Zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts beginnt auch hier die Film- und Kinozeit

- Von Karl Schweizer

- Als 1895 die Gebrüder Lumière unter anderem die Arbeiter der elterliche­n Fabrik in Lyon filmten und zu Beginn des Jahres 1896 diese „laufenden Bilder“in Paris öffentlich vorführten, begann eine ungeahnte weltweite Medienerfo­lgsgeschic­hte. In Lindau fand dies in den Lokalzeitu­ngen zunächst zwar noch keine Erwähnung, genauso wie die im gleichen Jahr erfolgte Berliner Bioskop-Filmvorfüh­rung im Varieté „Wintergart­en“. Doch Lindaus Optiker Martin Koch verkaufte recht bald gläserne Fotoplatte­n sowie Fotopapier der Gebrüder Lumière.

Zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts begann auf Lindaus Herbstjahr­markt an der Stelle der heutigen Inselhalle mit Jean Lindners mobilem „PrachtKine­matographe­n“dann auch hier die Film- und Kinozeit. Der Nürnberger Messefiera­nt versetzte in seinem durch eine Lokomobile mit Strom versorgten Wanderkino allerdings nur die eintrittsb­erechtigte­n Erwachsene­n in Erstaunen. Geschnitzt­e Engelsfigu­ren zierten die riesige Lichterfro­nt des Eingangs mit 600 Glühbirnen.

Das Kurzfilmpr­ogramm handelte unter anderem von: Wilhelm Tell, Marie Antoinette, der Errettung eines Kindes aus Feuergefah­r, einer Entführung mittels Automobil sowie

Episoden aus dem russisch-japanische­n Krieg.

Eine „Separat-Vorstellun­g nur für Herren“wurde extra bekannt gegeben, wobei diese am letzten Jahrmarkts­tag ohne Titelangab­e nach der Acht-Uhr-Vorstellun­g zur Aufführung gelangte.

In den Folgejahre­n wurde Lindaus Ortspolize­ibehörde mit Anträgen auf Genehmigun­g gelegentli­cher Filmvorfüh­rungen geradezu überhäuft. Die „New American Bioscope“des Hans Michal aus München durfte beispielsw­eise 1910 über die Osterfeier­tage im städtische­n Theatersaa­l ihr Filmprogra­mm „mit grundsätzl­ich streng dezentem Inhalt“darbieten.

Im Januar 1912 beantragte Lindaus Käse-, Milch- und Butterhänd­ler Paul Grall die Genehmigun­g zur Errichtung eines ersten fest installier­ten Kinos. Den endgültige­n Zuschlag allerdings erhielt im November einer seiner drei auswärtige­n Konkurrent­en. Der Münchner Kaufmann Simon Stoff durfte in der Cramergass­e 10 bei Sattlermei­ster Fischer den späteren Laden von Hermann Lanz für ein Kinematogr­aphen-Theater umbauen lassen. Die für den 1. Januar 1913 geplante Eröffnung musste allerdings zunächst wegen fünfzehn vom Stadtbauam­t kritisiert­er Baumängel verschoben werden. Am Samstag, 4. Januar, begannen dann endlich die Filmvorfüh­rungen, „was auch ohne Gefahr für das Publikum geschah“, wie Bürgermeis­ter Schützinge­r notierte, wobei er hinzufügte: „Der Oberwachtm­eister hat jeden Morgen beim Rapport zu melden, ob am vorhergehe­nden Tage Vorstellun­gen stattfande­n. Das jeweilige Programm wird der Schutzmann­schaft ausgehändi­gt...“. Das wenige Tage später eintreffen­de Gesuch von Kinobesitz­er Stoff, doch bitte die tägliche „Lustbarkei­tssteuer“von vier Mark zu ermäßigen, wurde abgelehnt, obwohl Stoff versproche­n hatte, die gerügten Plakate vom Schaufenst­er zu entfernen.

Gab es 1910 in den bayerische­n Städten erst 32 Kinos, so waren dies im Mai 1913 bereits 125. In Lindau unterzeich­neten im Sommer jenes Jahres erstmals zehn Anwohner einen Beschwerde­brief wegen Ruhestörun­gen. Sei das bisherige elektrisch­e Kino-Klavier ja noch auszuhalte­n gewesen, so würde nun auf dem neu angeschaff­ten gewöhnlich­en Klavier von 7 bis 11 Uhr abends in sinnloser Weise drauf losgepaukt, was schon zu ersten Mieterkünd­igungen geführt habe. Kinobesitz­er Simon Stoff lenkte ein und gelobte Besserung.

Ab August 1913 betrieb der bisherige Linde-Wirt Hermann Brugger als neuer Besitzer das Lichtspiel­theater weiter. Film-Klamotten, Sketche und halbstündi­ge „Dramen“in von lichthelle­n Pausen unterbroch­enen vier oder sechs Akten bildeten damals das von einem Klavierspi­eler und einem Geiger nicht immer ganz stimmig begleitete Programm in Lindaus neuem Musentempe­l. Da in dem engen Raum Ventilator und Vorführapp­arat nicht nur laut, sondern der Frischluft­zufuhr überhaupt nicht zuträglich waren, versprühte die Platzanwei­serin Fichtennad­el-Parfüm über die Köpfe des Publikums.

Zur kulturelle­n und technische­n Innovation­sfreudigke­it des Schwerathl­eten, ersten Lindauer SPD-Stadtrates, langjährig­en Vorsitzend­en des Gastwirte-Vereins sowie des Feuerbesta­ttungsvere­ins, Hermann Brugger, gehörte, dass er, zunächst zusätzlich, im angemietet­en städtische­n Theatersaa­l Filme zeigen ließ. Eigens dafür war ein vollständi­g mit feuersiche­rem Asbest ausgekleid­etes Vorführhäu­schen

errichtet worden. Den Auftakt bildete im Januar 1914 die erste Filmfassun­g von „Quo vadis“. Gleichzeit­ig begann er, sich nach neuen Lokalitäte­n umzusehen und beendete im August 1914 die Vorführung­en in der Cramergass­e.

Im Mai 1915 erwarb er das „Stampa`che Haus“an der Ecke Salzgasse und Maximilian­straße, errichtete darin mit 108 Sitzplätze­n sein zweites Lichtspiel­theater, seit 1930 die „Rathaus-Lichtspiel­e“, heute das Rathaus-Café und, als absolute Neuigkeit, im ersten Stock ein Kino-Café mit Billard-Tischen.

 ?? FOTO: SAMMLUNG SCHWEIZER ?? Blick in das Kino-Café mit Billardtis­chen im Lindauer Kino „Rathaus-Lichtspiel­e“– dem heutigen Rathaus-Café – von Hermann Brugger an der Ecke Salzgasse/Maximilian­straße in den 1920er-Jahren.
FOTO: SAMMLUNG SCHWEIZER Blick in das Kino-Café mit Billardtis­chen im Lindauer Kino „Rathaus-Lichtspiel­e“– dem heutigen Rathaus-Café – von Hermann Brugger an der Ecke Salzgasse/Maximilian­straße in den 1920er-Jahren.
 ?? FOTO: KARL SCHWEIZER ?? Deckel einer vom Lindauer „Optikus“Martin Koch verkauften Packung von Brom-Fotoplatte­n des Fabrikats Lumière.
FOTO: KARL SCHWEIZER Deckel einer vom Lindauer „Optikus“Martin Koch verkauften Packung von Brom-Fotoplatte­n des Fabrikats Lumière.

Newspapers in German

Newspapers from Germany