Protest auf vier Rädern
Corona-Kritiker demonstrieren mit Autokorsos – Warum Städte diese nicht verbieten
Seit einigen Wochen protestieren im Land sogenannte „Freiheitsfahrer“mit Autokorsos gegen die CoronaPolitik. Auch in der Region zeigten sie sich zuletzt: Am Sonntag trafen sich unter Polizeiaufsicht rund 240 von ihnen vor der Oberschwabenhalle in Ravensburg und fuhren von dort durch die Stadt.
Bereits am Sonntag zuvor hatte es eine Versammlung der „Freiheitsfahrer“in Ravensburg gegeben. Und auch in Balingen kommt es seit Mitte Januar jeden Montagabend zu einem Autokorso, berichtet der Leiter des dort zuständigen Ordnungsamtes, Jens Keucher. Wie auch in Ulm, Radolfzell, Villingen-Schwenningen, Heidelberg, Oberndorf am Neckar, Balingen, Freiburg und Ludwigsburg.
In Bayern zog am Sonntagabend ein Autokorso durch Schwabing, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Das Kreisverwaltungsreferat hatte 300 Teilnehmer mit 150 Fahrzeugen zugelassen, erschienen waren laut Polizei letztlich knapp 200 Menschen in rund 95 Fahrzeugen. Laut hupend und von Polizeiautos begleitet fuhr der Konvoi durch die Innenstadt. Dadurch kam es zu temporären Verkehrsbehinderungen
„Querdenken“-Gründer Michael Ballweg hatte nach einer Winterpause bundesweit zur Teilnahme an einer Stuttgarter Autodemo „für Frieden und Freiheit“aufgerufen, zu der mehrere Hundert Fahrzeuge kamen. Die „Querdenker“halten die Corona-Einschränkungen für überzogen. Im Südwesten beobachtet sie der Verfassungsschutz, weil bekannte Rechtsextremisten und Reichsbürger Teil der Szene sind.
Am Samstag versammelten sich bei einer nicht angemeldeten Demonstration nach Polizeiangaben rund 1200 Menschen in rund 600 Autos auf einem Parkplatz in Mannheim. Auch sie wollten einen Autokorso bilden. Die Demonstration wurde aber nach einer Verfügung der Versammlungsbehörde der Stadt Mannheim aufgelöst. Ebenso kamen am Sonntag in Heilbronn laut Polizei rund 350 Fahrzeuge zusammen. Ihr Autokorso verlief störungsfrei, führte aber zu größeren Verkehrsbehinderungen.
Der Grund für diese neue Protestform gegen die Corona-Auflagen ist nach Ansicht des Ulmer SPD-Landtagsabgeordneten Martin Rivoir einfach: Sie erregt mehr Aufmerksamkeit als die traditionellen Kundgebungen und Märsche. „Mit 50 Fahrzeugen
kann man den Verkehr blockieren und damit weit mehr Wirkung erzielen, als wenn sich dieselbe Zahl von Demonstranten vor dem Ulmer Münster positioniert“, so Rivoir. Er hoffe jedoch, dass Begeisterung für die umweltschädliche Protestform bald abflaut.
Dass es dazu kommt, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn rechtlich betrachtet sind Demonstrationen in Fahrzeugen erlaubt. „Wenn es bei einem Autokorso um die Meinungsbildung oder -kundgebung geht, handelt es sich um eine vom Grundgesetz in Artikel 8 geschützte Versammlung“, sagt der Pressesprecher des Verwaltungsgerichts in Sigmaringen, Florian Nagel. „Dieses Recht, sich zu versammeln, besteht somit von Gesetzes wegen und muss nicht genehmigt werden – weder von der Behörde noch von einem Gericht.“
Trotzdem muss ein Korso achtundvierzig Stunden vor der Bekanntgabe angemeldet werden. Dann können die Behörde die Umstände der Veranstaltung prüfen oder von bestimmten Auflagen abhängig machen.
Diese kommen in Betracht, wenn durch die Versammlung beispielsweise die öffentliche Sicherheit gefährdet ist, erklärt Nagel. Also etwa das Leben oder die Freiheit eines anderen bedroht wird. Derzeit müssen die Veranstalter und Teilnehmer einer Versammlung auch die Vorgaben der Corona-Verordnung berücksichtigen.
„Dabei gilt aber immer, dass ein Verbot das letzte Mittel sein und man vorrangig Auflagen erlassen muss“, fügt Nagel hinzu. Selbst, wenn sich durch einen Autokorso das Ansteckungsrisiko erhöht, weil Passanten durch den Zusatzverkehr zu eng nebeneinander stehen, müsste die Behörde
demnach zuerst nach einer Alternativroute suchen. Ziel sei es dabei, zu einem Kompromiss zwischen dem Versammlungsrecht der Veranstalter und den Rechten anderer zu kommen, sagt Nagel.
Auflösen darf die Behörde eine Demonstration in Autos im Prinzip nur, wenn nur dadurch die Sicherheit des Verkehrs gewährleistet werden kann. Verkehrsbehinderungen sind quasi unvermeidlich und müssen in Kauf genommen werden. Hingegen spielt es eine Rolle, ob im Notfall Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehr durchkommen.
Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hatte diese Grundsätze zuletzt in einem Beschluss zu Autokorsos festgehalten. Für Markus Haintz, Rechtsanwalt der Ulmer Anmelder, ist dies „wegweisend“für andere Verfahren in Deutschland. Die Autokorsos seien eine Reaktion auf Verbote von Demonstrationen und Kundgebungen gegen freiheitsbeschränkende Maßnahmen wegen vermeintlich nicht eingehaltener Abstands- und Hygienevorschriften. „Wenn ihr uns nicht laufen lasst, dann fahren wir eben“, bringt er seine Strategie auf den Punkt. Autos seien jetzt als Demonstrationsmittel anerkannt, wenn der Zweck etwa durch Plakate an den Fahrzeugen klar sei. Die Verlagerung des Protests in beheizte Fahrzeuge bringe im tiefsten Winter Vorteile.
In Balingen hätten die Veranstalter von vier geplanten Autokorsos einen wegen als zu hoch empfundener Auflagen durch die Behörden abgesagt, sagt Keucher. Die übrigen drei hätten stattgefunden und seien – auch aus polizeilicher Sicht – ruhig verlaufen. In Ravensburg verstießen die Protestfahrer jedoch gegen zuvor auferlegte Verbote. So hatte die Polizei beispielsweise Hupen untersagt, nicht alle Demonstranten hielten sich daran. Zwölf Fahrern drohen deshalb Geldstrafen in Höhe von 80 bis 100 Euro, wie Polizeipräsident Uwe Stürmer mitteilt. Zudem seien Rotfahrten sowie Verstöße gegen die Gurtpflicht und das Handyverbot angezeigt worden. „Außerdem gab es eine Beleidigung gegen Polizeibeamte aus einem fahrenden Auto heraus“, ergänzt der Polizeipräsident.
Ravensburgs Oberbürgermeister Daniel Rapp (CDU) und der Gemeinderat lehnen die Autokorsos ab. „Angesichts der weiterhin schwierigen Pandemielage und den damit verbundenen Verkehrsbehinderungen und notwendigen polizeilichen Sicherungen haben sie kein Verständnis dafür“, teilte der Pressesprecher der Stadt mit.