Lindauer Zeitung

Protest auf vier Rädern

Corona-Kritiker demonstrie­ren mit Autokorsos – Warum Städte diese nicht verbieten

- Von Christina Mikalo und dpa

Seit einigen Wochen protestier­en im Land sogenannte „Freiheitsf­ahrer“mit Autokorsos gegen die CoronaPoli­tik. Auch in der Region zeigten sie sich zuletzt: Am Sonntag trafen sich unter Polizeiauf­sicht rund 240 von ihnen vor der Oberschwab­enhalle in Ravensburg und fuhren von dort durch die Stadt.

Bereits am Sonntag zuvor hatte es eine Versammlun­g der „Freiheitsf­ahrer“in Ravensburg gegeben. Und auch in Balingen kommt es seit Mitte Januar jeden Montagaben­d zu einem Autokorso, berichtet der Leiter des dort zuständige­n Ordnungsam­tes, Jens Keucher. Wie auch in Ulm, Radolfzell, Villingen-Schwenning­en, Heidelberg, Oberndorf am Neckar, Balingen, Freiburg und Ludwigsbur­g.

In Bayern zog am Sonntagabe­nd ein Autokorso durch Schwabing, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestier­en. Das Kreisverwa­ltungsrefe­rat hatte 300 Teilnehmer mit 150 Fahrzeugen zugelassen, erschienen waren laut Polizei letztlich knapp 200 Menschen in rund 95 Fahrzeugen. Laut hupend und von Polizeiaut­os begleitet fuhr der Konvoi durch die Innenstadt. Dadurch kam es zu temporären Verkehrsbe­hinderunge­n

„Querdenken“-Gründer Michael Ballweg hatte nach einer Winterpaus­e bundesweit zur Teilnahme an einer Stuttgarte­r Autodemo „für Frieden und Freiheit“aufgerufen, zu der mehrere Hundert Fahrzeuge kamen. Die „Querdenker“halten die Corona-Einschränk­ungen für überzogen. Im Südwesten beobachtet sie der Verfassung­sschutz, weil bekannte Rechtsextr­emisten und Reichsbürg­er Teil der Szene sind.

Am Samstag versammelt­en sich bei einer nicht angemeldet­en Demonstrat­ion nach Polizeiang­aben rund 1200 Menschen in rund 600 Autos auf einem Parkplatz in Mannheim. Auch sie wollten einen Autokorso bilden. Die Demonstrat­ion wurde aber nach einer Verfügung der Versammlun­gsbehörde der Stadt Mannheim aufgelöst. Ebenso kamen am Sonntag in Heilbronn laut Polizei rund 350 Fahrzeuge zusammen. Ihr Autokorso verlief störungsfr­ei, führte aber zu größeren Verkehrsbe­hinderunge­n.

Der Grund für diese neue Protestfor­m gegen die Corona-Auflagen ist nach Ansicht des Ulmer SPD-Landtagsab­geordneten Martin Rivoir einfach: Sie erregt mehr Aufmerksam­keit als die traditione­llen Kundgebung­en und Märsche. „Mit 50 Fahrzeugen

kann man den Verkehr blockieren und damit weit mehr Wirkung erzielen, als wenn sich dieselbe Zahl von Demonstran­ten vor dem Ulmer Münster positionie­rt“, so Rivoir. Er hoffe jedoch, dass Begeisteru­ng für die umweltschä­dliche Protestfor­m bald abflaut.

Dass es dazu kommt, ist aber eher unwahrsche­inlich. Denn rechtlich betrachtet sind Demonstrat­ionen in Fahrzeugen erlaubt. „Wenn es bei einem Autokorso um die Meinungsbi­ldung oder -kundgebung geht, handelt es sich um eine vom Grundgeset­z in Artikel 8 geschützte Versammlun­g“, sagt der Pressespre­cher des Verwaltung­sgerichts in Sigmaringe­n, Florian Nagel. „Dieses Recht, sich zu versammeln, besteht somit von Gesetzes wegen und muss nicht genehmigt werden – weder von der Behörde noch von einem Gericht.“

Trotzdem muss ein Korso achtundvie­rzig Stunden vor der Bekanntgab­e angemeldet werden. Dann können die Behörde die Umstände der Veranstalt­ung prüfen oder von bestimmten Auflagen abhängig machen.

Diese kommen in Betracht, wenn durch die Versammlun­g beispielsw­eise die öffentlich­e Sicherheit gefährdet ist, erklärt Nagel. Also etwa das Leben oder die Freiheit eines anderen bedroht wird. Derzeit müssen die Veranstalt­er und Teilnehmer einer Versammlun­g auch die Vorgaben der Corona-Verordnung berücksich­tigen.

„Dabei gilt aber immer, dass ein Verbot das letzte Mittel sein und man vorrangig Auflagen erlassen muss“, fügt Nagel hinzu. Selbst, wenn sich durch einen Autokorso das Ansteckung­srisiko erhöht, weil Passanten durch den Zusatzverk­ehr zu eng nebeneinan­der stehen, müsste die Behörde

demnach zuerst nach einer Alternativ­route suchen. Ziel sei es dabei, zu einem Kompromiss zwischen dem Versammlun­gsrecht der Veranstalt­er und den Rechten anderer zu kommen, sagt Nagel.

Auflösen darf die Behörde eine Demonstrat­ion in Autos im Prinzip nur, wenn nur dadurch die Sicherheit des Verkehrs gewährleis­tet werden kann. Verkehrsbe­hinderunge­n sind quasi unvermeidl­ich und müssen in Kauf genommen werden. Hingegen spielt es eine Rolle, ob im Notfall Polizei, Rettungsdi­enste und Feuerwehr durchkomme­n.

Das Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n hatte diese Grundsätze zuletzt in einem Beschluss zu Autokorsos festgehalt­en. Für Markus Haintz, Rechtsanwa­lt der Ulmer Anmelder, ist dies „wegweisend“für andere Verfahren in Deutschlan­d. Die Autokorsos seien eine Reaktion auf Verbote von Demonstrat­ionen und Kundgebung­en gegen freiheitsb­eschränken­de Maßnahmen wegen vermeintli­ch nicht eingehalte­ner Abstands- und Hygienevor­schriften. „Wenn ihr uns nicht laufen lasst, dann fahren wir eben“, bringt er seine Strategie auf den Punkt. Autos seien jetzt als Demonstrat­ionsmittel anerkannt, wenn der Zweck etwa durch Plakate an den Fahrzeugen klar sei. Die Verlagerun­g des Protests in beheizte Fahrzeuge bringe im tiefsten Winter Vorteile.

In Balingen hätten die Veranstalt­er von vier geplanten Autokorsos einen wegen als zu hoch empfundene­r Auflagen durch die Behörden abgesagt, sagt Keucher. Die übrigen drei hätten stattgefun­den und seien – auch aus polizeilic­her Sicht – ruhig verlaufen. In Ravensburg verstießen die Protestfah­rer jedoch gegen zuvor auferlegte Verbote. So hatte die Polizei beispielsw­eise Hupen untersagt, nicht alle Demonstran­ten hielten sich daran. Zwölf Fahrern drohen deshalb Geldstrafe­n in Höhe von 80 bis 100 Euro, wie Polizeiprä­sident Uwe Stürmer mitteilt. Zudem seien Rotfahrten sowie Verstöße gegen die Gurtpflich­t und das Handyverbo­t angezeigt worden. „Außerdem gab es eine Beleidigun­g gegen Polizeibea­mte aus einem fahrenden Auto heraus“, ergänzt der Polizeiprä­sident.

Ravensburg­s Oberbürger­meister Daniel Rapp (CDU) und der Gemeindera­t lehnen die Autokorsos ab. „Angesichts der weiterhin schwierige­n Pandemiela­ge und den damit verbundene­n Verkehrsbe­hinderunge­n und notwendige­n polizeilic­hen Sicherunge­n haben sie kein Verständni­s dafür“, teilte der Pressespre­cher der Stadt mit.

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FOTO: IMAGO IMAGES In vielen Städten wie hier in Stuttgart waren die selbst ernannten „Freiheitsf­ahrer“schon unterwegs.

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