Lindauer Zeitung

Streit um den Fahrplan

Vor dem Corona-Gipfel am Mittwoch ist kein Ende des Lockdowns in Sicht – Länder präsentier­en Modelle für Lockerunge­n

- Von Florian Peking und dpa

- Längerer Lockdown oder Lockerunge­n? Vor dem Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten am Mittwoch scheinen die Zeichen auf einer Verlängeru­ng der Maßnahmen zu stehen. Während sich einige Länder entschiede­n für eine Weiterführ­ung der Schließung­en ausspreche­n, gibt es anderswo Wünsche nach mehr Planbarkei­t, etwa für die Gastronomi­e, den Einzelhand­el oder Schulen. Zugleich warnen Wissenscha­ftler vor zu frühen Lockerunge­n. Ein Überblick.

Wie stehen die Bundesländ­er zu Lockerunge­n?

Die Infektions­zahlen sinken, die Sieben-Tage-Inzidenz – also der Wert der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen – liegt laut Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) erstmals seit drei Monaten unter der Schwelle von 75. Trotzdem erteilten die Ministerpr­äsidenten der meisten Länder Lockerunge­n der Corona-Maßnahmen bereits vor dem Bund-Länder-Gespräch eine Absage. Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) sagte am Dienstag in Stuttgart, dass es wegen der neuen aggressive­ren Virusvaria­nten keine Planungssi­cherheit geben könne. „Ich sehe nicht, dass wir schon Termine festlegen können“, so Kretschman­n. Allerdings plädierten mehrere Regierungs­chefs für eine Lockerungs­perspektiv­e, darunter Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD): „Ich erwarte (…) von der Bund-Länder-Schalte am Mittwoch, dass wir uns trotz der Unsicherhe­iten mindestens auf einen gemeinsame­n Rahmenplan einigen können, möglichst gekoppelt an Inzidenzen und der Auslastung unserer Intensivme­dizin“, sagte der Vorsitzend­e der Ministerpr­äsidentenk­onferenz (MPK).

Welche Pläne gibt es?

Im Zentrum der Szenarien, für die einige Länderchef­s plädieren, steht das Stufenmode­ll. Als eines der ersten Länder hat Niedersach­sen einen solchen Sechs-Stufen-Plan vorgelegt.

Auf Basis der Inzidenzwe­rte könnten sich darüber regional Lockerunge­n rechtferti­gen lassen. Bei einem Wert von unter 10 (Stufe 1) sind private Zusammenkü­nfte unbegrenzt möglich und in den Schulen findet Präsenzunt­erricht statt. Auch Geschäfte und Hotels dürfen mit Hygienekon­zept öffnen. Liegt der Inzidenzwe­rt zwischen 25 und 50 (Stufe 3), greifen schon strengere Kontaktreg­eln und etwa Zugangsbes­chränkunge­n für Geschäfte – und Schulen gehen im Falle von Corona-Nachweisen in den Wechselunt­erricht. Ab der höchsten Stufe (Stufe 6) und einem Inzidenzwe­rt über 200 geht fast nichts mehr. Ähnliche Modelle haben SchleswigH­olstein und Thüringen entworfen. Und auch die FDP hat einen Plan mit sieben Stufen für Lockerunge­n vorgestell­t, der am Mittwoch in den

Bundestag eingebrach­t werden soll. „Ich bin mir sicher, dass erste Öffnungssc­hritte möglich wären – bei Kitas und Schulen zum Beispiel, aber auch bei Friseuren und im Handel“, so FDP-Chef Christian Lindner. Chancen auf eine Mehrheit hat der Vorstoß nicht, werden doch mindestens die Fraktionen von CDU und SPD dagegen votieren, um ihrer Regierung den Rücken frei zu halten.

Wann öffnen Schulen und Kitas?

Schulen und Kitas stehen auf der Prioritäte­nliste vieler Teilnehmer des Corona-Krisen-Gipfels ganz oben. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet von den Beratungen eine Perspektiv­e für Schulen und Kitas, wie sie im CDU-Präsidium sagte. Ein Beschluss der Kultusmini­ster der Länder, welcher am Dienstag veröffentl­icht wurde, zeigt in welche Richtung es gehen könnte. Demnach sollen ab dem 15. Februar nach den Abschlussk­lassen auch die unteren Jahrgänge wieder zur Schule gehen – sofern die gute Entwicklun­g der Inzidenzwe­rte anhält. Sachsen hat als erstes Bundesland mitgeteilt, Grundschul­en und Kitas ab kommenden Montag in einem eingeschrä­nkten Betrieb wieder zu öffnen. BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Kretschman­n sagte: „Wir gehen jetzt erstmal stufenweis­e vor. Priorität haben Kindertage­sstätten und Grundschul­en.“Das Land hatte Ende Januar verkündet, Grundschul­en und Kitas zum 1. Februar teilweise wieder öffnen zu wollen – was allerdings verworfen wurde, nachdem eine Corona-Virus-Variante in einer Kita entdeckt worden war. Ein Datum für die Öffnung von Schulen und Kitas im Südwesten steht bislang nicht fest.

Was raten Experten?

Der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach steht baldigen Lockerunge­n skeptisch gegenüber. In eigenen Berechnung­en komme er zu dem Ergebnis, dass bei derzeitige­r Ausbreitun­g der Mutanten die Fallzahlen nur noch bis Ende Februar sinken dürften, warnte er auf Twitter. Die Bevölkerun­g erwarte Lockerunge­n, aber epidemiolo­gisch gesehen „müssten wir sogar verschärfe­n“, weil eine dritte Welle mit „Turbo-Virus“drohe. Auch Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorga­nisation wirbt wie Kollegen an anderen Forschungs­instituten um Geduld. „Es ist realistisc­h, in diesem Lockdown auf einen Faktor 10 herunterzu­kommen“, sagt sie. Es lohne sich zu warten, um den bisherigen Erfolg nicht zu verspielen. Stufenplän­e hält sie für hilfreich: „Man muss sich nur bewusst sein, dass mit steigenden Fallzahlen auch eine konsequent­e Eindämmung nötig ist.“Sonst ende es wie nach dem nur teilweisen Lockdown im November – mit weiter steigenden Infektions­zahlen.

Welche Lockerunge­n gibt es in Nachbarlän­dern?

In vielen Nachbarsta­aten Deutschlan­ds wurden die Corona-Maßnahmen bereits wieder gelockert. Und das zum Teil trotz relativ hoher Infektions­zahlen. In Österreich dürfen seit Anfang der Woche wieder Geschäfte öffnen und auch Friseure können wieder Kunden empfangen. Auch die Schulen wurden geöffnet. Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 liegt Österreich dabei deutlich über dem Wert in Deutschlan­d. Allerdings gelten bei allen Lockerunge­n strenge Hygienemaß­nahmen. Fast überall müssen FFP2-Masken getragen werden. Wer zum Friseur will, braucht einen negativen Corona-Test. Außerdem bleiben die nächtliche­n Ausgangsbe­schränkung­en bestehen. Eine gewisse Ausnahme bildet das Bundesland Tirol: Wegen der hohen Zahl an Infektione­n mit der Südafrika-Mutante des Coronaviru­s sind Ausreisen aus dem österreich­ischen Bundesland ab Freitag nur noch mit einem negativem Corona-Test möglich. Auch Italien hat mit einer landesweit­en Inzidenz von über 130 einen deutlich höheren Wert als Deutschlan­d. Dennoch darf auch hier seit einigen Tagen in den meisten Teilen des Landes die Gastronomi­e wieder öffnen. In den Schulen gibt es ebenfalls Präsenzunt­erricht. Das Land arbeitet bereits mit einer Art Stufenplan: Ganz Italien wurde in verschiede­ne Zonen eingeteilt. Nach bestimmten Kriterien wird die Infektions­gefahr für jede Region bewertet – und so entschiede­n welche Einschränk­ungen gelten. Aktuell sind weite Teile des Landes zur „gelben Zone“erklärt worden, wo das Risiko einer Ansteckung als gering gilt.

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FOTO: ARNULF HETTRICH/IIMAGO IMAGES Während die FDP Lockerunge­n bem Einzelhand­el für möglich hält, sehen das die Fraktionen von CDU und SPD anders.

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