Virus-Mutationen bringen neue Gefahren
Rasche Ausbreitung und geringere Impfstoff-Effektivität könnten Pandemiebekämpfung erschweren
- Die Zahl der CoronaNeuinfektionen in Deutschland sinkt. Trotzdem schreckt die Politik vor Lockerungen zurück. Ein Grund dafür sind die Mutationen, die das Virus ansteckender machen. Die Situation im Überblick.
Um welche Mutationen geht es?
Zuallererst geht es hierzulande um die zuerst in England aufgetauchte Variante B.1.1.7, die sich als deutlich ansteckender erwies. Weil das sogenannte Spike-Protein, also die bekannte stachlige Oberfläche, leichter als bisher an die menschlichen Zellen andocken kann, um sie danach zu zwingen, Corona-Kopien herzustellen. So wurde B.1.1.7 in England rasch zur dominierenden Virusvariante. Dazu kommen die in Südafrika aufgetauchte Virusvariante B.1.351 und die zuerst in Brasilien beschriebene und P.1 getauft Form.
Was ist daran das Problem?
Zunächst einmal sind alle drei Varianten ansteckender, in derselben Zeit können sich also mehr Menschen infizieren. Für den Virologen Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der eine Studie zum Mutationsverhalten von Sars-Cov-2 veröffentlicht hat, hat das auf mehrere Wochen hochgerechnet „eine extreme Auswirkung auf die Gesamtzahl der Infektionen“. Auch wenn die erhöhte Infektiosität nicht unbedingt mit einem erschwerten Krankheitsbild zusammenhänge, so führe die reine Tatsache, dass mehr Personen erkrankten, „unweigerlich dazu, dass es mehr Todesfälle beziehungsweise mehr belegte Betten gibt“. Doch damit nicht genug: In Brasilien tauchte P.1 in Manaus auf, der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas. Dort hatten drei Viertel der Bevölkerung bereits eine Infektion mit dem „klassischen“Coronavirus durchgemacht, man war bereits von einer Herdenimmunität ausgegangen. Was wohl nur bedeuten kann: Die Variante P.1 trickst das menschliche Immunsystem aus, die Antikörper reagieren nicht. Ähnliches wurde auch in Südafrika beobachtet. Zudem zeigt sich, dass die Wirkung der bisher zugelassenen oder kurz vor der Zulassung stehenden Impfstoffe gerade bei B.1.351 und P.1 deutlich nachlässt. In Südafrika wurde deshalb die Impfkampagne mit dem Vakzin von Astra-Zeneca abgesagt – eine Studie hatte eine Wirksamkeit von 20 Prozent ergeben. Das Ergebnis passt ins
Bild: Während etwa der Impfstoff von Johnson & Johnson bei Tests in den USA eine Wirksamkeit von 72 Prozent und in Lateinamerika von 66 Prozent erzielte, fiel diese in Südafrika auf 57 Prozent. Der Impfstoff von Moderna wirkt zwar bei der britischen Variante B.1.1.7 wie beim bisher gängigen Virus, bei der südafrikanischen ist er aber sechsmal weniger effektiv, was laut Moderna allerdings noch ausreichend sein soll, um Schutz vor dem Virus zu bieten. Für den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, ist es jetzt für Deutschland unabdingbar, die südafrikanische Variante B.1.351 aufzuhalten.
Sind Impfungen wegen der Mutationen also sinnlos?
Nein, offenbar kommen Geimpfte bei einer Infektion glimpflicher davon. So wurden in einem Alten- und Pflegeheim im niedersächsischen Landkreis Osnabrück vierzehn Senioren positiv auf die britische Variante B.1.1.7. getestet, die zuvor alle bereits zweimal mit dem Biontech/ Pfizer-Vakzin geimpft worden waren. Alle hatten jedoch nur leichte Verläufe oder keinerlei Symptome. Vor einer schweren Erkrankung, die für Ältere höchst gefährlich ist, war man also geschützt. Und für Thomas Mertens, den Chef der Ständigen Impfkommission, „ist das ja auch das Ziel der Impfung“. Dass man sich trotz Impfung infizieren könne, „haben wir immer für möglich gehalten“. Zudem arbeiten die Pharmaunternehmen mit Hochdruck daran, die Vakzine anzupassen. Bei Biontech und Moderna soll das bereits in wenigen Wochen so weit sein, AstraZeneca will eine neue Version seines Impfstoffs entwickeln, die bis zum Herbst einsatzbereit sein soll. Das Tübinger Unternehmen Curevac, ursprünglich als heißer Kandidat für einen schnell einsetzbaren Impfstoff gehandelt, und der britische Pharmakonzern GSK wollen zusammen einen neuen Impfstoff gegen die ansteckenderen Varianten entwickeln. Das Vakzin soll jedoch erst 2022 auf den Markt kommen.
Wie verbreitet sind Mutationen?
Das lässt sich noch schwer sagen. Deutschland hat im Gegensatz zu Dänemark und Großbritannien lange darauf verzichtet, das vollständige Erbgut des bei den Corona-Tests entdeckten Viren in nennenswertem Umfang zu entschlüsseln. Das wurde Mitte Januar korrigiert, muss aber natürlich erst noch greifen. Nun sollen fünf Prozent aller Corona-Infektionen untersucht werden. Das Robert-Koch-Institut hat bisher sieben Prozent der nachgewiesenen Infektionen auf die Mutationen, meist die englische Variante, zurückgeführt. Bundeskanzlerin Angela Merkel geht aber bereits von einem Anteil von 20 Prozent aus. Im Südwesten wurden dem Landesgesundheitsamt bis Sonntag 1046 Fälle von CoronaInfektionen gemeldet, bei denen eine Mutation des Virus festgestellt wurde. Dabei wurde in 523 Fällen die in Großbritannien zuerst entdeckte Mutation B.1.1.7, in 24 Fällen die südafrikanische Variante B.1.351 und in bislang zwei Fällen die Brasilien-Variante B.1.1.28 festgestellt.
Wie geht es weiter?
Dass Viren mutieren, ist völlig normal, um die 3000 Varianten soll es schon geben. Allerdings hat sich die Hoffnung, dass Corona damit an Gefährlichkeit verlieren und letztlich für den Menschen harmlos werden könnte, nicht erfüllt. Stattdessen ist jetzt etwa eine Variante in Kalifornien namens B.1.426 aufgetaucht, die fünf Mutationen vereint, in der ebenfalls das Spike-Protein verändert ist und die als aggressiv gilt.