Mit Kalksteinen und Eichenholz
Im Sommer soll der Wiederaufbau der beinahe abgebrannten Pariser Kathedrale Notre-Dame beginnen
- Es waren gute Nachrichten, die Roselyne Bachelot Ende November verkündete: „Man kann sagen, dass Notre-Dame gerettet ist“, berichtete die Kulturministerin anderthalb Jahre nach dem Feuer in der weltberühmten Kathedrale. Die Stabilität des Kirchenbaus war durch das Flammeninferno beeinträchtigt worden, das den hinteren Teil des Pariser Wahrzeichens zerfressen hatte. Erst nach der Demontage eines Baugerüsts mit 40 000 Teilen, das bei dem Brand zusammengeschmolzen war, wurde klar, dass Notre-Dame nicht zusammenstürzen wird. Im Gegenteil: Nach den Sicherungsarbeiten soll im Sommer nun mit dem Wiederaufbau begonnen werden.
Der scheint allerdings mindestens genauso schwierig zu sein wie die Stabilisierung des fragilen Weltkulturerbes auf der Seine-Insel Ile de la Cité. Es fehlt nämlich an Steinen für das Gebäude aus dem 12. Jahrhundert, das so wiederhergestellt werden soll, wie es vor dem Brand gewesen war. Präsident Emmanuel Macron rückte von seiner Idee ab, beim Wiederaufbau eine „zeitgenössische architektonische Geste“zu setzen, etwa in Form eines Glasturms anstelle des durch die Flammen zerstörten Spitzturms aus dem 19. Jahrhundert.
Damit Notre-Dame aber tatsächlich wieder so aussieht wie früher, braucht es dieselben Steine, wie sie die Baumeister des Mittelalters verwendeten. „Seit einigen Jahren haben wir Schwierigkeiten, die Nachfrage bei den Bauarbeiten an den historischen Monumenten in Paris zu befriedigen, denn es gibt nicht genug Ressourcen“, sagte Jonathan Truillet von der für den Wiederaufbau zuständigen Körperschaft der Zeitung „Le Parisien“. Notre-Dame sei da noch einmal schwieriger, da die abgebrannte Kirche viel mehr Steine brauche als normale Restaurierungen. Zwar sollen möglichst viele Steine, die beim Brand herunterfielen, wieder verwendet werden. Doch es wird vor allem neues Material nötig sein.
Klar ist bereits, was gesucht wird: Kalkstein aus dem Pariser Becken, der aus rund 40 Millionen Jahre alten Gesteinsschichten stammt. Dabei ist Notre-Dame keineswegs homogen. 40 verschiedene Gesteinssorten haben Experten dort ausgemacht. Der Kirchenbau, der über Jahrhunderte fertiggestellt wurde, gleicht damit einem Patchwork. Zunächst kam das Baumaterial aus dem Pariser Boden selbst, später dann aus dem Umland, da die Pariser Steinbrüche erschöpft waren.
Heutzutage gibt es noch rund zehn Steinbrüche, die die für die Kathedrale
so dringend benötigten Quader liefern können. Sie liegen hauptsächlich im Norden von Paris und sandten bereits erste Proben ein, die bis Juni im Labor begutachtet werden. „Die Idee besteht darin, Materialien zu finden, die dem Original am nächsten sind“, sagte der Geologe und Projektleiter David Dessandier. Dabei wird auf Farbe, Struktur und Fossilienablagerungen geachtet. Daneben müssen die Steine auch unterschiedliche Eigenschaften haben: Diejenigen, die unten verbaut werden, müssen besonders robust sein. Weiter oben sind dann größere Poren im Gestein erlaubt. Dass auch neue Steinbrüche für Notre-Dame erschlossen werden, schließt Truillet nicht aus. „Das ist aber das letzte Mittel.“Schließlich soll es schnell gehen beim Wiederaufbau: 2024 soll die Kathedrale wieder stehen.
Zusammen mit den Steinen wird auch nach Holz gesucht, um vor allem den Spitzturm wieder aufzubauen. In der Normandie vermessen Spezialisten in diesen Tagen die Eichen, die dafür infrage kommen. Sie müssen mindestens acht Meter hoch sein und im Stamm einen Durchmesser von mindestens 50 Zentimetern haben. „Das sind Bäume, die bis zu 200 Jahre alt sind, manche sogar noch älter“, bemerkte der Forstexperte Philippe Gourmain im Radiosender France Inter. Rund tausend solcher Bäume werden gebraucht, um den Turm von Eugène Viollet-Le Duc aus dem 19. Jahrhundert wiederherzustellen. Im Gegensatz zu den Steinen gibt es allerdings genügend Eichen, die für die noble Aufgabe infrage kommen: 600 Millionen Kubikmeter Eichen stehen in Frankreichs Wäldern.