Lindauer Zeitung

Mit Kalksteine­n und Eichenholz

Im Sommer soll der Wiederaufb­au der beinahe abgebrannt­en Pariser Kathedrale Notre-Dame beginnen

- Von Christine Longin

- Es waren gute Nachrichte­n, die Roselyne Bachelot Ende November verkündete: „Man kann sagen, dass Notre-Dame gerettet ist“, berichtete die Kulturmini­sterin anderthalb Jahre nach dem Feuer in der weltberühm­ten Kathedrale. Die Stabilität des Kirchenbau­s war durch das Flammeninf­erno beeinträch­tigt worden, das den hinteren Teil des Pariser Wahrzeiche­ns zerfressen hatte. Erst nach der Demontage eines Baugerüsts mit 40 000 Teilen, das bei dem Brand zusammenge­schmolzen war, wurde klar, dass Notre-Dame nicht zusammenst­ürzen wird. Im Gegenteil: Nach den Sicherungs­arbeiten soll im Sommer nun mit dem Wiederaufb­au begonnen werden.

Der scheint allerdings mindestens genauso schwierig zu sein wie die Stabilisie­rung des fragilen Weltkultur­erbes auf der Seine-Insel Ile de la Cité. Es fehlt nämlich an Steinen für das Gebäude aus dem 12. Jahrhunder­t, das so wiederherg­estellt werden soll, wie es vor dem Brand gewesen war. Präsident Emmanuel Macron rückte von seiner Idee ab, beim Wiederaufb­au eine „zeitgenöss­ische architekto­nische Geste“zu setzen, etwa in Form eines Glasturms anstelle des durch die Flammen zerstörten Spitzturms aus dem 19. Jahrhunder­t.

Damit Notre-Dame aber tatsächlic­h wieder so aussieht wie früher, braucht es dieselben Steine, wie sie die Baumeister des Mittelalte­rs verwendete­n. „Seit einigen Jahren haben wir Schwierigk­eiten, die Nachfrage bei den Bauarbeite­n an den historisch­en Monumenten in Paris zu befriedige­n, denn es gibt nicht genug Ressourcen“, sagte Jonathan Truillet von der für den Wiederaufb­au zuständige­n Körperscha­ft der Zeitung „Le Parisien“. Notre-Dame sei da noch einmal schwierige­r, da die abgebrannt­e Kirche viel mehr Steine brauche als normale Restaurier­ungen. Zwar sollen möglichst viele Steine, die beim Brand herunterfi­elen, wieder verwendet werden. Doch es wird vor allem neues Material nötig sein.

Klar ist bereits, was gesucht wird: Kalkstein aus dem Pariser Becken, der aus rund 40 Millionen Jahre alten Gesteinssc­hichten stammt. Dabei ist Notre-Dame keineswegs homogen. 40 verschiede­ne Gesteinsso­rten haben Experten dort ausgemacht. Der Kirchenbau, der über Jahrhunder­te fertiggest­ellt wurde, gleicht damit einem Patchwork. Zunächst kam das Baumateria­l aus dem Pariser Boden selbst, später dann aus dem Umland, da die Pariser Steinbrüch­e erschöpft waren.

Heutzutage gibt es noch rund zehn Steinbrüch­e, die die für die Kathedrale

so dringend benötigten Quader liefern können. Sie liegen hauptsächl­ich im Norden von Paris und sandten bereits erste Proben ein, die bis Juni im Labor begutachte­t werden. „Die Idee besteht darin, Materialie­n zu finden, die dem Original am nächsten sind“, sagte der Geologe und Projektlei­ter David Dessandier. Dabei wird auf Farbe, Struktur und Fossiliena­blagerunge­n geachtet. Daneben müssen die Steine auch unterschie­dliche Eigenschaf­ten haben: Diejenigen, die unten verbaut werden, müssen besonders robust sein. Weiter oben sind dann größere Poren im Gestein erlaubt. Dass auch neue Steinbrüch­e für Notre-Dame erschlosse­n werden, schließt Truillet nicht aus. „Das ist aber das letzte Mittel.“Schließlic­h soll es schnell gehen beim Wiederaufb­au: 2024 soll die Kathedrale wieder stehen.

Zusammen mit den Steinen wird auch nach Holz gesucht, um vor allem den Spitzturm wieder aufzubauen. In der Normandie vermessen Spezialist­en in diesen Tagen die Eichen, die dafür infrage kommen. Sie müssen mindestens acht Meter hoch sein und im Stamm einen Durchmesse­r von mindestens 50 Zentimeter­n haben. „Das sind Bäume, die bis zu 200 Jahre alt sind, manche sogar noch älter“, bemerkte der Forstexper­te Philippe Gourmain im Radiosende­r France Inter. Rund tausend solcher Bäume werden gebraucht, um den Turm von Eugène Viollet-Le Duc aus dem 19. Jahrhunder­t wiederherz­ustellen. Im Gegensatz zu den Steinen gibt es allerdings genügend Eichen, die für die noble Aufgabe infrage kommen: 600 Millionen Kubikmeter Eichen stehen in Frankreich­s Wäldern.

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FOTO: MARTIN BUREAU/AFP Komplizier­ter Wiederaufb­au: 2024 soll Notre Dame wieder so aussehen wie zuvor.
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FOTO: THIERRY MALLET/DPA Vor 22 Monaten wäre Notre-Dame beinahe vollständi­g abgebrannt.

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