„Die Feuerwehr ist uneingeschränkt schlagkräftig“
Kommandant Max Witzigmann zum vergangenen Jahr, Querelen mit dem Stadtrat und dem Blick in die Zukunft
- Es ist viel los in der Lindauer Feuerwehr. Nicht zuletzt ist manch einer der Ehrenamtlichen verärgert über Entscheidungen des Stadtrats. Anlass für ein Interview mit Kommandant Max Witzigmann. Er spricht mit Dirk Augustin über nötige Anschaffungen und Entschädigungen, über die Folgen von Corona und die Zukunft der Lindauer Feuerwehr.
Die Hauptversammlung der Feuerwehr kann heuer nicht Ende Januar stattfinden wie sonst üblich. Deshalb hier die Frage: Wie war das vergangene Jahr?
Was die Einsätze betrifft, war 2020 ein ganz durchschnittliches Jahr. Wir hatten 357 Einsätze, für die alle Ehrenamtlichen zusammen 8302 Stunden aufgebracht haben. Insgesamt hat die Lindauer Feuerwehr 33 Menschen gerettet. Aber natürlich hat Corona auch an uns erhebliche Anforderungen gestellt, damit wir den Dienstbetrieb durchgehend aufrechterhalten konnten. Denn unsere Leute müssen ja fit bleiben im Umgang mit Fahrzeugen und Material. Aber die Abstandsregeln erschweren den Übungsbetrieb. Deshalb haben wir schon im März umfassende Hygieneregeln eingeführt. Zeitweise mussten wir den Übungsbetrieb gänzlich aussetzen. Wir starten jetzt wieder Übungen in Kleingruppen und das an verschiedenen Übungstagen, sodass sich die Frauen und Männer der einzelnen Gruppen nicht begegnen. Wir müssen schließlich einsatzbereit bleiben. Stellen Sie sich nur vor, was passieren würde, wenn nach einer gemeinsamen Übung ein Feuerwehrmann corona-positiv getestet würde – dann müssten alle in Quarantäne... Aber alle 180 Aktiven haben super mitgezogen, so hatten wir keine Einschränkungen. Ich sehe allerdings generell bei Freiwilligen Feuerwehren den andauernden Verzicht auf kameradschaftliche Aktivitäten als äußerst problematisch an.
Hatten Sie Corona-Fälle bei der Lindauer Feuerwehr?
Ja, wir hatten einzelne Fälle von Infizierten, und wir hatten einzelne Verdachtsfälle. Die sind dem Feuerwehrdienst immer sofort ferngeblieben, bis sie wieder einen negativen Test hatten oder der Quarantänezeitraum abgelaufen war. Ich kann sagen, dass unsere Lindauer Feuerwehr so schlagkräftig ist, als gäbe es kein Corona. Und dies, obwohl es keine Lehrgänge an der Feuerwehrschule oder auf Landkreisebene – wie etwa die Atemschutzausbildung – gab.
Großes Thema in Unternehmen und an Schulen gerade seit Corona ist die Digitalisierung. Wie ist der Stand der Digitalisierung bei der Lindauer Feuerwehr?
Um all das kümmert sich mein Stellvertreter Florian Kainz sehr engagiert. Da sind auch wir im vergangenen Jahr große Schritte weitergekommen. In der Hauptwache haben wir die Funkeinsatzzentrale mit neuer Technik ausgestattet, die zudem ergonomisch bedienbar ist. Für die Führungskräfteausbildung haben wir ein neues Tool, ein virtuelles Planspiel, beschafft, das in Kürze bei der Fortbildung helfen wird. Und wir digitalisieren zunehmend auch die Feuerwehr-Verwaltung, also Einsatzberichte, Übungsberichte, Personalstamm und so weiter.
Und der Digitalfunk?
In Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Stellen haben wir einen Fehler gefunden, der inzwischen abgestellt ist. Das funktioniert nun reibungslos – sogar bei Unwetterlagen.
Kann man sagen, dass der Brand in der Wiedemannstraße der größte Einsatz im vergangenen Jahr 2020 war?
Das war sicherlich einer der größten Einsätze. Aber wir haben überörtlich auch beim Brand der Schreinerei in Achberg unterstützt. Wir hatten auch Unwettereinsätze nach Starkregen und Sturm. Unvergessen ist sicher der Seenotrettungseinsatz im August auf dem Bodensee. Und wir hatten auch einige schwere Unfälle, nicht nur auf der B31.
Unabhängig vom Einsatzgeschehen war einiges los um die Lindauer Feuerwehr. Zuletzt bei den Haushaltsberatungen gab es Missstimmungen. Ist der Eindruck richtig, dass das Verhältnis zwischen einem großen Teil des Stadtrats und der Führung der Feuerwehr gestört ist?
Das sehe ich nicht so. Sie müssen die Lage unter Corona bedenken. Es war deshalb diesmal nicht möglich, den Stadträten – wie in den vergangenen Jahren praktiziert – im Vorfeld in Ruhe die anstehenden Beschaffungen zu erklären, denn ein Treffen war ja nicht möglich. Deshalb wussten einige Stadträte gar nicht, warum wir die Dinge unbedingt brauchen. Außerdem gibt es vor allem unter den Neuen einige Räte, die sich mit dem System der Feuerwehr Lindau noch nicht auskennen, weil wir es ihnen wegen Corona nach deren Amtsantritt nicht zeigen und erläutern konnten. Das haben wir kurz vor der Sommerpause im vergangenen Jahr nachgeholt und werden auch weiterhin dranbleiben. Dann werden solche Diskussionen sicher wieder anders ablaufen.
Sie sind also nicht verärgert, dass Stadträte auch bei der Feuerwehr sparen wollen?
Ich habe Verständnis dafür, dass Stadträte die Beschaffungen an der ein oder anderen Stelle hinterfragen. Aber man muss sehen, wie sich Lindau entwickelt, mit einer modernen Tagungshalle, mit der Gartenschau, der Therme, der Zunahme des Tourismus und verschiedenen neuen Wohngebieten mitsamt neuen Tiefgaragen. Das erhöht die Anforderungen an die Feuerwehr, die eine Einrichtung der städtischen Gefahrenabwehr ist, die sich selbstverständlich auf die genannten Veränderungen einstellen muss. Das bedeutet auch Anforderungen an die Ausrüstung. Sicherheit ist schließlich ein Qualitätsmerkmal zum Leben, Arbeiten und Erholen in unserer Stadt.
Der Eindruck einer Missstimmung zwischen Stadträten und Feuerwehr kam aber nicht erst bei den Haushaltsberatungen hoch, sondern schon im Sommer, als eine Mehrheit der Räte im Hauptausschuss Entschädigungszahlungen für ehrenamtliche Führungskräfte der Feuerwehr verweigert und die Entscheidung verschoben haben. Und da haben kaum neue Räte gesprochen, für die die Feuerwehr neu war, sondern das waren erfahrene Stadträte...
Das waren tatsächlich die alten Stadträte... Das war auch für mich überraschend, dass der Hauptausschuss die Entscheidung über die Zahlungen für die nächste Führungsebene von der Tagesordnung genommen hat, ohne mich oder meinen Stellvertreter vorab zu informieren und ohne mich vorher anzuhören. Dazu muss man wissen, dass das seit 2017 intensiv vorbereitet wurde und dass wir uns mit Stadträten darüber vorab ausgetauscht hatten. Inzwischen sind wir erneut auf Stadträte zugegangen und haben das diskutiert, zum Beispiel auch mit der Ehrenamtsbeauftragten. Jetzt dürfte einer Mehrheit die Notwendigkeit bewusst sein.
Aber im Haushaltsplan für dieses Jahr taucht dieser Punkt nicht auf. Wann sollen denn die Entschädigungen für die zweite Führungsebene kommen?
Das kann ich Ihnen nicht sagen, hoffentlich bald. Ich kann aber erklären, dass das bayerische Feuerwehrgesetz die Möglichkeit für einen zweiten Stellvertretenden Kommandanten in der Feuerwehr Lindau eröffnen würde. Darauf verzichten wir, und darauf wollen wir auch weiter verzichten. Denn wir haben vier eigenständige Einheiten, die jeweils von motivierten Einheitsführern geführt werden.Sie teilen sich mit hohem Zeiteinsatz die Aufgaben, die sonst ein zweiter Stellvertreter haben würde und tragen damit wesentlich zur Erfüllung der städtischen Pflichtaufgaben bei. Deshalb fänden wir es gut, wenn die sich auch die entsprechende Entschädigung teilen dürften. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Stadtrat in der konstituierenden Sitzung für sich selbst die Entschädigungszahlungen angehoben hat und eine Pauschale für digitale Geräte eingeführt hat. Unsere Einheitsführer müssen bisher alle mit ihren privaten Geräten arbeiten.
Die Räte hatten die Verschiebung im Sommer auch mit dem Feuerwehrbedarfsplan begründet, der in Kürze vorliegen sollte und dem man nicht vorgreifen wolle. Im Finanzausschuss war jetzt wieder davon die Rede. Ich habe im Archiv nachgeschaut und erstmals 2018 etwas über den Feuerwehrbedarfsplan gefunden. Wann wird denn der endlich fertig?
Den Feuerwehrbedarfsplan stellt nicht die Feuerwehr auf, sondern die Stadt. Sie hat die Pflicht, den Bedarf der Feuerwehr festzustellen und zu erfüllen. Bereits kurz nach meinem Amtsantritt im Jahr 2017 haben Stadträte erstmalig darüber gesprochen, dass Lindau einen Feuerwehrbedarfsplan aufstellen solle, weil sie Planungssicherheit hinsichtlich der Ausstattung der Wachen und der Beschaffung der Fahrzeuge haben wollten. Das hat der Stadtrat dann 2018 beschlossen, sodass die Verwaltung den Auftrag an ein externes und unabhängiges Büro geben konnte. Wir, also mein Stellvertreter und ich, sitzen da nur als Berater mit im Boot. Das Büro hat nun die Leistungsfähigkeit der Lindauer Feuerwehr geprüft, also insbesondere ob wir immer die Zehn-Minuten-Hilfsfrist einhalten. Diese Untersuchung läuft seit 2018. Das liegt auch daran, dass wir in der Hauptwache unter anderem ein System einführen mussten, das das Ausrücken dokumentiert, also die Zeit, die es dauert, bis nach dem Alarm die Feuerwehrkameraden angezogen in der Wache bereitstehen. Das Büro hat inzwischen einen Projektbericht vorgelegt, in dem es den Zustand der Lindauer Feuerwehr beschrieben hat. Nun befasst sich eine vom Stadtrat gebildete Arbeitsgruppe, in der neben Stadträten auch Mitarbeiter der Stadtverwaltung und des Fachbüros sowie mein Stellvertreter und ich Mitglied sind, mit der Erstellung des Feuerwehrbedarfsplanes.
Die Verzögerungen bedeuten also nicht, dass Bürger sich Sorgen machen müssten, weil die Lindauer Feuerwehr nicht überall einsatzbereit wäre?
Da muss sich keiner Sorgen machen: Die Lindauer Feuerwehr ist uneingeschränkt einsatzbereit und schlagkräftig. Allerdings gibt es in manchen Bereichen bei der Hilfsfrist zu bestimmten Tageszeiten tatsächlich Abweichungen. Aber das ist bei anderen Freiwilligen Feuerwehren auch so. Die Arbeitsgruppe muss entscheiden, wie sie mit den Analysen des Fachbüros umgeht und welche Maßnahmen sie für richtig hält. Dem will und darf ich nicht vorgreifen.
Immer wieder kommt die Frage hoch, ob eine Freiwillige Feuerwehr für Lindau noch richtig ist, oder ob eine Berufsfeuerwehr nötig wäre. Wie sehen Sie das?
Lindau braucht keine Berufsfeuerwehr. Aber es obliegt der Arbeitsgruppe zu entscheiden, ob die Zahl der derzeit angestellten hauptamtlichen Feuerwehrkräfte ausreicht. Um das ganz klar zu sagen: Ich meine nicht, dass zusätzliche Hauptamtliche für alles die einzige Lösung sind. Außerdem sind wir in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich gewesen, was die Aquise neuer Mitglieder und neuer Aktiver betrifft. Unter Corona wurden wir da eingeschränkt, aber wenn die Pandemie vorbei ist, werden wir da wieder anknüpfen.
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