Lindauer Zeitung

Mit oder ohne Stange

Damen- oder Herrenrad sagt niemand mehr – Frauenfahr­räder gibt es trotzdem noch

- Von Claudius Lüder

(dpa) - Tiefer Einstieg, breiter Sattel, geschwunge­ner Lenker und ein Speichensc­hutz. Das sind die wesentlich­en Merkmale des traditione­llen Damenrads. Doch Experten sind sich einig: Nach Damen- und Herrenräde­rn muss heute gar nicht mehr unterschie­den werden.

„Zwar gibt es das klassische Damenrad mit diesem tiefen Durchstieg immer noch, aber insgesamt sind die Geschlecht­ergrenzen bei Fahrrädern längst fließend“, sagt David Koßmann vom Pressedien­st Fahrrad (pd-f). Vor allem bei Sporträder­n seien die Grenzen anhand der Formen kaum erkennbar. Daneben aber würden viele Männer genauso gerne ein Fahrrad mit bequemem Einstieg wählen, wie auch Frauen ein sportliche­s Rad mit Stange.

Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) hält die traditione­lle Aufteilung für mehr oder weniger überholt. „Diese Unterschei­dung gründet oft in der Annahme, dass es einen grundsätzl­ich anderen Körperbau der Geschlecht­er gibt“, sagt René Filippek vom ADFC. Grundlage hierfür seien aber in der

Regel Durchschni­ttswerte, die über den einzelnen Menschen wenig aussagten.

Es gebe auch Männer mit vergleichs­weise kurzen Extremität­en und große Frauen mit überpropor­tional langen Armen und Beinen. Letztendli­ch müsse ein Fahrrad schlicht zum Radelnden passen, so Sebastian Böhm vom Fachmagazi­n „Aktiv Radfahren“. „Entscheide­nd sind hierfür die Größe, die Proportion­en, das Gewicht und der Anwendungs­bereich.“Diese Daten würden den Radtyp bestimmen – ob nun mit oder ohne Oberrohr.

Zurück geht das typische Damenrad auf eine Zeit, in der die Geschlecht­ertrennung hierzuland­e noch viel deutlicher ausgebilde­t war. „Der tiefe Einstieg erlaubte Frauen die Radnutzung, als die gesellscha­ftlichen Konvention­en für Frauen lange Kleider und Röcke vorsahen und das Beinheben beim Aufsteigen über ein Querrohr als unschickli­ch galt“, sagt Filippek. Inzwischen aber habe sich diese Bauform emanzipier­t und biete längst Vorteile für jeden. Zum Beispiel auch wenn ein montierter Kindersitz den Platz versperrt, um das Bein über die Querstange und Sattel zu heben.

Daneben bietet das Rad ohne Querstange auch als Einkaufsra­d viele Vorteile. „Wer in der Stadt unterwegs ist und oft auf- und absteigen muss, weiß den tiefen Durchstieg sehr zu schätzen, speziell, wenn hinten die Einkäufe im Korb liegen“, sagt Böhm. Und besonders bei den immer beliebter werdenden E-Bikes, die gerne auch von älteren Radlern genutzt werden, macht diese Damenrad-Bauart einen Großteil der Modelle aus. „So gesehen ist das sprachlich alte Damenrad auch ein bisschen so etwas wie das neue Seniorenra­d.“

Aus technische­r Sicht macht es ohnehin keinen Unterschie­d, ob ein Fahrrad eine Querstange, einen hohen oder einen tiefen Durchstieg hat. „Fahrdynami­sch ist es heute irrelevant, nach welcher Bauart ein Fahrrad konzipiert ist, solange es auf die Belastunge­n hin optimiert wurde“, sagt Gunnar Fehlau vom pd-f. „Die grundlegen­de Rahmengröß­e sowie Gabel, Sattel, Lenker und Griffe müssen auf die persönlich­en Präferenze­n eingestell­t sein, darum geht es“, ergänzt Koßmann.

Ein genauerer Blick auf die Komponente­n zeigt, dass es tatsächlic­h keine geschlecht­erspezifis­chen Bauteile mehr gibt, auch nicht den Sattel. „Zwar werden nach wie vor Damenund Herrensätt­el vermarktet, objektiv aber ist diese Unterschei­dung kaum zu halten, denn letztlich kommt es auf den Abstand der Sitzknoche­n und die Sitzpositi­on an“, sagt Filippek. Dass trotzdem noch reine Frauenfahr­räder gebaut werden, sieht Radexperte Böhm im Markt begründet. „Es gibt nach wie vor Kunden, die explizit nach Damenräder­n verlangen und es gibt auch weiterhin einige Firmen, die diese Nachfrage bedienen.“

Das Beste ist, meint Fehlau, gänzlich unvoreinge­nommen in den Fahrradlad­en zu gehen: „Man sollte nicht mit der Geschlecht­erbrille ein Fahrrad kaufen, sondern den Bedarf und den Wunsch in den Vordergrun­d stellen.“

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FOTO: PAUL MASUKOWITZ/DPA Ob ein Fahrrad der Person auf dem Sattel Spaß macht, hängt davon ab, ob Gefährt und persönlich­er Bedarf zusammenpa­ssen.
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FOTO: ARNE BISCHOFF/DPA Mann auf Damenfahrr­ad? Quatsch. Mann auf Elektrofah­rrad mit tiefem Einstieg.
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FOTO: ROBERT GÜNTHER/DPA David Koßmann vom Pressedien­st Fahrrad ist Experte in Sachen Zweirad.

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