Lindauer Zeitung

Wissenscha­ftler und Kunstexper­te

- Von dieser Raubkunst ist ein großer Teil in München gelandet.

Sie schließen gerade die „grundlegen­de Erstprüfun­g“von 7000 Kunstwerke­n ab, die seit 1933 an die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen gingen. Was heißt das?

Grundlegen­de Erstprüfun­g bedeutet, dass wir die zügig verfügbare­n Informatio­nen aus dem Haus, aus diversen Datenbanke­n und aus der Literatur zusammenge­tragen haben, die Besitzerfo­lgen kennen und eine Bewertung vornehmen können. Stark raubkunstv­erdächtige Objekte werden sofort an „lostart.de“gemeldet – aktuell sind dort über 400 Gemälde aus den Staatsgemä­ldesammlun­gen aufgeführt. So haben potenziell­e Antragstel­ler die Möglichkei­t, diese Werke zu finden und auf uns zuzukommen. Zugleich gehen wir in die Tiefe und forschen deutschlan­dund europaweit in den Archiven. Wobei wir auch Fälle vorziehen, wenn Anträge von außen kommen oder sich gleich beim Erstcheck zeigt: Alarmstufe Rot.

Ein barbarisch­es Regime bringt man nicht unbedingt mit Kunst zusammen. Aber gerade die NS-Oberen haben mit unfassbare­r Gier gesammelt. Hat das mit Hitlers Faible für die Kunst zu tun?

Auch, aber ich würde den Fokus gar nicht so sehr auf Hitler legen. Kunstgegen­stände waren immer schon ein wichtiges Mittel zur Repräsenta­tion von Macht und Geltung. Das reicht von den feudalen Herrschern bis zu den bürgerlich­en Schichten. Die Nationalso­zialisten haben das nur übernommen. Zugleich wollten sie mit potenten Kunstsamml­ungen die Bedeutung des Deutschen Reiches nach außen demonstrie­ren.

Mit dem sogenannte­n „Führermuse­um“in Linz als Höhepunkt dieser Bemühungen?

Ja. Genauso wollte Göring seine Sammlung in einem Museum öffentlich zugänglich machen. Auch innerhalb der NS-Hierarchie­n spielte die Kunst eine entscheide­nde Rolle. Wer als hochrangig­er Funktionär etwas gelten wollte, musste sich repräsenta­tiv mit Kunst umgeben. Kunstwerke waren außerdem beliebte Geschenke, mit denen man seine Kunstsinni­gkeit zur Schau stellen konnte. Auch das hat eine lange Tradition.

Allerdings in anderen Dimensione­n.

Die Mittel, um an Kunst zu kommen, waren radikaler als jemals zuvor. Der NS-Kunstraub ist in Umfang und Ausmaß einzigarti­g. Im Zweiten Weltkrieg konkurrier­ten Rauborgani­sationen miteinande­r, wer die besten und teuersten Kunstgegen­stände ausfindig machen und beschlagna­hmen konnte. Dazu kam noch eine rassenideo­logische Begründung – zum Beispiel, wenn man im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten insbesonde­re die jüdische Bevölkerun­g beraubt hat.

München und Bayern waren für die NS-Herrschaft zentral. Die NSDAP wurde in München gegründet, und zur Ausstattun­g ihrer Gebäude hatte man massenhaft Kunst zusammenge­tragen. München galt den Nazis als Hauptstadt der Kunst, hier wurden ab 1937 die „Großen Deutschen Kunstausst­ellungen“gezeigt, und hier gab es eine besondere Dichte von Partei und Parteifunk­tionären. Denken Sie auch an den Obersalzbe­rg, der sich in

Johannes Gramlich (Foto: Haydar Koyupinar/BStGS) hat Geschichte, Germanisti­k und Musikwisse­nschaft studiert und wurde in München mit einer

Arbeit über die Kunstsamml­ungen der Familie

Thyssen promoviert. Der 39-jährige Historiker aus Köln war wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r für Neueste Geschichte und Zeitgeschi­chte an den Universitä­ten der NS-Zeit zu einer Art zweitem Regierungs­sitz entwickelt­e.

Damit konnte es wahrschein­lich nur Hermann Göring mit seinem Prunksitz Carinhall in der Schorfheid­e aufnehmen?

Aus Sorge vor der Roten Armee ließ Göring seine Sammlung aber kurz vor Kriegsende nach Bayern bringen. Auch die riesige Sammlung von Adolf Hitler kam durch die Amerikaner 1945 vom österreich­ischen Altaussee nach München. Hier hat sich vieles konzentrie­rt.

Dann ist der Rest Deutschlan­ds gar nicht so sehr mit diesem „Kunsterbe“belastet?

Wie sehr das auch andere Bundesländ­er betrifft, wissen wir nicht. Bis auf Einzelfäll­e ist das kaum untersucht worden. Aber das wäre wichtig, ich denke gerade an Berlin, wo ja auch einiges gesammelt wurde.

Liegt der kritische Punkt nicht vor allem in der Verteilung dieser konfiszier­ten Kunstwerke an die staatliche­n Häuser? Museen sammeln und geben ungern ab.

Köln und München sowie am Institut für Zeitgeschi­chte München-Berlin. Zudem war Gramlich Stipendiat am Leibniz-Institut für Europäisch­e Geschichte in Mainz. Seit Juli 2016 arbeitet Gramlich an den Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen im Bereich der Provenienz­forschung. Er ist seit 2019 Vorsitzend­er des Forschungs­verbunds Provenienz­forschung in Bayern. (sich)

Zumal sich die Museen nach 1945 vor allem als Opfer der Diktatur und des Krieges gesehen haben. Insofern gab es kein Bewusstsei­n dafür, die Restitutio­n eigeniniti­ativ weiter zu forcieren. Dazu bestand auch keine rechtliche Verpflicht­ung. Vielmehr ging man davon aus, dass die Restitutio­n durch die amerikanis­che Militärreg­ierung eh schon überreguli­ert sei. Auf Seiten der Alliierten wurde die Rückführun­g von Kunstgegen­ständen ernst genommen und durchaus engagiert betrieben. Was übrig blieb, galt als „sauber“.

An vielen Museen gab es ja auch eine erstaunlic­he Kontinuitä­t beim Personal.

Die alten Museumsleu­te waren vielfach nach 1945 wieder am Ruder. Mit Blick auf die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen ist Ernst Buchner das offenkundi­gste Beispiel. Buchner war von 1933 bis 1945 Generaldir­ektor und wurde 1945 von der amerikanis­chen Militärreg­ierung abgesetzt. Im Spruchkamm­erverfahre­n ist er dann als Mitläufer eingestuft worden, damit war er weitgehend entlastet. So konnte Buchner 1953 erneut als Generaldir­ektor eingesetzt werden. Der Wunsch nach Aufklärung war also ziemlich überschaub­ar. Es gab aber damals ganz allgemein die Haltung, dass eine kleine Clique um Adolf Hitler sämtliche Verantwort­ung und Schuld zu tragen habe.

Gleich nach 1945 machen dann auch die „unpolitisc­hen Hausfrauen“der NS-Oberen Ansprüche geltend. Noch 2014 hat Görings Tochter Edda Entschädig­ungszahlun­gen vom Freistaat gefordert. Grotesker geht es kaum.

Ja, hier zeigt sich ganz eklatant, dass sich die vollkommen­e Abwesenhei­t eines Verantwort­ungsgefühl­s bis in

In den 1980er-Jahren ist das Thema langsam wieder aufgekomme­n, nicht zuletzt durch einen Generation­enwechsel. Warum hat es dann so lange gedauert, bis Bewegung in die Provenienz­forschung gekommen ist?

Aus heutiger Sicht ist das schwer nachzuvoll­ziehen. An den Staatsgemä­ldesammlun­gen gab es ab 1999 zu einzelnen Objekten umfassende Nachforsch­ungen wie etwa zur eingangs erwähnten Sammlung Göring. Und wahrschein­lich war man der Meinung, dass damit schon viel getan sei. Das basierte ja auf der Washington­er Erklärung von 1998, mit der sich Deutschlan­d und 43 weitere Staaten dazu verpflicht­et haben, aktiv in ihren Kunstsamml­ungen nach NSRaubkuns­t zu suchen. Bis die Provenienz­forschung allerdings stärker institutio­nalisiert wurde, vergingen fast zehn Jahre. Erst 2008 ist auf Bundeseben­e eine Stelle eingericht­et worden, die Forschungs­projekte finanziert. Und mit Sicherheit hat der Schwabinge­r Kunstfund, also der Fall Gurlitt, 2013 einiges angestoßen.

Man hat das Gefühl, vor einem unbezwingb­aren Berg an Klärungsbe­darf zu stehen. Von welchen Zeiträumen sprechen wir?

Das ist auch eine Frage des politische­n Willens. Wie viel Geld gibt man in diese Forschung? Wie viele Stellen werden ermöglicht? Das ist zum Teil ordentlich, an manchen Häusern passiert dagegen fast nichts. Aber ja, das ist ein Berg, und wenn wir den ernsthaft und gründlich für alle Sammlungen in Deutschlan­d bearbeiten wollen, ist das eine Aufgabe für noch viele Jahrzehnte.

Johannes Gramlich: „Begehrt, beschwiege­n, belastend. Die Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen“(Böhlau Verlag, 348 Seiten, 70 s/w-Abbildunge­n, 35 Euro)

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