Polizei: Straftaten am Bahnhof in Ravensburg oft innerhalb der Szene
Nach dem Raubmord an einer 62-Jährigen dürfte die Angst steigen – Zahl der Delikte ist vor Ort 2020 zurückgegangen
- Am Ravensburger Bahnhof ist eine 62-jährige Frau erstochen worden. Die Angst der Bevölkerung dürfte dadurch gestiegen sein: Galt die Örtlichkeit ohnehin schon als sozialer Brennpunkt der Stadt, fühlen sich Passanten im Bahnhofsumfeld nun möglicherweise noch unsicherer. Oberbürgermeister Daniel Rapp möchte rund um den Bahnhof eine Videoüberwachung installieren, die Polizei will bei einer virtuellen Sicherheitskonferenz Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung auf den Weg bringen und hat die Präsenz am Bahnhof verstärkt. Was die vor allem aus obdachlosen Alkoholikern bestehende Szene angeht, die sich dort trifft, gibt die Polizei allerdings Entwarnung. Das sind die Gründe.
„Laut der nackten Zahlen sind die Vorkommnisse am Bahnhof rückläufig“, sagt der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer auf Nachfrage der „Lindauer Zeitung“. Zum einen sei im Winter ohnehin immer weniger los im Bahnhofsumfeld. Dann habe der Schienenersatzverkehr dafür gesorgt, dass die Frequenz im vergangenen Jahr erheblich zurückgegangen ist. Und weil der Club Douala und andere Diskos und Kneipen coronabedingt geschlossen sind, sind am Wochenende in den frühen Morgenstunden auch keine gestrandeten Nachtschwärmer mehr am Bahnhof zu finden. Schließlich habe die pandemiebedingte Ausgangssperre dafür gesorgt, dass das Bahnhofsareal insbesondere abends nach 22 Uhr zuletzt fast wie ausgestorben gewesen sei, so Uwe Stürmer vom Polizeipräsidium in Ravensburg.
Der Polizeipräsident weiß das, weil er selbst immer mal wieder am Bahnhof vorbeischaut. Und kann daher konstatieren: 2019 seien die Zustände am Bahnhof „weitaus ungünstiger“gewesen. Will sagen: Speziell zwischen AOK und Busbahnhof hatten sich damals unterschiedliche Szenen getroffen – rund 60 Leute zwischen 30 und 50 Jahren kamen regelmäßig in verschiedenen Konstellationen zusammen. Teilweise gab es Schlägereien und Pöbeleien. Was zur Folge hatte, dass Passanten sich dort mehr als unwohl fühlten und der Bahnhof sich zum sozialen Brennpunkt der Stadt entwickelte.
Der Blick auf die Statistik zur Kriminalität am Ravensburger Bahnhof zeigt ebenfalls, dass es vor Corona zu einem Anstieg der Straftaten gekommen war – 2018 wurden im Banhofsbereich noch 146 Straftaten, im Jahr 2019 schon 215 Taten begangen. Die genauere Betrachtung der Vorfälle zeigt laut Polizei, dass sich in diesem Zeitraum die Zahl der Körperverletzungen fast verdreifacht hat. Die meisten Straftaten am Bahnhof hatten demnach zuletzt mit Drogenkriminalität zu tun. Die Polizei teilte dazu vor einigen Tagen mit: „Unserer Einschätzung nach wird ein nicht geringer Teil der im Bahnhofsbereich begangenen Straftaten dabei innerhalb dieser Szene verübt, oder die Täterschaft ist innerhalb dieser Szene zu suchen. Passanten und Bahnreisende sind zwar auch, aber deutlich weniger betroffen.“
Inzwischen aber versammeln sich dort laut Stürmer „weniger Leute aus der Szene“. Das beobachtet auch Streetworker Bernhard Pesch. Er trifft allenfalls zwischen 9.30 und 14 Uhr auf seine Klientel. Generell habe sich die Situation am Bahnhof aber so entzerrt, dass er die Gegend dort inzwischen nicht mehr als sozialen Brennpunkt bezeichnet. Was nicht nur an den von Stürmer genannten Gründen, sondern auch daran liege, dass bis auf wenige Ausnahmen die meisten Obdachlosen diesen Winter ein Dach über dem Kopf haben – sei es im Württemberger Hof, der städtischen Unterkunft in der Florianstraße, wo derzeit 40 Menschen untergebracht sind, oder in aktuell wenig frequentierten Hotels in Weingarten.
So kann Pesch sich nicht vorstellen, dass die 15-Jährige, die wegen des Raubmordes festgenommen wurde, aus der Obdachlosen-, Trinker- oder Drogenszene kommt, die sich im kleinen Kreis nach wie vor am Bahnhof trifft. Stürmer schätzt das ähnlich ein: Die 15-Jährige komme von außerhalb, sei längere Zeit in Haft gewesen und erst in der zweiten Januarhälfte wieder rausgekommen. „Da kann sie in der Szene keine wesentliche Rolle gespielt haben.“Nach Informationen der „Lindauer Zeitung“pflegte das Mädchen allerdings auch nach Haftentlassung durchaus einzelne Kontakte in die Szene hinein.
Dem Polizeipräsidenten ist bewusst, dass die Angst vieler Menschen am Bahnhof nach dem Raubmord gestiegen ist. Doch er versucht, zumindest was die Szene angeht, Entwarnung zu geben: Auch wenn diese Menschen, die häufig einen Suchthintergrund hätten, öfter mal untereinander schlägern, Alkohol trinken oder laut werden würden – häufig sei „das Unsicherheitsgefühl stärker als dass tatsächlich gravierende Straftaten vorliegen“. Denn jene, die sich dort regelmäßig treffen, wüssten genau: Wenn sie sich was zuschulden komme lassen, „kommen wir und räumen sie ab“.