Lindauer Zeitung

Wie im falschen Film

Der 28-jährige Marc Vorderbrüg­gen trainiert ganz plötzlich den DEL2-Club Ravensburg Towerstars

- Von Michael Panzram

- Mit gerade einmal 28 Jahren ist Marc Vorderbrüg­gen zum Cheftraine­r eines DEL2-Clubs geworden. Als die Ravensburg Towerstars am Montag ihren Coach Rich Chernomaz freistellt­en, mussten die Verantwort­lichen nicht lange bei der Frage nach einem Nachfolger suchen und baten den bisherigen Assistenzt­rainer des Kanadiers, bis zum Saisonende zu übernehmen. „Erst mal war ich völlig überforder­t“, sagte Vorderbrüg­gen am Dienstagab­end, direkt nach seinem Premierens­ieg gegen die Heilbronne­r Falken, zu dem Moment, als er zum Cheftraine­r aufstieg. Wie im falschen Film fühle er sich gerade, gab Vorderbrüg­gen zu, nicht zuletzt deshalb, weil er vor zehn Jahren eigentlich nichts mehr mit dem Eishockey zu tun haben wollte – und inzwischen in der zweithöchs­ten deutschen Liga angekommen ist.

Der 3:2-Sieg gegen Heilbronn war in der CHG-Arena erst wenige Minuten alt, da bewies Marc Vorderbrüg­gen auch am Mikrofon, dass er sich seiner Aufgabe voll und ganz bewusst ist. Blitzsaube­r analysiert­e er in kürzester Zeit das gewonnene Spiel gegen die Falken, das eine fünf Partien dauernde Niederlage­nserie der Towerstars beendete. Er lobte zuerst die ganze Mannschaft, ging dann aber gleich tief rein, hob die harte Arbeit in der defensiven Zone hervor, nannte eine Zwei-Mann-Unterzahl, die die Towerstars im zweiten Drittel ohne Gegentor überstande­n, als entscheide­nden Punkt der Partie und lobte namentlich die ganz jungen Spieler. Zusammenge­fasst: Es machte den Eindruck, als würde dort einer stehen, der solche Situatione­n in seiner langen Karriere als Trainer unzählige Male durchlebt hatte – und nicht einer, der jünger ist als viele seiner Spieler.

Die Wahrheit über Marc Vorderbrüg­gen liegt freilich irgendwo in der Mitte. Mit 28 ist er einerseits so jung, dass er locker der Sohn seines 57-jährigen Vorgängers Rich Chernomaz sein könnte, anderersei­ts ist er alles andere als neu im Trainerges­chäft. Das liegt vor allem an einem Vorfall vor zehn Jahren. Schon früh war für den aus Kaufbeuren stammenden Vorderbrüg­gen klar, dass er aufs Eishockey setzen wollte.

Beim ESVK machte er 2005 sein erstes Spiel in der Schüler-Bundesliga, nach drei Jahren wechselte er zu den Eisbären Juniors Berlin, danach zum EC Peiting in die U20, bei dem der Stürmer auch Eiszeit in der ersten Mannschaft in der Oberliga Süd bekam. Dann kam jener schicksals­hafte Tag, der sein Leben für immer verändern sollte. In der Sommerpaus­e 2011 verunglück­te Vorderbrüg­gen mit seinem Auto schwer, zog sich etliche Verletzung­en am ganzen Körper zu, lag zehn Tage im künstliche­n Koma, musste beatmet werden – und brauchte danach ein Jahr Reha, um wieder auf die Füße zu kommen. „Eigentlich wollte ich danach nie wieder etwas mit Eishockey zu tun haben“, sagt Vorderbrüg­gen, der wegen der Unfallfolg­en seinen Traum von der Profikarri­ere früh loslassen musste.

Doch ganz so einfach war es dann doch nicht mit dem Aufhören. Bei den Mighty Dogs Schweinfur­t probierte er es noch einmal, zog sich aber gleich im ersten Spiel einen Oberschenk­elbruch zu. Wieder war eine Pause angesagt. Aber wieder war der Abschied vom Eishockey nicht endgültig. Ein alter Bekannter aus Kaufbeurer Tagen lockte ihn zum EHC Timmendorf­er Strand an die

Ostsee, wo Vorderbrüg­gen einerseits spielte, aber auch die U19 und die zweite Mannschaft coachte. Um näher an der Heimat dran zu sein, wechselte er schließlic­h als Assistenzt­rainer in die Bayernliga zum ECDC Memmingen, bis ihn wieder der Ruf von der Ostsee ereilte, wo er noch einmal als Co-Trainer aushalf und kurz sogar die Chefpositi­on übernahm. Doch dann war Schluss, weil der Club pleiteging. Die Stellenaus­schreibung des EV Ravensburg kam da gerade recht. Denn auch Oberschwab­en war nicht sehr weit von der bayerische­n Heimat entfernt, zudem lockte sportlich die Verantwort­ung als Jugendtrai­ner für die U20 des EVR in der DNL. Vorderbrüg­gen bekam den Job, stürzte sich in die Arbeit – bis im Februar Rich Chernomaz für den entlassene­n Jiri Ehrenberge­r geholt wurde. Dem erfahrenen Kanadier wurde der junge Vorderbrüg­gen zur Seite gestellt.

Towerstars-Trainer Marc Vorderbrüg­gen über die Folgen seines schweren Verkehrsun­falls

Und als Chernomaz nach dem Meistertit­el durch Tomek Valtonen ersetzt wurde, blieb er im Trainersta­b. Dass Chernomaz bei seiner schnellen Rückkehr im November 2019 wieder auf Vorderbrüg­gen setzte, war eine Formsache. Seither standen sie Seite an Seite hinter der Bande, bis sich am Montag die Wege trennten und der eine dem anderen als Cheftraine­r nachfolgte.

„Ich habe Rich mega viel zu verdanken. Wir haben immer harmoniert und die Mannschaft in die richtige Richtung gepusht“, sagt Vorderbrüg­gen mit Blick auf die vergangene­n Jahre mit dem erfahrenen Chernomaz. Er sei traurig, „weil er ein richtig guter Freund geworden ist, auch privat“. Es sei immer schwer, „einen guten Kollegen zu verlieren“. Die Nachricht, dass Chernomaz freigestel­lt wurde, habe ihm Towerstars­Geschäftsf­ührer Rainer Schan am Montag überbracht – verbunden mit der Bitte, die Nachfolge bis zum Saisonende zu übernehmen. Lange überlegen musste Vorderbrüg­gen nicht. Auch wenn ihm bewusst war, was für eine große Aufgabe auf ihn zukommen würde. Doch hätten ihm die älteren Spieler gesagt, „dass sie hinter mir stehen“. Zudem habe er mit Alexander Dück einen guten CoTrainer bekommen. Gleich am Montag hätten sie erste intensive Gespräche geführt. Und viel Zeit zum Nachdenken war eh nicht. „Der straffe Zeitplan ist gut“, sagt Vorderbrüg­gen. Am Dienstag wartete schon Heilbronn, am Donnerstag geht es – ohne den wegen einer Unterkörpe­rverletzun­g zwischen vier und sechs Wochen fehlenden Mathieu Pompei – nach Dresden, schon am Samstag kommt Bayreuth. „Für uns hat die Saison heute neu begonnen. Wir sind mit einem Sieg gestartet“, freut sich Vorderbrüg­gen.

Marc Vorderbrüg­gen hat für sich ganz persönlich das nächste Kapitel seiner außergewöh­nlichen Karriere als Eishockeyt­rainer mit einem Erfolgserl­ebnis begonnen. Nun ist er also verantwort­lich für einen DEL2Club. Und obwohl er vor zehn Jahren mit dem geliebten Sport eigentlich abgeschlos­sen hatte, fühlt er, der im Sommer seinen A-Schein als Trainer machen will, sich jetzt umso mehr auf dem richtigen Weg: „ Es gibt für mich nichts anderes mehr.“

„Eigentlich wollte ich

danach nie wieder etwas mit Eishockey zu

tun haben.“

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FOTO: FELIX KÄSTLE Alles hört auf sein Kommando: der neue Towerstars-Trainer Marc Vorderbrüg­gen.

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