Alassa gegen die Polizei
Flüchtling aus Kamerun klagt nach LEA-Razzia gegen das Land Baden-Württemberg
- Hunderte Polizisten durchsuchen eine Flüchtlingsunterkunft. Sie öffnen Zimmer, stellen Personalien fest und legen den Bewohnern Handschellen an. Die Razzia in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Ellwangen sorgte im Mai 2018 bundesweit für Schlagzeilen. Alassa M., einer der Bewohner, wehrt sich jetzt vor Gericht gegen die Vorgänge. Sein Vorwurf: Das Vorgehen der Polizei war rechtswidrig. Am Freitag will das Verwaltungsgericht Stuttgart entscheiden, ob es ihm recht gibt. Entscheidend könnte sein, ob das Gericht sein Zimmer in der LEA als Wohnung, und damit als besonders schützenswert, einstuft.
Fast drei Jahre sind die Geschehnisse her, über die in diesen Tagen in Stuttgarter verhandelt wird. Am 30. April 2018 rückte die Polizei in die LEA Ellwangen aus. Die Beamten wollten einen Flüchtling aus Togo zur Abschiebung abholen. Mit Widerstand rechneten sie nicht. Doch es kam anders: Laut Polizei versammelten sich bis zu 200 LEA-Bewohner. Sie seien aggressiv gewesen und hätten den 23-Jährigen „befreit“, heißt es in einem Bericht des Innenministeriums. Streifenwagen seien beschädigt worden. Die Polizei fürchtete eine weitere Eskalation und rückte unverrichteter Dinge ab.
Der Fall geriet bundesweit in die Schlagzeilen. Von einem Kontrollverlust des Staates war die Rede. Besonders in der Kritik stand BadenWürttembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). Laut Innenministerium hatte die Polizei Hinweise darauf, dass sich Asylbewerber in der LEA organisierten und den Widerstand gegen die Polizei koordinierten. Ein Wohngebäude der LEA wurde in der Akte gar als „gefährlicher Ort“bezeichnet. „In ganz Deutschland wurden Lügen über uns verbreitet“, sagt Alassa M. „Sie sollten die Vorbereitung sein für einen brutalen Polizeieinsatz, für eine illegale Razzia in unserer Unterkunft.“
Am 3. Mai folgte besagter Großeinsatz in der LEA. Der Flüchtling aus Togo, der schon Ende April abgeschoben werden sollte, wurde in ein Abschiebegefängnis gebracht. Unter anderem sollte die Razzia aber offenbar ein Zeichen senden. „Das Signal ist sehr deutlich“, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU) damals. „Der Rechtsstaat setzt sich durch, nicht der Mob.“
Doch auch dieser Einsatz stand von Anfang an in der Kritik. Vor allem Flüchtlingshelfer und Flüchtlinge äußerten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen – vorneweg: Alassa M., der Kameruner gilt als Gesicht der Flüchtlinge in Deutschland.
Die „Bild“nannte ihn „Skandalasylbewerber“, Alice Weidel bezeichnete ihn als „Rädelsführer“von Tumulten. Beide hat er erfolgreich verklagt. Beim Prozess gegen das Land BadenWürttemberg, in dem er sich auch gegen das aus seiner Sicht unverhältnismäßige Vorgehen bei seiner Abschiebung im Juni 2018 wehrt, wurde er am Donnerstag unterstützt von rund 50 Menschen, die vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart gegen Gewalt und Rassismus durch die Polizei demonstrierten – und dafür, dass der Prozess einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Wegen der Corona-Pandemie waren lediglich rund 20 Personen im Gerichtssaal zugelassen.
Zum Prozessauftakt schilderte Alassa M. die Vorgänge vom 3. März aus seiner Sicht. Die Beamten seien nachts ohne Erlaubnis in sein Zimmer in der LEA eingedrungen, ohne sich als Polizisten zu erkennen zu geben. Sie hätten ihn mit Kabelbindern gefesselt und auf den Boden gesetzt. Das Handy sei ihm abgenommen worden. „Ich habe keinen Widerstand
geleistet“, sagte er. Sein Anwalt ergänzte: „Wie mein Mandant behandelt wurde, das beeinträchtigt die Menschenwürde.“
Zwei Polizisten, die in besagter Nacht an dem Einsatz beteiligt waren, widersprachen dieser Ausführung. Die Beamten hätten sich deutlich als Polizisten zu erkennen gegeben. Zum Eigenschutz seien den Personen Handschellen angelegt worden. Ziel des Einsatzes sei unter anderem gewesen, Tat- und Beweismittel der vorangegangenen Gefangenenbefreiung zu finden.
Doch Alassa M. und sein Anwalt sind überzeugt: Die Beamten hätten sein Zimmer nicht einmal betreten dürfen. Artikel 13 des Grundgesetztes behandelt die Unverletzlichkeit der Wohnung. Er dient dem Schutz der Privatsphäre vor Eingriffen von staatlicher Seite. Wohnungsdurchsuchungen dürfen laut Gesetz nur durch Richter erlaubt werden – außer es ist Gefahr im Verzug. In Ellwangen lag jedoch lediglich die Erlaubnis des Regierungspräsidiums Stuttgart vor, das die LEA betreibt.
Die Stuttgarter Richter müssen jetzt also entscheiden, ob ein Zimmer in einer Landeserstaufnahmeeinrichtung eine Wohnung im Sinne des Grundgesetzes ist. In der deutschen Rechtsprechung gibt es hierzu bislang noch keine Entscheidung. Als Wohnung kommt jede Räumlichkeit in Betracht, die ihrem Inhaber ein gewisses Maß an Privatsphäre bietet. Hafträume zum Beispiel beurteilt die Rechtsprechung nicht als Wohnung, weil die dem Hausrecht der Anstalt unterstehen. Nach Meinung des Regierungspräsidiums werden auch die Zimmer einer LEA den Flüchtlingen nur überlassen. Einen Schlüssel zu den Zimmern erhalten die Flüchtlinge nicht. Rechtlich gesehen handle es sich deshalb auch nicht um Wohnungen.
Gegenstand der Verhandlung an diesem Freitag ist lediglich der Polizeieinsatz gegenüber Alassa M. Entscheiden die Richter nun jedoch, dass sein Zimmer als Wohnung gewertet wird, könnte das den gesamten Polizeieinsatz vom 3. Mai 2018 in Ellwangen infrage stellen.