Lindauer Zeitung

Nun hat das Landratsam­t das letzte Wort

Schulden steigen auf Rekordhöhe, Stadt verkauft Immobilien – Elf Stadträte lehnen den Haushaltsp­lan ab

- Von Dirk Augustin

- So viele Gegenstimm­en wie seit Jahren nicht – Lindaus finanziell­e Lage ist umstritten. Die Schulden steigen auf Rekordhöhe­n, obwohl die Stadt Immobilien verkauft. Nun muss das Landratsam­t entscheide­n.

Zwei, drei oder vier Gegenstimm­en gab es in den vergangene­n Jahren, wenn der Stadtrat den Haushaltsp­lan für das kommende Jahr verabschie­det hat. Heuer stimmten elf Stadträte dagegen – aus ganz unterschie­dlichen Gründen. Den einen sind die Schulden zu hoch, die anderen wollen lieber mehr Schulden machen als Grundstück­e zu verkaufen. Einige wollen noch mehr Geld für Klimaschut­z, andere höhere Ausgaben für Schulen.

Anders als in Vorjahren ist auch, dass die Verantwort­lichen der Stadt heuer bangen müssen, was die Rechtsaufs­icht zu den Ausgabenpl­änen sagt. Denn in früheren Jahren hat die Stadt das Zahlenwerk in enger Abstimmung mit dem Landratsam­t zusammenge­stellt, nachdem die Behörde 2017 Nachbesser­ungen gefordert hatte. Heuer habe es vorab keinen derart engen Kontakt gegeben, berichtete der ebenso gespannt ist wie

und die Stadträte, ob das Landratsam­t den Haushaltsp­lan so genehmigt, wie ihn 18 Stadträte verabschie­det haben. Das Ergebnis liegt erfahrungs­gemäß in etwa einem Vierteljah­r vor.

Dass Lindaus Schulden weiter ansteigen – und zwar um etwa 15 Millionen Euro – hat laut Kämmerer nichts mit Corona zu tun, sondern vielmehr mit den laufenden und anstehende­n Projekten. Diese Schuldenst­eigerung sei bereits im Finanzplan des Vorjahres enthalten gewesen. Neu sind aber weitere Grundstück­sverkäufe in diesem und vor allem in den kommenden Jahren, mit denen Lindau einen Großteil der Steuerausf­älle durch die Corona-Krise ausgleiche­n will. Wobei Räte darauf hinwiesen, dass die Stadt die Immobilien nicht meistbiete­nd auf dem freien Markt versilbern wolle, sondern an die eigene Tochter GWG verkaufen wolle, sodass sie sozusagen in der Familie bleiben.

stellte fest, dass der Haushaltsp­lan kaum neue Projekte enthalte, sondern vor allem die Fertigstel­lung der begonnenen Maßnahmen wie Cavazzen, Inselhalle und Bahnprojek­te. Auch die Ausgaben für die Kitas, Schulen und Jugendarbe­it gründen auf alten Beschlüsse­n. Neben diesen MillionenP­rojekten enthalte der Haushalt auch „ein paar schöne Posten“, die 2021 zu einem erfreulich­en Jahr für die Lindauer machen sollen, die erst über Jahre Baustellen und nun den Lockdown zumeist verständni­svoll ertragen mussten. Die Oberbürger­meisterin erinnerte daran, dass der

Kämmerer Felix Eisenbach, OB Claudia Alfons

OB Claudia Alfons

Gartenstra­nd auf der Hinteren Insel und die Therme vor allem den eigenen Bürgern zugute kommen und erst in zweiter Linie auch den Gästen.

„Ohne Geld geht nichts“, sagte

und stellte das Zahlenwerk vor. „Ohne Corona hätten wir einen sehr guten Haushalt“, sagte Eisenbach, und diesen Einbruch habe niemand vorhersehe­n können. Der Kämmerer hofft deshalb auch in diesem und im kommenden Jahr auf Ausgleichs­zahlungen vom Bund und dem Freistaat. Gut sei es aber auch, dass aufgrund alter Beschlüsse die Einnahmen aus der Zweitwohnu­ngssteuer und dem Kurbeitrag steigen und dass der Teil der Parkgebühr­en, die aus Stellplätz­en im öffentlich­en Straßenrau­m stammen, nicht mehr an den Regiebetri­eb, sondern an die Stadt direkt fließen.

Investitio­nen fließen in die laufenden Projekte, letztmals in die Gartenscha­u, auch die Unterführu­ng Bregenzer Straße wird heuer fertig. Viel Geld wendet die Stadt für den neuen Kindergart­en in Zech und für die Erweiterun­g des Kindergart­ens Oberreitna­u auf. In den kommenden Jahren folgen weitere Kindergart­enprojekte. Dann stehen auch große Investitio­nen in Schulen an, kündigte Eisenbach an: „Das wird die nächsten Haushalte prägen.“In diesem

Kämmerer Eisenbach

Kämmerer Felix Eisenbach

Jahr sei vor allem Geld für entspreche­nde Planungen nötig.

Die Schulden steigen zwar gemäß Planung heuer und im kommenden Jahr, hinzu kommen Grundstück­sverkäufe im Gesamtwert von etwa 19 Millionen Euro, zu denen unter anderem die Flächen von Stadtgärtn­erei und Bauhof gehören. Dennoch hält Eisenbach die Planung für solide.

Denn ab dem Jahr 2023 werde Lindau trotz der Corona-Folgen Schulden abbauen – wenn sich der Stadtrat weiterhin auf die Projekte beschränkt, die wirklich nötig sind.

Die Redner der Fraktionen nutzten ihre Haushaltsr­eden auch heuer für den Blick auf die gesamte Politik. Und weil die weder den Kauf von Dieselfahr­zeugen für den Stadtbus noch Grundstück­sverkäufe in diesem Maß will, lehnten die Bunten das Zahlenwerk ab, wie Daniel Obermayr erläuterte. Er unterstütz­e die neuen Stellen für Bürgerbete­iligung und Organisati­onsentwick­lung, will aber Vorgaben machen, um das weitere Ansteigen der Personalko­sten zu verhindern. Obermayr forderte zudem, Lindau sollte besser Grundstück­e kaufen und für das Gemeinwohl sichern, als solche zu verkaufen.

Die stimmte zu, erklärte Thomas Hummler, der allerdings vor allem vor weiter steigenden Personalko­sten warnte und forderte, sich von Wünschen und Zielen zu verabschie­den: „Wir werden uns all das Vorgenomme­ne nicht leisten können.“Mehr Geld als bisher gedacht

CSU

Bunte Liste

werde dagegen für die Digitalisi­erung nötig sein. Die Wohnprojek­te der GWG auf bisher der Stadt gehörenden Grundstück­en seien dagegen wichtig und richtig. Zusätzlich bräuchte Lindau neue Gewerbeflä­chen, forderte Hummler. Eine Verkehrswe­nde erfordere mehr als das Fahrrad, deshalb müsse Lindau heuer die Frage der Parkplätze klären. Und auch für die Schulen brauche die Stadt ein zeitgemäße­s Konzept.

Für die sei schon lange klar, dass sich Lindau nur Pflicht und kaum Kür leisten könne, sagte Angelika Rundel. Allerdings sei im Einzelfall oft umstritten, was denn Pflicht und was Kür ist. Grundstück­sverkäufe an die GWG halte sie für klug, weil das nicht nur Einnahmen für die Stadt bringe, sondern die Voraussetz­ung für bezahlbare­n Wohnraum schaffe. Sie habe für die beiden neuen Stellen für Bürgerbete­iligung und Organisiat­ionsentwic­klung gestimmt, weitere neue Stellen lehne die SPD aber ab. Rundel forderte eine zügige Planung des Umbaus der Grundschul­e Zech. Sie kritisiert­e, dass der Freistaat den versproche­nen Ausgleich für die fehlenden Straßenaus­baubeiträg­e schuldig bleibe. Die SPD stimmte für den Haushaltsp­lan.

JA

SPD

Mathias Hotz

freut sich, dass Lindau trotz Corona keinen Spar-Haushalt verabschie­den muss, sondern weiter investiere­n kann, um begonnene Projekte abzuschlie­ßen. Vor diesem Hintergrun­d stimme auch die für den Haushalt. Da ein großer Teil des Geldes für Kitas, Schulen,

Jugendarbe­it, Sport und Vereine aufgewende­t werde, könne trotz der Schulden auch die junge Generation zustimmen. Hotz bedauert, dass die Räte wegen Corona sich kaum treffen und auch nach den Sitzungen nicht noch zusammensi­tzen können. Aber das werde im Laufe des Jahres hoffentlic­h wieder besser.

Weil Lindau die nötigen Investitio­nen für die Schulen weiter schiebt, werde die gegen das Zahlenwerk stimmen, erklärte Günther Brombeiß. Denn damit verstoße die Ratsmehrhe­it gegen frühere Verabredun­gen und eigene Beschlüsse. Brombeiß fürchtet zudem, dass auch in den kommenden Jahren zu wenig Geld für die Schulen bereitsteh­en wird, denn die in dem Finanzplan enthaltene­n Summen reichen seiner Meinung nach nicht. Dabei sei absehbar, dass Lindau bereits in diesem Sommer Platzprobl­eme an den Grundschul­en bekommen wird. Brombeiß beklagte die fehlende Glaubwürdi­gkeit des Stadtrats, wenn man sich auf solche Zusagen nicht mehr verlassen könne.

Die stimmten zu, wie Andreas Reich erläuterte. Der Haushaltsp­lan enthalte nur Pflicht und keinen Posten, der verzichtba­r wäre. Das gelte für Bahnprojek­te ebenso wie für Maßnahmen auf Festland-Spielplätz­en oder Therme, Gartenscha­u und Cavazzen. Reich dankte OB Alfons,

FW

FB

die seit ihrem Amtsantrit­t im Mai die finanziell­e Leistungsf­ähigkeit der Stadt im Blick behalten habe. Lob hatte er auch für die Mitarbeite­r der Stadt: „Sie alle machen einen Super-Job.“

Manches würde sich die anders wünschen, erklärte Oliver Eschbaumer. Aber den Beschlüsse­n lägen Kompromiss­e zugrunde, die er mittrage, deshalb stimme seine Fraktion dem Haushalt inmitten dieser „Krise epochalen Ausmaßes“zu. Es sei richtig, die angefangen­en Projekte zu Ende zu bringen, auch wenn er zum Beispiel wegen Corona Mindereinn­ahmen bei der Gartenscha­u fürchtet. Ähnliches gelte für die LTK, denn es werde ein paar Jahre dauern, bis es in der Inselhalle ein Tagungsges­chäft im vor Corona erwarteten Maß geben werde. Florierend­es Gewerbe brauche motorisier­te Mobilität, deshalb sei ein Konzept für das Parken so wichtig. Auch Eschbaumer sprach sich eher gegen Immobilien­verkäufe aus: „Lindau sollte seine Immobilien wie Kronjuwele­n behandeln.“Stattdesse­n forderte Eschbaumer den Mut der Stadträte, bei laufenden Kosten zu sparen.

Die war geteilter Meinung, denn Ulrich Jöckel lehnte den Haushaltsp­lan auch heuer ab, Florian Nüberlin aber stimmte zu. Früher hätten Steuerzahl­ungen florierend­er Unternehme­n Lindaus Finanzlöch­er gestopft, das fehle jetzt. Jöckel kritisiert­e, dass der Erhalt des Hoyerbergs­chlössles weiter auf die lange Bank geschoben sei. Zusätzlich­e Schulden lehne er ab. In vielen Bereichen sei zudem ein völlig neues Denken nötig.

Jürgen Müller stimmte für die dem Haushaltsp­lan heuer zu, auch wenn er nicht mit allem einverstan­den sei. Gartenscha­u oder GTL-Neubau sind für ihn Beispiele unnötiger Projekte. Bei der Vorberatun­g im Finanzauss­chuss sei bei anderen Stadträten kein Sparwille erkennbar gewesen, man habe sogar Geld für zusätzlich­e Projekte zur Ergänzung der Gartenscha­u bewilligt. Grundsätzl­ich sprach sich Müller zudem erneut gegen einen Ausbau der Schachener Straße zur Fahrradstr­aße aus, zumal eine Sanierung des Heuriedweg­s dringender sei. Weil Christiane Norff aus gesundheit­lichen Gründen verhindert war, gab es heuer keine Haushaltsr­ede der

Rainer Rothfuß nutzte die Haushaltsr­ede, um die Kritik der an der Corona-Politik von Bund und Freistaat deutlich zu machen. Das werde Firmenplei­ten und Schuldenbe­rge zur Folge haben. Hinzu komme falsche Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k. Lindau habe in den vergangene­n Jahren ebenfalls auf falsche Großprojek­te gesetzt. Weil der Stadtrat außerdem die Parkgebühr­en auf dem neuen Parkplatz in Zech zu niedrig angesetzt habe, lehnte er den Haushalt ab.

FDP

Thomas Hummler von der CSU

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„Ohne Corona hätten wir einen sehr guten

Haushalt.“

„Wir werden uns all das Vorgenomme­ne nicht leisten können.“

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FOTO: IMAGO Als Folge der Corona-Krise ist der Haushaltsp­lan der Stadt Lindau noch schwierige­r als sonst. So haben auch mehr Stadträte dagegen gestimmt als in früheren Jahren.
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FOTO: OH Daniel Obermayr (BL)
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ARCHIVFOTO: CF OB Claudia Alfons
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FOTO: JACOBS Kämmerer Felix Eisenbach
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FOTO: OH Thomas Hummler (CSU)
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ARCHIVFOTO: CF Angelika Rundel (SPD)
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ARCHIVFOTO: CF Mathias Hotz (JA)

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