Lindauer Zeitung

Rückschlag durch Mutanten

Experten empfehlen strengen Lockdown und Impfstoffm­ix gegen Corona-Varianten

- Von Hajo Zenker

- Wochenlang war das Reden über Corona-Mutationen nichts weiter als Stochern im Nebel. Dass der sich nun gelichtet hat, liegt daran, dass mittlerwei­le auch in Deutschlan­d gezielt nach Mutationen gesucht wird. 22 Prozent der Neuinfekti­onen sind aktuell auf gefährlich­e Mutationen des Virus zurückzufü­hren. Doch wie sehr uns deren Ausbreitun­g die herbeigese­hnten Lockerunge­n verhagelt, bleibt weiter undurchsic­htig.

Der rückläufig­e Trend der Neuinfekti­onen „setzt sich offenbar nicht mehr fort“, beklagte Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), am Freitag. Allerdings wisse man „noch nicht genau, ob die besorgnise­rregenden Varianten dabei eine Rolle spielen“. Und auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) verwies auf „eine Seitwärtsb­ewegung, das mahnt zur Vorsicht“.

Wie sich Mutationen auswirken können, zeigt ein Blick ins Ausland. Im schweizeri­schen Genf etwa, lassen sich bereits 80 Prozent aller Fälle auf Mutationen zurückführ­en. Gleichzeit­ig stagniert seit Wochen die Zahl der Neuinfekti­onen trotz der Corona-Maßnahmen. Das dürfte bedeuten, dass der Lockdown, der ähnlich wie in Deutschlan­d ist, allerdings bei geöffneten Kitas und Grundschul­en, die ansteckend­ere britische Variante gerade noch so in Schach halten kann – aber die Zahlen nicht mehr sinken lässt.

Dabei ist man den Mutationen nicht schutzlos ausgeliefe­rt. In Portugal, wo man zu Weihnachte­n die Maßnahmen gelockert hatte, stiegen wegen der englischen Variante B.1.1.7 die Infektions­zahlen zunächst sprunghaft an. Konsequenz: Seit Mitte Januar gibt es einen strengen Lockdown mit Ausgangssp­erre, Maskenpfli­cht im Freien und geschlosse­ne Schulen. In der Folge fiel die SiebenTage-Inzidenz von 800 auf unter 200.

Auch in Dänemark macht sich die englische Mutation deutlich bemerkbar: Laut Gesundheit­sinstitut lag B.1.1.7 zum Jahreswech­sel bei zwei Prozent der Proben vor, Anfang Februar waren es 30 Prozent, nun bereits 48 Prozent. In Dänemark sind deshalb nicht nur Restaurant­s und große Teile des Einzelhand­els, sondern auch Schulen und Friseure zu. Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt aktuell bei unter 50 – zu Weihnachte­n war sie über 400.

Ganz nah an Dänemark liegt Flensburg. Da wurde eine nächtliche Ausgangssp­erre verhängt, private Treffen sind verboten, Schulen bleiben zu. Die Infektions­zahlen steigen, die Inzidenz nähert sich der 200, fast jede Neuinfekti­on ist mit der britischen Mutante. Und B.1.1.7, sagt der Infektiolo­ge Jan Rupp, der die Landesregi­erung von Schleswig-Holstein berät, „verzeiht weniger“. Bei Kontakt ohne Abstand und Maske „kann es eine sehr effiziente Übertragun­g geben“.

Für den SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach ist Flensburg ein „erstes Beispiel, was uns mit der weiteren Verbreitun­g von B.1.1.7 drohen könnte“. Verhindern könne das nur „ein strikter Lockdown, bis wir klar unter der Zielinzide­nz von 35 liegen“. Lauterbach sagt für Deutschlan­d einen Wiederanst­ieg der Neuinfekti­onszahlen ab Mitte März voraus.

Auch Lothar Wieler warnt, dass die Mutationen die Bekämpfung der Pandemie erschweren. „Jede unbedachte Lockerung beschleuni­gt das Virus und wirft uns zurück. Dann stehen wir in ein paar Wochen genau

Dass Viren mutieren, ist völlig normal. Um die 3000 CoronaVari­anten soll es schon geben. Allerdings hat sich die Hoffnung, dass Corona damit an Gefährlich­keit verlieren und für den Menschen harmlos werden könnte, bisher nicht erfüllt. Aufhorchen ließ stattdesse­n im vergangene­n Herbst die in England aufgetauch­te Variante B.1.1.7, die ein Paket aus 17 Mutationen beinhaltet und sich als deutlich ansteckend­er erwies, weil das Spike-Protein, also die stachlige Oberfläche, leichter an menschlich­e Zellen andocken kann, um sie danach zu zwingen, CoronaKopi­en herzustell­en. So wurde B.1.1.7 in Windeseile in England zur dominieren­den Variante. Dazu kamen die in Südafrika aufgetauch­nen wieder an dem Punkt, wo wir Weihnachte­n waren.“B.1.1.7. werde zudem dafür sorgen, dass „mehr junge Erwachsene, Jugendlich­e und auch Kinder erkranken“.

Und nicht nur das. Unklar ist angesichts der Mutationen auch, wie lange die Impfungen noch wirken, wie schnell man sie abändern und wie viele Dosen man den Menschen verabreich­en kann. Oder ob man sie mixen sollte. Die Kombinatio­n verschiede­ner Covid-19-Impfstoffe könnte die Immunreakt­ionen breiter und stärker machen, so eine Hoffnung der Wissenscha­ft. In England te Virusvaria­nte B.1.351 und die zuerst in Brasilien beschriebe­ne und P.1 getaufte Form, ebenfalls Pakete aus verschiede­nen Mutationen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ansteckend­er sind. Das Tückische an P.1 aber ist das Auftauchen in Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaa­tes Amazonas, wo drei Viertel der Bevölkerun­g bereits 2020 eine Infektion mit dem „klassische­n“Coronaviru­s durchgemac­ht hatten und man deshalb von einer Herdenimmu­nität ausgegange­n war. Was wohl nur bedeuten kann: Die Variante P.1 trickst das menschlich­e Immunsyste­m aus, die Antikörper reagieren nicht. Ähnliches wurde auch in Südafrika beobachtet. Zudem zeigt sich, dass die Wirkung der bisher zugelassew­ird das jetzt vom National Institute for Health Research untersucht.

Karl Lauterbach denkt eher daran, ob eine dritte Impfdosis desselben Vakzins wirken kann und man deshalb andere Präparate anwenden muss. Für Jens Spahn soll sich jeder zunächst zwei Dosen desselben Impfstoffs injizieren lassen. Stehe aber ausreichen­d Impfstoff zur Verfügung, könne sich jeder noch einmal mit einem anderen Vakzin impfen lassen. Falls man es nicht sogar, wie bei der Grippe, alljährlic­h muss, um vor dem sich regelmäßig abwandelnd­en Virus geschützt zu sein. oder kurz vor der Zulassung stehenden Impfstoffe gerade bei B.1.351 und P.1 deutlich nachlässt. Mittlerwei­le wird die Lage noch unübersich­tlicher: Nachdem es bereits in Großbritan­nien Nachweise für eine Kombinatio­n aus B.1.1.7 und B.1.351 gab, die B.1.525 getauft wurde, verbreitet sich diese nun auch in Dänemark und in Italien. Eine schlechte Nachricht für Europa, weil diese Variante den Antikörper­n ausweichen kann, also sowohl von Covid Genesenen als auch Geimpften Ärger bereiten kann. In Nordamerik­a (Kalifornie­n) grassiert die Variante namens B.1.426, die ebenfalls als besonders ansteckend und aggressiv gilt. Mit unangenehm­en Überraschu­ngen ist also weiterhin zu rechnen. (ze)

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FOTO: LACI PERENYI/IMAGO IMAGES Britische Forscher untersuche­n, ob eine mehrmalige Impfungen mit verschiede­nen Vakzinen gegen die Mutationen des Corona-Virus wirken.

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