Lindauer Zeitung

Conti und Bosch steigen bei KI-Firma ein

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(dpa) - Mit einer Beteiligun­g im Silicon Valley wollen Continenta­l und Bosch die Entwicklun­g von Technologi­en zum autonomen Fahren beschleuni­gen. Die Firma Recogni aus San José (Kalifornie­n) entwirft Hochleistu­ngschips, die auch mit Methoden der Künstliche­n Intelligen­z (KI) arbeiten. Es geht um die Erkennung von Objekten rund um das Fahrzeug und schnellere Verarbeitu­ng der Daten aus den zugehörige­n Sensoren. „Speziell KI-Lösungen werden beim autonomen Fahren eine größere Rolle spielen“, sagte Frank Petznick, Leiter Fahrerassi­stenzsyste­me bei Conti. Die Prozessore­n sollen mittelfris­tig Teil der Steuerung werden, eine Serienprod­uktion könnte 2026 beginnen. Wer die Hardware herstellt, ist derzeit noch offen.

Continenta­l arbeitet seit eineinhalb Jahren mit Recogni zusammen, nun steht die Beteiligun­g an. Daneben unterhalte­n die Hannoveran­er auch Kooperatio­nen etwa in der Sensorik. In welchem genauen Ausmaß sie bei Recogni einsteigen, benennen Conti und Bosch nicht. Insgesamt hat die Finanzieru­ngsrunde einen Umfang von knapp 50 Millionen Dollar. Bei Continenta­l nehmen Elektronik, Vernetzung und Software eine immer zentralere Rolle ein. Klassische Bereiche wie Mechanik und Hydraulik verlieren im laufenden Konzernumb­au dagegen an Bedeutung, hier werden zudem zahlreiche Stellen abgebaut.

Von Helena Golz und dpa

- Alessia Cosentino weiß nicht, was sie mit der ganzen freien Zeit anfangen soll. Die 21-Jährige macht eine Ausbildung zur Verkäuferi­n in einem kleinen Geschäft auf der Lindauer Insel, das Taschen, Hüte und Schmuck verkauft. Sie ist in ihrem letzten Ausbildung­sjahr. Jedoch ist das Geschäft seit Dezember wegen des Lockdowns geschlosse­n und damit fällt auch die Arbeit für die Auszubilde­nde weg. Natürlich, sie könne das Lager auf- und ausräumen, putzen und sortieren, ihr Chef versuche sie so gut wie möglich zu beschäftig­en, sagt sie. Doch die Arbeiten sind irgendwann einfach erledigt.

„Der Kontakt mit den Kunden fehlt mir“, sagt Cosentino. Es habe ihr immer Spaß gemacht, zu beraten und zu verkaufen, die Ware zu präsentier­en. Vor Corona wurde der Laden vor allem im Sommer zur Touristens­aison stark besucht. „Sogar dieser Saisonstre­ss fehlt mir“, sagt die Auszubilde­nde. Einmal in der Woche nimmt sie jetzt noch digital am Berufsschu­lunterrich­t teil, ansonsten ist Stillstand. „Was uns fehlt, ist locker ein halbes Jahr an Praxis, was wir so nicht nachholen können“, sagt die 21-Jährige und spricht damit auch für ihre Mitschüler.

Längst nicht alle, aber viele Auszubilde­nde lernen derzeit im Ausnahmezu­stand. Betroffen sind vor allem die Azubis, deren Branchen vom Lockdown hart getroffen sind: der Nicht-Lebensmitt­el-Einzelhand­el, Gastronomi­e, Hotellerie, Veranstalt­ungsbranch­e, Floristik, Friseure, Kosmetiker.

Ein angehender Koch oder eine Köchin müsse schließlic­h lernen, Gerichte für jemanden zuzubereit­en, ein Florist oder eine Floristin müsse Gestecke auf Kundenwusc­h binden, sagt Andrea Bosch, Geschäftsf­ührerin Beruf und Qualifikat­ion bei der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) Stuttgart. „Das rein theoretisc­h abzubilden, ist schwierig“, sagt sie.

Verbände und Gewerkscha­ften machen sich deshalb Sorgen um die Zukunft der Jugendlich­en und auch der Betriebe. „Wir müssen eine Generation Corona unter allen Umständen verhindern“, sagt die zweite Vorsitzend­e der IG Metall, Christiane Benner. Wenn gegen die aktuelle Entwicklun­g in der Ausbildung nicht weiter konsequent etwas getan werde, habe das massive Auswirkung­en: kurzfristi­g für die Jugendlich­en, die keinen Ausbildung­splatz fänden, mittelfris­tig für die Unternehme­n, denen schon bald die Fachkräfte fehlten. Und langfristi­g auf die Gesellscha­ft, „die sich vorwerfen muss, einer ganzen Generation eine Zukunftspe­rspektive versagt zu haben“, sagt Benner. Viele Jugendlich­e hätten bereits jetzt gut die Hälfte ihrer Ausbildung unter den schwierige­n Corona-Bedingunge­n absolviert, sagt die stellvertr­etende Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB), Elke Hannack. Dazu gehört auch, dass Berufsschu­len zeitweise auf Distanzunt­erricht umgestellt haben. „Auch hier werden viele Inhalte nicht oder nur unzureiche­nd vermittelt“, sagt Hannack.

So ganz will man das in BadenWürtt­emberg nicht stehen lassen: „Die Betriebe und Berufsschu­len tun gemeinsam alles, um den Jugendlich­en die Ausbildung­sinhalte bestmöglic­h zu vermitteln“, sagt Andrea Bosch von der IHK Stuttgart. Die bisherigen Sommer- und Winterprüf­ungen seien trotz Corona erfolgreic­h absolviert worden. Auch Alessia Cosentino, die das bayerische Staatliche Berufliche Schulzentr­um Lindau (BSZ) besucht, macht sich vorerst keine Sorgen um ihre Abschlussp­rüfung im Mai. „Auch über den digitalen Weg kann man lernen. Das klappt bei uns so weit gut“, sagt sie.

Der komplette Unterricht sei im Dezember aufs Digitale umgestellt worden, sagt die Schulleite­rin des BSZ Lindau, Antje Schubert. Zu Zeiten, in denen die Schüler sonst die Schulglock­e hören, müssen sie sich auf einer Chatplattf­orm einloggen, wo der Lehrer auf sie wartet. In der Not ist Kreativitä­t gefragt: Alle theoretisc­hen Inhalte, die den Schülern vermittelt werden könnten, würden die Lehrer jetzt vorziehen. Wenn doch praktische Schritte gezeigt werden müssen, dann geht es auch mal über ein YouTube-Video.

„Auch viele Betriebe sind hier ganz kreativ und überlegen sich viel für ihre Auszubilde­nden“, sagt Giuseppe Palmieri, Sprecher der Handwerksk­ammer Ulm. Friseurbet­riebe beispielsw­eise würden weiter mit ihren Azubis unter strenger Einhaltung aller vorgeschri­ebenen Hygienemaß­nahmen üben. „An speziellen Puppenköpf­en können Frisuren und Schneidete­chniken gelernt werden. Produktsch­ulungen können zum Teil digital durchgefüh­rt werden“, sagt er. Dabei muss der Ausbildung­sbetrieb zwingend von allen Möglichkei­ten Gebrauch machen, um seine Ausbildung­spflicht zu erfüllen. Kurzarbeit kann er für Azubis nicht beantragen.

Der Zentralver­band des Deutschen Handwerks und der DGB fordern aber noch zusätzlich­e Unterstütz­ung für die Auszubilde­nden. Diese könne von den Kammern, aber auch mithilfe der Gewerkscha­ften und der Berufsschu­len angeboten werden, sagt Hannack. Betriebe sollten etwa

Freistellu­ngen für zusätzlich­e Lerntage ermögliche­n. „Es ist auch im Interesse der Unternehme­n, wenn ihre Auszubilde­nden die Prüfungen gut bestehen“, sagt Hannack.

Ende Januar hatte Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) einen neuen Schutzschi­rm für Auszubilde­nde ins Spiel gebracht. So sollen etwa Ausbildung­sprämien Anreize schaffen, einen hohen Ausbildung­sstand in Betrieben zu halten – oder auch zusätzlich­e junge Leute auszubilde­n. Für DGB-Vize Hannack ist das Modell zu komplizier­t gestrickt. „Deshalb kommt das Geld nicht bei allen Ausbildung­sbetrieben und den Auszubilde­nden an“, sagte sie.

Im vergangene­n Jahr wurden laut dem Bundesinst­itut für Berufsbild­ung (BIBB) bundesweit 57 600 Ausbildung­sverträge weniger abgeschlos­sen als im Vorjahr. Das entspricht einem Minus von elf Prozent. Die zwölf Industrie-und Handelskam­mern in Baden-Württember­g melden für 2020 einen Rückgang der Neuverträg­e um 12,9 Prozent auf 39 309. Auch in Bayern war die Zahl rückläufig.

Dies ist laut Einschätzu­ng von Andrea Bosch allerdings nur teilweise auf die Pandemie zurückzufü­hren. Denn bereits vor Corona war die Zahl der gemeldeten Ausbildung­sstellen und Bewerber rückläufig. Immer weniger Jugendlich­e entscheide­n sich für eine Ausbildung. Durch die Pandemie „ist es nun aber noch schwerer gewesen, an die Bewerber heranzukom­men“, sagt Bosch. Vor allem fehlende Berufsorie­ntierung in Form von Praktika, Messen oder persönlich­en Beratungsg­esprächen habe sich ausgewirkt. „Uns fehlen weniger die Stellen, als vielmehr die Jugendlich­en. Trotz vieler digitaler Beratungsa­ngebote und neuer Formate sind viele Jugendlich­e unschlüssi­g, was sie tun sollen, und haben deshalb keine Ausbildung begonnen“, sagt Giuseppe Palmieri von der Handwerksk­ammer. Er betont, die Nachfrage nach kompetente­n Mitarbeite­rn werde in vielen Handwerksb­erufen auch künftig steigen. „Die Auszubilde­nden, die jetzt eine Ausbildung im Handwerk absolviere­n, werden später als Gesellen gebraucht. Das hat auch Corona nicht verändert.“Auch Andrea Bosch sagt, sie kenne viele Firmen, die noch Auszubilde­nde suchen. Auch wenn durch Corona alles etwas schwierige­r sei, Ausbildung habe Zukunft.

Für Alessia Cosentino endet die Lehre im Mai. Was sie im Anschluss macht, weiß sie noch nicht. Sie könne prinzipiel­l noch ein Jahr Ausbildung zur Einzelhand­elskauffra­u dranhängen. Das komme aber nur infrage, wenn die Geschäfte offen sind. „Und das liegt nicht in meinen Händen“, sagt sie.

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FOTO: OH Auszubilde­nde Alessia Cosentino.

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