Lindauer Zeitung

Haftstrafe für den „Schwarzwal­d-Rambo“

Mann entwaffnet­e vier Polizisten und floh – Verteidige­r kündigen Revision an

- Von Ludger Möllers und Simon Allgeier

- Das Landgerich­t Offenburg hat den sogenannte­n Waldläufer von Oppenau (Ortenaukre­is) am Freitag zu einer dreijährig­en Gefängniss­trafe verurteilt. Der heute 32jährige Yves R. ist nach Überzeugun­g des Gerichts des illegalen Waffenbesi­tzes, des Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt, der gefährlich­en Körperverl­etzung und der Geiselnahm­e in einem minderschw­eren Fall schuldig. R. hatte im Sommer 2020 zunächst vier Polizisten entwaffnet, war dann geflohen und erst nach fünf Tagen und einer aufwendige­n Fahndung gefasst worden. Die Verteidigu­ng kündigte eine Revision gegen das Urteil an, das noch nicht rechtskräf­tig ist.

An diesem Freitagmit­tag winkt Yves R. seiner Familie und Freunden in der zum Gerichtssa­al umfunktion­ierten ehemaligen Offenburge­r Reithalle zu, die jetzt als Kulturforu­m genutzt wird: Sie sind gekommen, um bei der Urteilsver­kündung dabei zu sein, um R. moralisch zu unterstütz­en. In sozialen Medien hatte sich schon während R.s Flucht eine Art Fanclub gebildet, der auch Geld zu seiner Unterstütz­ung gesammelt hatte. Es wurden T-Shirts bedruckt mit der Aufschrift „Justice 4 Yves“(„Gerechtigk­eit für Yves“).

R. bleibt unbewegt und ohne sichtliche Regung, als Richter Wolfgang Kronthaler in seiner Urteilsbeg­ründung von einem Mann spricht, der unter einer Persönlich­keitsstöru­ng leide und schon oft straffälli­g geworden sei. Mit ihrem Urteil bleibt die Kammer unter Kronthaler­s Vorsitz unter dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft, die in dem seit Mitte Januar laufenden Prozess drei Jahre und neun Monate Haft gefordert hatte. Die Verteidigu­ng hatte im Prozess den Vorwurf der Geiselnahm­e bestritten und eine Bewährungs­strafe von einem Jahr und sechs Monaten beantragt.

Rückblick: Im Frühjahr und Sommer beschließt R., der kurz zuvor Arbeit und Wohnung verloren hat, sein Leben neu auszuricht­en. Ihm ist seit seinem 30. Lebensjahr und einer einschlägi­gen Vorstrafe das Führen von Waffen verboten. Er richtet sich illegal in einer Gartenhütt­e oberhalb von Oppenau im Schwarzwal­d ein. Am Sonntag, 12. Juli, meldet der Besitzer der Hütte der Polizei einen Mann in Tarnkleidu­ng und mit Pfeil und Bogen. Vier Beamte rücken aus. Bei der Kontrolle bedroht R. die Ordnungshü­ter mit einer echt aussehende­n Schrecksch­usswaffe, entwaffnet sie und flieht mit ihren Pistolen in den Wald.

Eine der aufwendigs­ten Suchaktion­en im deutschen Südwesten beginnt. Zeitweise sind über 2000 Polizisten mit Wärmebildk­ameras, Hunden und Hubschraub­ern im Einsatz. Tagelang ist R. wie vom Erdboden verschluck­t, versteckt sich in Gruben und Erdlöchern. In den Medien wird R. als „Schwarzwal­d-Rambo“bezeichnet. In Oppenau, wo man R. hingegen als harmlosen Sonderling kennt, kippt die Stimmung, als Schulen und Kindergärt­en geschlosse­n bleiben.

Am sechsten Tag entdeckt die Polizei den Flüchtigen in einem Gebüsch. Bei seiner Festnahme verletzt er einen SEK-Beamten mit einem Beil am Fuß.

Vor dem Prozess überschlag­en sich die Beobachter mit ihren Vorhersage­n: Bis zu 15 Jahre Haft könnten auf R. wegen der Geiselnahm­e in einem schweren Fall warten.

Doch während der Verhandlun­g wird deutlich: Das Gericht bewertet die Überwältig­ung der Polizeibea­mten differenzi­erter. Für Geiselnahm­e sind laut Strafgeset­zbuch mindestens fünf Jahre Haft vorgesehen. In diesem Fall habe es sich aber nur um wenige Sekunden gehandelt. „Das war nicht vergleichb­ar mit dem Entschluss, eine Bank auszuraube­n, dort eine Geisel zu nehmen und sie stundenlan­g zu halten“, so der Richter.

Das Geständnis, das R. gleich zu Beginn des Prozesses abgelegt hatte und seine Entschuldi­gung wirken sich strafmilde­rnd aus. Es sei von einem spontanen Tatentschl­uss auszugehen. Kronthaler würdigt: „Sie haben im Wesentlich­en zur Aufklärung beigetrage­n und ihr Bedauern geäußert.“

Ein Gutachter hatte R. eine kombiniert­e Persönlich­keitsstöru­ng bei hoher Intelligen­z attestiert. Er habe Probleme, Empathie zu empfinden, sei introverti­ert und stur. Grundsätzl­ich schuldunfä­hig sei er nicht – nur für die Festnahmes­ituation, als der

Flüchtige dehydriert und übernächti­gt von einem Taser getroffen wurde, bescheinig­te der Psychiater dem Angeklagte­n eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit.

Zur Gefühlslag­e ihres bereits in Handschell­en abgeführte­n Mandanten wollten sich die Verteidige­r Melanie Mast und Yorck Fratzky am Freitag nicht äußern. Sie kündigten jedoch an, beim Bundesgeri­chtshof Revision gegen das Urteil einzulegen. Denn wenngleich R.s Bekannte angesichts des Strafmaßes aufatmeten und fanden, damit sei er „gut weggekomme­n“, übten die Verteidige­r Kritik an der juristisch­en Entscheidu­ng. Bei der Tat am 12. Juli handele es sich um keine Geiselnahm­e, erklärten Mast und Fratzky: Sie gehen von Widerstand und schwerem tätlichen Angriff gegen Vollstreck­ungsbeamte aus. Nach ihrer Darstellun­g wurde der Angeklagte in die Enge getrieben. Provokatio­nen eines Polizisten hätten zur Eskalation geführt. Doch nun sei der Bundesgeri­chtshof am Zuge.

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FOTO: THOMAS KIENZLE/AFP Bleibt es beim Urteil, muss Yves R. für drei Jahre hinter Gitter.

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