Lindauer Zeitung

„Manche Fälle lassen Ermittler nicht mehr los“

Immer wieder rücken Verbrechen, die vor Jahren oder sogar Jahrzehnte­n begangen wurden, erneut ins Visier der Polizei

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- Vor über 30 Jahren stirbt ein fünfjährig­er Bub bei einem Brandansch­lag in Kempten. Ein Täter wird damals nicht gefunden. Vor kurzem aber gerät der Fall erneut in die Schlagzeil­en – aufgrund von Presseanfr­agen werden die Ermittlung­en wieder aufgenomme­n. Nach Angaben der Generalsta­atsanwalts­chaft München ist eine zwölfköpfi­ge Sonderkomm­ission damit befasst. Dass alte Fälle erneut in den Fokus der Behörden rücken, ist keine Seltenheit. Die Gründe dafür sind vielfältig. Der Kemptener Kripo-Chef Josef Ischwang erklärt im Gespräch mit Simone Härtle, wie es dazu kommt und wie die Ermittler dann vorgehen.

Unaufgeklä­rte Fälle gibt es viele. Wie wird entschiede­n, wann neue Ermittlung­en aufgenomme­n werden?

Wenn es neue technische Meilenstei­ne gibt, beispielsw­eise in Bezug auf die Auswertung von Spuren, kann das ein Anlass sein, alte Fälle nochmals durchzugeh­en und Beweismitt­el erneut zu untersuche­n. Teilweise führen auch aktuelle Ermittlung­en zu Hinweisen auf vergangene Verbrechen. Und manche Fälle lassen einen Ermittler einfach nicht los, gerade wenn es um Kapitaldel­ikte wie Mord geht.

Da kann es schon sein, dass er immer wieder in die Akte schaut und nach neuen Ansatzpunk­ten sucht. Ebenso ist es möglich, dass öffentlich­e Vorwürfe gegenüber der Polizei, beispielsw­eise wegen fehler- oder lückenhaft­er Ermittlung­en, seitens der zuständige­n Staatsanwa­ltschaft geprüft werden und dann zur Wiederaufn­ahme der Ermittlung­en führen.

Wie gehen die Ermittler vor, wenn sie sich mit alten Fällen beschäftig­en?

Das kommt ganz auf den Einzelfall an und darauf, welche Aussagekra­ft eine Spur hat. Manchmal gibt es einen neuen Zeugen, dessen Vernehmung weitere Erkenntnis­se zum Täter oder zum Tatort bringt.

Es kann aber auch sein, dass ein DNA-Treffer zu einem Verdächtig­en führt. Neue Techniken spielen in der Regel eine große Rolle. Gerade die

Entwicklun­g im Bereich der Bildrecher­che geht rasant voran. Alte Überwachun­gsvideos, deren Qualität früher für eine Auswertung zu schlecht war, können heute dank der digitalen Möglichkei­ten helfen, einen Täter zu identifizi­eren – beispielsw­eise durch die biometrisc­he Gesichtser­kennung.

Wie viele Ermittler und Spezialist­en sind in der Regel an der Aufarbeitu­ng von alten Fällen beteiligt?

Das entscheide­t sich danach, wie umfangreic­h die Ermittlung­en sind. Mal ist es nur ein Einzelner, bei großen Fällen werden Sonderkomm­issionen oder Ermittlung­sgruppen gebildet. Je nach Spurenlage werden Spezialist­en hinzugezog­en. Häufig sind das Cyber-Kriminalis­ten, es können aber auch Dienstleis­ter aus dem medizinisc­hen Bereich oder Biologen sein. Das geht durch die ganze Palette der Wissenscha­ften. Es gibt beispielsw­eise Gerichtsme­diziner, die bei stark verwesten Leichen rekonstrui­eren können, wie die Person ausgesehen hat.

Wie gut stehen die Chancen, einen Täter noch Jahre nach seinem Verbrechen zu fassen?

Das kommt immer wieder vor. 1997 gab es einen Raubüberfa­ll auf ein Lebensmitt­elgeschäft in Kempten. Der Täter hatte seine Waren wie jeder Kunde aufs Band gelegt. Als er bezahlen sollte, hat er in die Kasse gegriffen, in der sich mehrere Tausend Mark befanden. Zeugen haben den Mann noch festgehalt­en, aber er konnte fliehen. Auf einer Brotverpac­kung wurde damals ein Fingerabdr­uck gesichert. Die Spur wurde digitalisi­ert und in unsere Datenbank eingelesen. Es gab aber keinen Treffer – obwohl sich später herausstel­lte, dass der Täter schon damals polizeibek­annt war und seine Fingerabdr­ücke erfasst waren. Die Qualität der Spur war für die damalige Zeit aber noch nicht ausreichen­d.

Fast 20 Jahre später, nachdem sich technisch einiges getan hat, gab es bei einer erneuten Überprüfun­g dann doch einen Treffer. 2017 ist der Mann in Berlin festgenomm­en und zu einer Gefängniss­trafe verurteilt worden.

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