Eliminieren statt eindämmen
Initiative No-Covid plädiert für einen harten Lockdown als Alternative zum aktuellen Weg
- Warnungen vor der dritten Welle statt Hoffnung auf Lockerungen im Frühjahr: Die Debatte um den richtigen Weg aus der Corona-Pandemie hält an. Einige Wissenschaftler haben mit der Initiative NoCovid einen Plan vorgelegt, wie ihrer Meinung nach Deutschland wieder näher an die Normalität rücken könnte. Kern der Forderung ist ein noch härterer Lockdown. Worum es dabei geht und welche Kritik es gibt.
Was ist Ziel der Initiative?
Ziel von No-Covid ist es, die SiebenTage-Inzidenzwerte in Deutschland unter zehn Ansteckungen pro 100 000 Einwohnern zu drücken und diese dort zu halten. Dann soll dieser Wert sogar auf null sinken. Derzeit werden etwa nächtliche Ausgangsbeschränkungen beim Schwellenwert 50 gelockert, weitere Lockerungen sollen beim Wert 35 folgen. Die No-CovidInitiatoren aber warnen: Ziel müsse es sein, den Kreislauf von Lockdown, sinkenden Infektionszahlen, gefolgt von vorsichtigen Öffnungen und erneut steigenden Zahlen zu durchbrechen. Mit der No-Covid-Strategie dagegen könne man die Pandemie eliminieren anstatt sie nur einzudämmen. Außerdem biete sie den Menschen ein konkretes Ziel statt der Aussicht auf den Wechsel von Lockdown und Lockerungen. Gerade angesichts der neuen Virus-Mutanten sei es nötig, mit konsequenteren Maßnahmen als bisher zu reagieren.
Wer steckt hinter der Initiative?
Entwickelt hat den Plan eine Gruppe von 14 europäischen Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen. Darunter sind die deutsche Virologin Melanie Brinkmann und der Präsident des Münchner ifo-Institutes Clemens Fuest. Brinkmann gehört auch zum wissenschaftlichen Beraterstab, der die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten berät.
Welche Maßnahmen fordern sie?
Zur Strategie der Bundesregierung, die darauf abzielte, die Inzidenzen unter 50 zu drücken und jetzt 35 ins Auge fasst, sagt Brinkmann: „Mit diesem Kurs haben wir keine Chance.“Stattdessen brauche es einen wirklich harten Lockdown. Bis die Inzidenz nicht 14 Tage unter zehn liegt, sollen nur systemrelevante Berufe in ihre Arbeitsstätte gehen dürfen. Der Rest müsste Homeoffice machen oder etwa in Kurzarbeit gehen. Brinkmann meint: „Dieses Larifari des ,Hier ein bisschen Homeoffice, dort ein improvisiertes Hygienekonzept’, das muss aufhören.“Es brauche jetzt Konsequenz. Während Kitas und Krippen geöffnet haben könnten, sollten in den Schulen zunächst nur die Klassen eins und zwei zum Unterricht zurückkehren können. Das Strategiepapier sieht weitere Lockerungen erst vor, wenn die Inzidenz für längere Zeit unter fünf oder auf null sinkt. Das Erreichen von einer Inzidenz unter zehn halten die Experten in wenigen Wochen für möglich, sie verweisen auf die australische Stadt Melbourne, wo dieses Konzept gut funktioniert habe. Die Autoren sind aber dagegen, deutschlandweit dieselben Maßnahmen zu ergreifen. Stattdessen sollen sogenannte Grüne Zonen möglich werden: In Regionen, in denen die Inzidenz schneller sinkt, könnten Öffnungen schneller kommen. Dazu solle so viel wie möglich getestet werden, um das Infektionsgeschehen beobachten zu können. Die Gesundheitsämter müssten wieder in der Lage sein, die Kontaktpersonen Infizierter nachzuverfolgen, um Infektionsketten zu durchbrechen. Das ist derzeit vierlerorts wegen der hohen Fallzahlen nicht mehr möglich. Notfalls müsste man dann auch wieder Beschränkungen einführen, wenn das Infektionsgeschehen neu aufflamme.
Welche Kritik daran gibt es?
Der No-Covid-Plan würde die Wirtschaft schwer treffen. Kritik kam deshalb vom arbeitgebernahen Institu
für Wirtschaft. Dessen Chef Michael Hüther schreibt: „Das Ziel der absoluten und dauerhaften Eliminierung des Coronavirus in Deutschland führt realistischerweise in eine Sackgasse.“Wirtschaftlich würden sich drastische Einschränkungen des öffentlichen Lebens nicht lohnen. Eine gewisse Sterblichkeit müsse man hinnehmen. Dabei verweisen sie auf eine Studie des amerikanischen Medizinforschers Eran Benavid, die keine Beweise für die Wirksamkeit von harten Lockdowns findet und damit den Ergebnissen der meisten anderen Studien zu diesem Thema widerspricht – Kritik, der die No-CovidAutoren schon in ihrem Papier begegnen. Untersuchungen zeigten, dass durch die tröpfchenweise Einführung der Lockdown-Maßnahmen der größte Schaden angerichtet werde. Außerdem machen sie Vorschläge, die die Folgen mindern sollen. Homeoffice wo immer möglich sei ein Teil dieser Lösungen, außerdem könne man hochautomatisierte Fabriken und andere Sektoren mit niedriger Ansteckungsgefahr ebenfalls geöffnet halten. Regional könnten Unternehmen in Grünen Zonen auch wieder öffnen. So ließe sich das Interesse der Unternehmen an einer Senkung der Fallzahlen womöglich steigern. „Ein komplettes Herunterfahren der Wirtschaft fordern wir ausdrücklich nicht“, so Brinkmann.
Es gibt doch jetzt Impfungen, brauchen wir einen harten Lockdown überhaupt noch?
Das beantworten die Autoren mit einem klaren Ja. Es sei unmöglich, genügend Menschen zu impfen, bevor die Mutanten das Infektionsgeschehen bestimmen. Diese sind auch der Grund, warum die aktuell niedrigen Fallzahlen trügerisch sein könnten. Brinkmann meint: „Den Wettlauf gegen die Mutationen haben wir längst verloren.“Es dauere zu lange, bis jeder geimpft sei. Jetzt gehe es darum, Zeit zu gewinnen, um die Auswirkungen der Mutanten abzufedern.
Will die Politik die Strategie umsetzen?
Zwar hat die No-Covid-Strategie mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einen prominenten Fan. Gegenüber den anderen Bundesländern konnte sich Söder aber nicht durchsetzen. In ihren Beratungen Mitte Februar hat die Bund-Länder-Runde die Vorschläge der No-Covid-Experten nicht aufgenommen.