Brüssel bereitet neue Sanktionen gegen Russland vor
EU plant Einreisesperren – Mitarbeiter des inhaftierten Kremlkritikers Nawalny verlangen schärfere Reaktion
- Die extrem schlechten Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland sowie die Veurteilung Alexei Nawalnys zu Lagerhaft standen am Montag ganz oben auf einer langen Tagesordnung der EU-Außenminister, die zu einem persönlichen Treffen nach Brüssel kamen. Besprochen wurde auch die Lage in Hongkong, sowie das Nuklearabkommen mit Iran. Der neue amerikanische Außenminister Antony Blinken schaltete sich für einen Meinungsaustausch zu.
Als neuen Tiefpunkt in den europäisch-russischen Beziehungen sehen viele Regierungen die Reise des europäischen Außenbeauftragten Josep Borrell Anfang Februar nach Moskau, wo er vor laufenden Kameras von Außenminister Sergei Lawrow brüskiert wurde, ohne sich dagegen zu wehren. Auch am Montag hatte Borrell einen eher kleinmütigen Auftritt. Er kündigte aber Sanktionen binnen einer Woche an und forderte den Kreml auf, die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu respektieren. Der hatte Mitte Februar entschieden, dass Nawalny unverzüglich freizulassen sei. Die Außenminister beauftragten den europäischen Auswärtigen Dienst damit, Personen zu benennen, die für Nawalnys Verurteilung verantwortlich sind.
Sie sollen mittel- oder unmittelbar mit Nawalnys Verurteilung in Beziehung stehen, gleichzeitig aber nicht zu hoch in der Kreml-Hierarchie angesiedelt sein. So will man den Druck aufrecht erhalten, ohne die Gesprächskanäle vollends zu verschütten. In diese Kategorie könnten Generalstaatsanwalt Igor Krasnow und der Chef des Ermittlungsausschusses Alexander Bastrykin gehören. Ferner kursiert der Name des Leiters des Gefängnisdienstes Alexander Kalschnikow und des Leiters der Nationalgarde Victor Solotow. In der Vergangenheit wurden in ähnlichen Fällen bereits Einreisesperren verhängt und westliche Konten eingefroren. Oligarchen im Umfeld von Präsident Wladimir Putin sollen nach Diplomatenangaben zufolge nicht betroffen sein. Die EU hat im Dezember einstimmig eine Verordnung beschlossen, die Sanktionen gegenüber Einzelpersonen wegen Menschenrechtsverletzungen deutlich erleichtert. Sie wird nun erstmalig angewandt.
Der außenpolitische Sprecher der Konservativen Fraktion im Europaparlament, Michael Gahlen, begrüßte die Entscheidung der Außenminister. Sie dürfe aber keine einmalige Reaktion bleiben. „Ich würde es begrüßen, wenn wir unseren Sanktionsmechanismus künftig quasi automatisch gegenüber allen Richtern und Staatsanwälten anwendeten, die offensichtlich politisch motivierte Urteile verhängen“, sagte der CDUPolitiker am Nachmittag. Ferner erwarte er von der Europäischen Kommission, die Anti-Geldwäscherichtlinie konsequent umzusetzen. Die russischen Oligarchen und Systemprofiteure dürften nicht länger die EU als sicheren Hafen für ihre illegalen Gelder betrachten.
Während mehrere Diplomaten zunächst recht offen Kritik an Borrells Auftritt in Moskau geübt hatten, stellten sie sich am Montag geschlossen hinter den spanischen Außenbeauftragten und erklärten, der Besuch habe immerhin klare Verhältnisse geschaffen. „Lawrow hat zumindest indirekt gesagt, dass Russland daran denkt, die Beziehungen zur EU abzubrechen“, erinnerte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Europa müsse nun Härte zeigen, aber auch die Botschaft aussenden, „dass Russland und die EU tiefe politische, geschichtliche und kulturelle gemeinsame Wurzeln haben und man über die Neubelebung der Beziehungen nachdenken muss und darüber, wie man diese Spirale des Nichtverstehens bremsen kann“.
Verständnis für die russische Perspektive scheint in Westeuropa deutlich stärker ausgeprägt als in Osteuropa.
Vor allem im Baltikum blickt man mit tiefem Misstrauen auf den ehemaligen Besatzer. Sonntagabend hatten auf Initiative des litauischen Außenministers Gabrielius Landsbergis mehrere EU-Außenminister und Botschafter in einer Videokonferenz mit Nawalnys engsten Mitarbeitern gesprochen, die noch schärfere Sanktionen verlangen.
Seit etwa drei Wochen fordert die EU erfolglos die Freilassung des 44jährigen Oppositionspolitikers. Moskau weist dies als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück. Im Januar hatte Nawalny Berlin verlassen, wo er nach einem Giftanschlag behandelt worden war. Nach der Rückkehr nach Moskau wurde er festgenommen und vergangenen Samstag zu mehrjähriger Lagerhaft verurteilt.
„Obwohl einige die Wirksamkeit von Sanktionen noch immer bezweifeln, belegen unsere Informationen die Wirksamkeit von sowohl persönlichen als auch allgemeinen wirtschaftlichen Sanktionen. Je größer der Kreis der mit dem Kreml verbundenen Sanktionierten ist, desto größer ist auch die Wirksamkeit der Sanktionen“, zeigte sich Litauens Premier Vytautas Landsbergis gestern überzeugt.
Die bisherige Entwicklung gibt ihm allerdings nicht recht. Seit Russlands Annexion der Krim 2014 übt die EU ihre Politik der Nadelstiche, hauptsächlich in Form von Einreiseverboten und dem Einfrieren von westlichen Konten derjenigen, die für die Verstöße verantwortlich gemacht werden. Das hat weder an der Haltung der von Sanktionen betroffenen Putin-Vertrauten noch an der Grundlinie der russischen Politik gegenüber der EU etwas geändert.