Mama ist jetzt geimpft
LZ-Mitarbeiterin begleitet ihre Mutter zur Corona-Impfung ins Impfzentrum in die Fos-Turnhalle
- Geschafft! Jetzt sind auch wir einen Schritt weiter aus der Pandemie heraus und einen Schritt näher am Kontakt ohne schlechtes Gewissen und ohne Angst, die Krankheit ins Haus zu tragen. Denn: Meine Mutter ist jetzt geimpft. Wie es dazu kam und wie es im Lindauer Impfzentrum war, lesen Sie hier.
„Hast Du die Omi schon zum Impfen angemeldet?“, lautete im Dezember die fast täglich gestellte Frage meines Sohnes. Wir hatten gerade genau jenes coronagerechte Weihnachten hinter uns, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel den Deutschen ans Herz gelegt hatte, als am 29. Dezember die Einladung von Landrat Elmar Stegmann zur Corona-Schutzimpfung im Briefkasten meiner Mutter lag. Ein Angebot, das wir erleichtert angenommen haben. Per E-Mail bat ich um einen Termin und bekam noch am selben Tag eine Antwort: „Vielen Dank für Ihre EMail. Konkrete Impftermine können leider erst ab Mitte Januar vergeben werden. Wir werden uns dann bei Ihnen melden.“
Danach war erst mal Warten angesagt. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte ja von vornherein angekündigt, dass es anfangs etwas dauern könnte. Und erst dachte ich mir auch noch nichts. Auch dann noch nicht, als schon vom Impfstoffdesaster die Rede war. Schließlich warteten nicht nur wir, sondern alle anderen auch. Unruhig wurde ich erst, als unsere Nachbarin erzählte, dass andere Hausbewohner bereits geimpft seien. Das Ehepaar ist ein paar Jahre jünger als meine 92-jährige Mutter und hatte sich ein bisschen später, dafür aber telefonisch, angemeldet.
Erste Zweifel und Bedenken, dass meine E-Mail vielleicht verschütt gegangen sei, machten sich breit. Erst recht, nachdem sich die Nachrichten von geimpften jüngeren Senioren häuften. Ich rang Tage mit mir, bis ich das tat, was man eigentlich nicht tun soll: nachhaken. Am 8. Februar antwortete das Impfzentrum: „Sie sind in unserem System angemeldet und werden von uns rechtzeitig informiert, wenn es einen Impftermin für Sie gibt. Bitte gedulden Sie sich bis dahin. Wir haben Sie nicht vergessen!“Und tatsächlich: Zehn Tage später hatten wir den Termin.
Pünktlich um 11.50 Uhr stehen wir in der kurzen Schlange vor dem Eingang der Fos-Turnhalle beim Lindauer Berufsschulzentrum. Es dauert ein kleines Weilchen, bis wir an der Reihe sind und uns der freundliche Herr hinter dem Spritzschutz nach dem Namen fragt und danach, ob meine Mutter zur ersten oder zweiten Impfung kommt. Er entschuldigt sich, dass wir noch im zugigen Foyer warten müssen, bis ein Platz in der Halle frei wird. Später werden wir von Dr. Klaus Adams, dem Leiter der Impfzentren im Landkreis, erfahren, dass an diesem Tag 280 Leute einen Termin zum Impfen bekommen haben.
In der Sporthalle sind vier ImpfKabinen aufgebaut, die die Impflinge vor den Blicken der Wartenden schützen. Entlang der Sprossenwände, an denen sich in normalen Zeiten die Schüler mit ungeliebten Bauchübungen fit halten, stehen, in coronagerechten Abständen, Stühle – ein Sammelsurium unterschiedlicher
Modelle in verschiedenen Farben. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Ehepaare, die sich gegenseitig untergehakt haben, Senioren mit Gehhilfen verschiedenster Ausführungen, alte Menschen in Begleitung eines ihrer Kinder oder einer Pflegekraft. Der ein oder andere schiebt sich bedächtig mithilfe eines Rollators an uns vorbei.
Dazwischen die in Schwarz gekleideten Männer von der Security, die Sitzplätze zuweisen. Und auch die mit roten Pullovern ausgestatteten Leute des Dienstleisters Allgäu Medical, die die Wartenden in die Kabine führen. „Das sind ja nur alte Leute“, stellt meine Mutter fest und hat in dem Moment vergessen, dass sie selbst auch keine 20 mehr ist. Trotz der Schutzmasken erkenne ich zahlreiche Gesichter. Lindauer halt, die man aus dem Straßenbild kennt.
„Das ist ein bisschen wie Donald Duck“, mokiert sich die Dame neben uns über die weißen FFP2-Masken und gesteht: „Ich hab Angst.“Als ich frage wovor, erklärt sie: „Ich hab Angst vor dem Piks. Ich hab immer Angst, auch vor dem Zahnarzt und auch, obwohl ich weiß, dass es eigentlich gar nicht weh tut.“So wie auch die erste Impfung vor drei Wochen. „Das hat nicht wehgetan, und ich habe sie gut vertragen. Aber ich habe eben immer Angst.“Wir lachen beide, und ich verrate ihr nicht, dass ich genauso bin. Sie erzählt, dass sie den Impftermin vor drei Wochen direkt im ersten Telefonat mit dem Impfzentrum bekommen habe. Und dass sie Sorgen habe, dass noch mehr Einschränkungen kommen könnten, es mit den Masken nie aufhören werde. „Ich tu mir schwer damit“, sagt die 81-Jährige, ehe sie von einer freundlichen Frau in Rot in die Impfkabine begleitet wird.
Auch die zusammengesunkene Dame von gegenüber, die gerade noch so ausgesehen hat, als würde sie schlafen, ist jetzt dran. Eilig rafft ihre Tochter die Sachen zusammen und hilft der Mutter beim Aufstehen. Meine Mutter hat indes Bedenken, ob sie schnell genug beim Ausziehen sein wird. Es soll sich später zeigen, dass dies unbegründet ist. Denn obwohl es zügig und straff durchorganisiert zugeht, ist von Hektik nichts zu spüren.
„Schreib was Nettes“, fordert mich Dr. Klaus Adams, mit dem ich per Du bin, lachend auf und erzählt, wie genervt alle von der Schelte der vergangenen Tage seien. „Schlimm, wenn man von allen Seiten Ärger bekommt“, sagt er und nimmt sich Zeit, ein bisschen mit mir zu plaudern. So erfahre ich, dass er jetzt, nachdem er erst vor wenigen Wochen in Ruhestand gegangen ist, mehr zu tun habe, als jemals zuvor in seiner Kinderarztpraxis. Sieben Tage die Woche arbeite er, trotz bester Organisation und Vorbereitung. Von morgens um 8 Uhr bis zum späten Abend. Bis eben alle, die für den Tag bestellt worden seien, durchgeimpft sind. An einem Tag seien nur 90-Jährige bestellt gewesen. „Da hab ich gestaunt, wie viele da dabei waren“, aber Lindau sei eben ein Ort, an dem sich viele zur Ruhe setzten. „Aber ich werde ja dieses Jahr auch schon 66“, sagt Adams lachend und geht.
Jetzt werden auch wir von einem netten jungen Mann in Rot in Kabine 4 geführt. Er ist derjenige, der den Schreibkram erledigt und der Ärztin alles reicht, was sie braucht. So auch die Spritze auf einem weißen Tablett. Ein Piks – und nach einem Augenblick ist alles vorbei. Die Impfung dauert gerade so lange, wie ich fragen kann, welcher Impfstoff es ist, und die Ärztin „Pfizer“antwortet. Natürlich weiß ich, dass Senioren nur mit Biontech/Pfizer geimpft werden. Aber die Frage war als Test gedacht, weil ich gehört hatte, dass man nicht erfährt, was geimpft wird.
Was natürlich Quatsch ist. Spätestens der Kleber im Impfpass verrät, was Sache ist.
Weil wir den Impfpass nicht gefunden haben, bekommt meine Mutter ein „Ersatzformular zur Dokumentation der durchgeführten Impfung“, in den die Ärztin den Kleber mit „COMIRNATY“klebt. Ob es wehgetan hat, frage ich meine Mutter. „Überhaupt nicht“, entgegnet sie mir fast schon entrüstet ob dieser Frage. Die Ärztin verabschiedet uns lachend, und wir verlassen die Kabine durch einen Ausgang, der uns auf die Rückseite führt. Auch dort stehen Stühle vor Sprossenwänden.
Die nette Dame in Rot, die uns in Empfang nimmt, erklärt uns, dass wir noch eine Viertelstunde lang Platz nehmen sollen, bevor wir gehen. Zur Beobachtung. Nachdem sie den Namen meiner Mutter in ihr Tablet eingegeben hat, bekommen wir den Termin für die zweite Impfung. Und der ist tatsächlich, wie mir meine Nachbarin schon angekündigt hatte, „ in genau drei Wochen. Gleicher Tag, gleiche Uhrzeit.“
Aus einer anderen Impfkabine kommt eine Dame und zückt ihr Handy. „Ich bin jetzt geimpft“, verkündet sie lachend, dann setzt sie sich zu uns. „Ja, ich bin froh“, antwortet sie mir und erzählt, dass sie sich jedes Jahr gegen Grippe impfen lasse. „Da fühle ich mich sicher. Und außerdem haben wir den guten Impfstoff bekommen, von dem man nichts gehört hat“, sagt sie und verabschiedet sich. Auch wir verlassen um 13.10 Uhr, also nach gut einer Stunde, das Impfzentrum.
Bevor wir nach Hause fahren, gehen wir beim Bäcker vorbei, wo es nun an meiner Mutter ist zu verkünden: „Ich bin jetzt geimpft!“Das freut die Bäckereiverkäuferin. Sie erzählt, dass meine Mutter an diesem Tag bereits die Zweite mit dieser frohen Botschaft sei: „Das macht Hoffnung, dass das Ganze vorbei geht und dass es in Lindau wieder bergauf geht.“