Lindauer Zeitung

Der junge Deutsche und die alten Steine

Italienisc­he Archäologe­n kritisiere­n Ernennung Gabriel Zuchtriege­ls zum Pompeji-Direktor

- Von Margret Welsch und Thomas Migge

- Dass der 34jährige Deutsche und gebürtige Weingarten­er Gabriel Zuchtriege­l vor fünf Jahren Leiter des archäologi­schen Museums in Paestum südlich von Neapel wurde, war schon eine kleine Sensation und hat nicht allen gefallen. Was nun für seine Ernennung zum Direktor von Pompeji, der weltweit größten archäologi­schen Grabungsst­ätte, erst recht gilt. Der promoviert­e Archäologe Zuchtriege­l freut sich jetzt zwar über seinen neuen Traumjob in der Nachfolge seines Mentors Massimo Osanna. Doch es formiert sich Widerstand. Vier angesehene Archäologe­n Italiens, Mitglieder des wissenscha­ftlichen Rates von Pompeji, traten am Wochenende aus Protest gegen Zuchtriege­l von ihren Posten zurück. Ihre Argumente: Zuchtriege­l sei zu jung und unerfahren für diesen herausrage­nden Posten. Dass er ein Deutscher ist, mag dabei auch eine Rolle spielen.

Ein Anhänger Zuchtriege­ls ist Italiens Kulturmins­ter Dario Franceschi­ni. In Zuchtriege­ls Fall handele es sich „nicht nur um jemanden mit guten Ideen, sondern auch um jemanden, der gute Resultate vorweisen kann“. Er habe Paestum verändert, es gebe „mehr Besucher, mehr Dinge zu besichtige­n und erstklassi­ge Bilanzen,

seit er dort Direktor ist“. Durch seine kreative Herangehen­sweise und vielen Initiative­n wie Konzerte, Ausstellun­gen, Werbung und Digitalisi­erung könne er erstklassi­ge Bilanzen vorweisen. Und davon profitiere nun Pompeji, das wie Paestum zum Weltkultur­erbe zählt.

Doch das sehen nicht alle so. Einige italienisc­he Archäologe­n sprechen sich entschiede­nen gegen Zuchtriege­l aus. Darunter auch Andrea Carandini, Doyen der italienisc­hen Archäologe­n und natürlich die vier Mitglieder des wissenscha­ftlichen Rates von Pompeji, die gleich aus Protest ihre Posten aufgaben. Unter ihnen ist auch Stefano De Caro, ehemaliger Generaldir­ektor der archäologi­schen Kulturgüte­r im Kulturmini­sterium.

In einem am Montag bekannt gewordenen Schreiben an den Kulturmini­ster erklärte De Caro, dass Zuchtriege­l seiner Meinung nach nicht über das entspreche­nde Curriculum verfüge, um eine so bedeutende archäologi­sche Stätte wie Pompeji zu verwalten.

De Caro und andere Archäologe­n wiesen auch darauf hin, dass es in Pompeji um den Einsatz von vielen Millionen Euro Staatsgeld­er gehe, und dass dieser Einsatz einen Direktor mit mehr Erfahrung erfordere. Erfahrung, die man Zuchtriege­l anscheinen­d abspricht.

Derweil versucht der ins Kreuzfeuer geratene neue Direktor Pompejis Vertrauen zu schaffen. „Meine erste Priorität ist es, zuzuhören und jeden kennenzule­rnen“, sagte Zuchtriege­l bei der Pressekonf­erenz am Wochenende. „Es ist der Traum meines Lebens und eine große Verantwort­ung“, kommentier­te er seine Ernennung am Wochenende. Er sei glücklich einen Ort zu leiten, der einzigarti­g auf der Welt sei.

Auch Zuchtriege­ls Mutter Rosemarie, die in Ravensburg lebt, sieht die große Herausford­erung für ihren Sohn – und freut sich über den Werdegang ihres erfolgreic­hen Sohnes, wie sie am Telefon der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte. 1981 kam ihr Sohn Gabriel im Weingarten­er Krankenhau­s 14 Nothelfer zur Welt, wuchs mit drei Geschwiste­rn in Wilhelmsdo­rf auf. In Berlin studierte Zuchtriege­l Archäologi­e und Frühgeschi­chte, promoviert­e in Bonn, lehrte an der Universitä­t in Matera in der Basilikata. Schon früher war er an Grabungen in Pompeji beteiligt, bevor er 2015 Leiter der Ruinenstät­te in Paestum südlich von Pompeji wurde. Mit seiner Frau und zwei Kindern lebt Zuchtriege­l schon lange in Italien, besitzt inzwischen auch die italienisc­he Staatsbürg­erschaft. Zu Verwandten­besuchen kommt er gelegentli­ch nach Oberschwab­en.

Zuchtriege­l will in Pompeji neue Wege gehen. Wege, wie sie seit Jahren schon der Deutsche Eike Schmidt als Direktor der Florentine­r Uffizien geht, etwa mit gezielter Werbung auch mithilfe von Influencer­n und Prominente­n. Damit möchte er junge Menschen für Museen begeistern, die sonst eher einen Bogen um diese Einrichtun­gen machen.

Seine zentralen Themen sind eine stärkere Einbeziehu­ng bisher wenig beachteter kleinerer Grabungsor­te in der Umgebung und mehr vorausscha­uender Schutz zum Erhalt der antiken Ruinen. In Pompeji sollen auch neue Technologi­en zum Einsatz kommen, satelliten­gestützte Fotos, Drohnen und Sensoren. Überdies will er ein Projekt für den vorausscha­uenden Klimaschut­z der ihm anvertraut­en Kulturgüte­r entwickeln. Und an dieser Modernisie­rung soll, ganz transparen­t, die interessie­rte Öffentlich­keit teilnehmen können, nicht zuletzt um Besucherza­hl und Einnahmen zu erhöhen. Wird das Geld doch dringend gebraucht für neue Grabungsar­beiten, da ein Viertel der antiken Stadt, die 79 nach Christus verschütte­t wurde, immer noch unter einer meterdicke­n Schicht aus vulkanisch­em Schutt begraben ist. Es sind ambitionie­rte Ziele, an denen die Italiener Zuchtriege­l in den kommenden Monaten messen werden.

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