Vorerst keine Privilegien für Geimpfte
Kanzlerin Merkel beugt sich Druck des österreichischen Kanzlers Kurz nicht
(dpa) - Wenige Monate vor der Sommersaison ist noch kein gemeinsamer EU-Impfpass mit Vorteilen für Corona-Geimpfte in Sicht. Kanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen berieten beim EU-Gipfel am Donnerstag über ein solches Zertifikat, doch gingen die Vorstellungen noch weit auseinander. Merkel hofft zwar, bis zum Sommer nationale Ausweise zu ermöglichen. Sie warnte aber nach dem Gipfel erneut davor, zu früh Privilegien für Geimpfte einzuführen.
Uneins sind sich die EU-Staaten auch über verschärfte Einreiseregeln, wie sie Deutschland eingeführt hat. An einem Strang wollen alle 27 Staaten aber bei der Beschleunigung der Impfungen und beim Abbremsen gefürchteter Virusvarianten ziehen. EU-Behörden ermitteln unterdessen wegen dubioser Impfstoff-Angebote in Milliardenhöhe.
Ein digitaler Pass für Geimpfte, Getestete und Genesene wäre der richtige Schritt, sagte Kurz am Donnerstag. Man wolle nicht im „Dauerlockdown“verharren. Vorbild für die Lösung sei Israel, wo Personen mit Impf-Nachweis zum Beispiel wieder Fitness-Studios nutzen dürften. Kurz' bulgarischer Kollege Boiko Borissow äußerte sich ähnlich. Man habe den Vorschlag mit Österreich, Griechenland und anderen Staaten abgestimmt.
Griechenland und Zypern haben schon jetzt Vereinbarungen mit Israel über die künftige Einreise von
Geimpften geschlossen. Manche EUStaaten wie Polen und Rumänien gewähren Geimpften bereits Vorteile, etwa bei der Einreise.
Dabei ist die Absprache auf EUEbene noch lange nicht so weit. Bislang haben sich die 27 EU-Staaten nur auf einen gegenseitig anerkannten Impf-Nachweis geeinigt. Merkel sagte am Donnerstag, die entsprechenden Aufträge seien bereits an Dienstleister vergeben. Deutschland, Frankreich und andere haben jedoch weiter Bedenken, Vorteile an das Dokument zu knüpfen – unter anderem weil unklar ist, ob Geimpfte das Virus weitergeben. In den kommenden drei Monate könne ein solches Zertifikat in Deutschland möglich sein, so Merkel. Aber: „Das heißt aber nicht, dass nur reisen darf, wer einen Impfpass hat.“
Zuvor hatte die Kanzlerin diese Haltung so begründet: „Solange die Zahl der Geimpften noch so viel kleiner ist als die derjenigen, die auf die Impfung warten, sollte der Staat beide Gruppen nicht unterschiedlich behandeln“.
Kurz dagegen brachte einen nationalen Alleingang ins Spiel, falls es mit der EU-Lösung nichts wird. EUKommissionschefin Ursula von der Leyen mahnte, die EU-Staaten müssten einen gemeinsamen Ansatz finden, da der Sommer näher komme. Zuletzt hatte sie die Debatte als verfrüht bezeichnet.
Rückenwind bekommen Kurz und die anderen Impfpass-Befürworter von der Reisebranche: 14 europäische Verbände der Luftfahrtund Tourismusindustrie forderten am Donnerstag, dass Geimpfte von
Tests, Quarantänen und anderen Einschränkungen befreit werden sollten. „Wenn die EU künftig die notwendigen Restriktionen so gering wie möglich hält, können wir unsere Branche wiederbeleben“, sagte der Präsident der Vereinigung Cockpit, Markus Wahl.
Derzeit gibt es beim Reisen in der EU allerdings viele Hürden. Eigentlich hatten sich die EU-Staaten vor einigen Wochen für ein einheitliches Vorgehen an den Grenzen geeinigt. Deutschland und andere gehen jedoch darüber hinaus. Bei der EUKommission stößt das auf Kritik, weil Pendler und Waren an den Grenzen aufgehalten werden und der Binnenmarkt leiden könnte.
Topthema bei dem Gipfel war, mehr Tempo bei den Impfungen zu gewinnen. Die Staats- und Regierungschefs wollten über eine schnellere Zulassung der Mittel beraten, Produktion und Lieferungen sollen gesteigert werden. Bis Ende Februar sollen EU-weit 51,5 Millionen Impfstoffdosen ausgeliefert werden. Gut 29 Millionen Dosen wurden bislang in den 27 Staaten verabreicht. Ziel ist, dass bis Ende Sommer 70 Prozent der Erwachsenen geimpft sind.
Auch die fragwürdigen ImpfstoffAngebote waren Thema. Nach Erkenntnissen von EU-Ermittlern haben Regierungen in aller Welt insgesamt 400 Millionen Dosen im Wert von drei Milliarden Euro angeboten bekommen, die nicht direkt von den Herstellern kommen. Bei den Angeboten wisse man nicht genau, ob es sich um echten Impfstoff handele.