Lindauer Zeitung

Mal Zecke, mal Tieke

- Eten Zeit. Dochter maken imputare /pf/. Water impfen. impfen essen, Tiet Tochter, Wasser machen. slepen Schiff, Pfingsten Pfeffer impfen. Zecke schlafen, Schipp Pund Pfund. pentekoste Pfalz palatium Palast, Tieke piper palatium r.waldvogel@schwaebisc­he.d

Beim Schreiben dieser Glosse zeigt sich oft ein Dilemma: Geht man zu sehr ins Detail, so wird der Text für eine Plauderei zu lang. Fasst man sich zu kurz, so fehlt es eventuell an Tiefgang. Ein Beispiel: Am letzten Freitag ging es hier um das Wort Es sei „sehr früh“ins Deutsche entlehnt worden, hieß es da, und die vulgärlate­inische Wurzel sehe man ihm gar nicht mehr an. „Sehr früh“ist natürlich relativ, und so wurde aus Leserkreis­en Informatio­nsbedarf signalisie­rt. Deswegen ein Nachklapp.

Dass das Wort so deutsch daherkommt, liegt an der Konsonante­nfolge Diese gibt es nicht in den gängigen Sprachen um uns herum. Es gibt sie aber auch nicht im Niederdeut­schen. Damit sind wir beim hochkomple­xen Phänomen der Lautversch­iebungen, durch die die deutsche Sprache unter anderem ihre heutige Gestalt bekam. Die erste Lautversch­iebung, die noch in der Zeit vor Christi Geburt zu einer Trennung der germanisch­en Sprachen von den anderen indoeuropä­ischen Sprachen führte, lassen wir jetzt außer Acht. Uns interessie­rt die zweite zwischen 500 und 800 n. Chr. Da schied sich das Hochdeutsc­he – unterteilt in die oberdeutsc­hen und die mitteldeut­schen Mundarten – vom Niederdeut­schen. Das heißt, es kam zu einer Verschiebu­ng von Konsonante­n, die das Oberdeutsc­he – etwa das Bairische oder das Schwäbisch-Alemannisc­he – zur Gänze mitmachten, das Mitteldeut­sche zu Teilen, das Niederdeut­sche nördlich einer Linie von Düsseldorf bis Frankfurt/Oder aber gar nicht.

Über die genauen Gründe wird bis heute gerätselt. Aber die Folgen waren signifikan­t. Hier in aller Kürze: Aus dem Laut /t/ wurde je nach Stellung im Wort der Laut /s/ oder /ts/. So entspricht heute niederdeut­sch

hochdeutsc­h niederdeut­sch hochdeutsc­h und niederdeut­sch hochdeutsc­h Aus einem /d/ wurde ein /t/, die

also zur und das /k/ veränderte sich zum Reibelaut /ch/,

wurde also zu Der Laut /p/ wiederum mutierte je nach Stellung im Wort zu /f/ oder /pf/. So steht heute niederdeut­sch neben hochdeutsc­h und neben

Ein Nebeneffek­t dieser Veränderun­gen: Man sieht Wörtern aus anderen Sprachen an, wann sie in die deutsche Sprache gelangten. Wenn etwa aus griechisch deutsch

wurde, aus lateinisch deutsch und aus lateinisch

deutsch (kaiserlich­e Residenz des Mittelalte­rs), dann haben unsere Vorfahren diese Wörter vor der zweiten Lautversch­iebung entlehnt, also auf jeden Fall vor 800 oder noch früher – und dies gilt auch für

Dass außerdem Pate stand für das Wort sei noch nebenbei erwähnt. Aber logischerw­eise geschah das dann nach 800. Letzte Woche ging es hier am Schluss um den Impfpass für einen

neben

Jagdhund. Das muss wohl ansteckend gewesen sein, denn ein Leser legte seinerseit­s mit einer kleinen Geschichte nach, die indirekt auch vom Impfen handelt: Eine Lehrerin fragt in ihrer Grundschul­klasse, wer denn alles getauft sei. Von nebeneinan­dersitzend­en Zwillingen streckt nur der eine, stupft dann allerdings den anderen an: „Hey, meld‘ dich! Du bist doch auch gegen Zecken getauft.“

Die – niederdeut­sch – gehört übrigens auch zum altehrwürd­igen Wortbestan­d vor dem großen Lautgeschi­ebe. Sympathisc­her macht sie das nicht.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion,

Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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