Rechtsanwalt steht wegen Parteiverrats vor Gericht
Das Verfahren mit einem Verteidiger als Angeklagten und einer Richterin als Zeugin ist sehr ungewöhnlich
(olwi) - Es ist eine der ungewöhnlichsten Verhandlungen vor dem Lindauer Amtsgericht seit Jahren: Ein Rechtsanwalt ist wegen Parteiverrats angeklagt. Schon vor dem Urteil ist klar, dass seine Laufbahn endet.
Der Rechtsanwalt soll einen Mandanten entgegen den Interessen eines anderen Mandanten vertreten haben. Richterin Brigitte Grenzstein, Direktorin des Amtsgerichts, muss als Zeugin aussagen. Und als Vertreter der Anklage ist Oberstaatsanwalt André Pfattischer zu Gast in Lindau. Am Ende der dreistündigen Verhandlung steht allerdings kein Urteil. Denn – nicht minder ungewöhnlich – Richter Moritz von Engel entlässt die Beteiligten mit vielen Hausaufgaben.
Strafprozessverfahren waren nie der Tätigkeitsschwerpunkt des 60jährigen Rechtsanwalts aus dem Kreis Lindau. Doch im Frühjahr 2018 ist er gleich zweimal bereit, Bekannten zu helfen. Deren Kinder, damals 19 und 20 Jahre alt, sind in scheinbar unabhängigen Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) angeklagt. Der Anwalt übernimmt beide Mandate und beantragt bei der Staatsanwaltschaft
Akteneinsicht. Irgendwann vor der Verhandlung gegen seinen ersten Mandanten im Mai 2018 wird dem Anwalt klar, dass es sehr wohl einen Zusammenhang gibt: Denn der 20Jährige ist wegen des Handelns mit Marihuana angeklagt, der 19-Jährige wegen des Besitzes. Und erworben hat er das Rauschmittel ausgerechnet bei dem 20-Jährigen. Besonders prekär: Um seine eigenen Chancen auf eine milde Strafe zu erhöhen, hat der 20-Jährige der Polizei die Namen zahlreicher „Kunden“genannt – darunter den des 19-Jährigen. Das Gesetz
sieht eine solche Strafminderung ausdrücklich vor.
Der Rechtsanwalt will jedoch zunächst einen juristischen Konflikt oder gar die Gefahr eines im Strafgesetzbuch genannten Parteiverrats nicht gesehen haben, weil er zunächst nicht davon ausging, dass beide Verfahren die gleiche Rechtssache betreffen. Bei der Rechtsanwaltskammer habe er sich Rat geholt und sei dort auf einen Fachaufsatz aufmerksam gemacht worden. Den interpretierte er dahingehend, dass er beide Mandanten vertreten könne, gibt nun wiederum sein Verteidiger bei der Verhandlung zu Protokoll.
Der Anwalt suchte auch das Gespräch mit Amtsgerichtsdirektorin Brigitte Grenzstein. Als Zeugin steht sie somit nun vor Richter Moritz von Engel. Ein Gespräch auf dem Gang des Gerichtsgebäudes sei es gewesen, erinnert sie sich. Sie habe keine Akten bei sich gehabt und aufgrund der kurzen Schilderung verneint, dass es einen Konflikt geben könnte.
Doch genau dieser Konflikt zwischen den Interessen der beiden Mandanten zeigte sich am nächsten Tag bei der Verhandlung gegen den 19-Jährigen. Dort sollte der 20-Jährige als Belastungszeuge aussagen. Nun sah nicht nur die Richterin die Problematik, auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft machte den Rechtsanwalt darauf aufmerksam – und brachte in der Folge das Verfahren wegen Parteiverrats in Gang.
Das Mandat des 20-Jährigen hat der Rechtsanwalt abgegeben – unklar ist der Zeitpunkt. Die Zeugenaussagen der beiden damals angeklagten jungen Männer helfen kaum bei der Aufklärung. Drei Jahre nach den Ereignissen verweisen sie in der Verhandlung jetzt permanent darauf, sich nicht erinnern zu können. Ungerecht behandelt fühlt sich keiner von ihnen. Und Richterin Grenzstein stellt fest, dass die Aussagen des Angeklagten und des Belastungszeugen zwar bei der Menge des gehandelten Marihuanas voneinander abwichen, doch diese bei der Urteilsfindung keine Rolle spielte.
Für den Oberstaatsanwalt ist dennoch klar: „Hier geht es um einen krassen Fall des Parteiverrats“. Und: „Wenn der Staat Strenge zeigen muss, dann bei diesem Verbrechenstatbestand.“Es kommt aber nicht zum Urteil. Erst sollen Staatsanwaltschaft und Verteidigung große Teile der Akten im „Selbstleseverfahren“studieren, um eine stundenlange Verlesung im Gerichtssaal zu vermeiden. Voraussichtlich am 5. März ist die Fortsetzung der Verhandlung geplant.
Eins ist jetzt schon klar, der 60Jährige will nicht mehr als Rechtsanwalt arbeiten. Der Angeklagte macht mehrfach deutlich, dass ihm das Verfahren psychisch enorm zusetzt. Seine Kanzlei habe er deshalb schon verkauft und beschlossen, seine Zulassung als Rechtsanwalt schon bald zurückzugeben.