Zittern in der Heimat, Angriff in den USA
Im Bus-Werk in Neu-Ulm herrscht wegen der Aufspaltungspläne von Daimler und einer neuen US-Strategie Unsicherheit
- Wohin geht die Reise für die Busse von Daimler? Die angekündigte Abspaltung (zusammen mit den Lastern) von der Autosparte zum Ende des Jahres verstärkt bei Evobus in Neu-Ulm die Sorgen. Die sind angesichts der Pandemie und leerer Auftragsbücher schon groß genug. Und nun hat Till Oberwörder, der Chef der Bussparte von Daimler, auch noch angekündigt: Der Auftritt der DaimlerReisebusse in den USA gestalte sich „bislang nicht optimal“. Hierzu muss man wissen: An Reisebussen verkauft Daimler auf dem nordamerikanischen Markt bis dato ausschließlich Modelle seiner Marke Setra. Die hat ihre Wurzeln in Ulm und wurde bei der Übernahme von Kässbohrer ins Daimler-Portfolio integriert.
Das Werk ist noch immer das größte von Evobus, der Firma, unter deren Dach Daimler seine Busse fertigt. 3850 Mitarbeiter sind es in NeuUlm. Doch der Standort hat ein Problem: Er ist spezialisiert auf SetraReisebusse. Und dieses Geschäft liegt seit vergangenem Jahr darnieder. Die Pandemie hat die Reisebranche ausgebremst, dementsprechend mau ist die Nachfrage nach neuen Bussen. Da halfen auch eigens von Evobus mitgelieferte Spender für Desinfektionsmittel und Partikelfilter nicht. Oberwörder sprach am Donnerstag von einem Einbruch bei den Reisebusbestellungen um 45 Prozent.
Neue Setra-Busse so weit das Auge reicht, die sehnlichst auf Besitzer warten, aber nicht ausgeliefert werden konnten – zeitweise ging der
Platz aus im Hof bei Evobus in NeuUlm. Es wurde auf Halde produziert und das Werk geschlossen. Nun zumindest sollen Aufträge blockweise abgearbeitet werden. Man behalf und behilft sich mit Kurzarbeit. Aber auch Arbeitsplätze werden abgebaut, über freiwillige und individuelle Abfindungen, wie Oberwörder darlegte, ohne ins Detail zu gehen.
Mittlerweile geht die Angst um bei Evobus in Neu-Ulm, Angst, dass Daimler den Standort gar komplett schließen und womöglich nach Mannheim verlagern könnte. Dort ist die Lage erfreulicher, denn am Rhein werden Stadtbusse montiert. Und die wurden und werden auch in der Pandemie nachgefragt.
Das Geschäft mit den Stadtbussen sei auch im vergangenen Jahr ein „sehr gutes“gewesen, sagte Oberwörder, der gleichsam versuchte, die Sorgen der Belegschaft in Neu-Ulm zu zerstreuen. Der Standort sei das „Kompetenzzentrum“von Evobus, liefere die Sitze für alle Busse und lackiere diese auch. Als „integralen Bestandteil“der Daimler-Bussparte hatte unlängst auch Oberwörders
Chef, Martin Daum (CEO von Daimler Truck), das Neu-Ulmer Werk bezeichnet.
Dass die Unsicherheit in der Stadt am rechten Donauufer so schnell nicht verschwinden wird, liegt aber auch an den Ankündigungen der vergangenen Wochen. Da ist zum einen die geplante Abspaltung der Busund Truck-Sparte vom Pkw-Geschäft. Der Bereich mit weltweit mehr als 100 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Umsatz von knapp 45 Milliarden Euro soll künftig als eigenständiges Unternehmen an der Börse notiert werden. Und da sind zum anderen die Pläne Oberwörders in den USA. Die sehen vor, dass die dort – wenn auch in überschaubarem Umfang – vertretenen Setra-Reisebusse aus Neu-Ulm noch in diesem Jahr Konkurrenz bekommen. Aus dem eigenen Haus. Um sich auf diesem „attraktiven Markt“noch „klarer“zu positionieren, will Daimler neue, zusätzliche Reisebusse nach Nordamerika schicken. Busse, „die den MercedesStern tragen“. Problem für Neu-Ulm: An der Donau rollen zu 99 Prozent Setra-Reisebusse vom Band. Nur ein Bruchteil der Busse aus Neu-Ulm trägt den Stern.
Auf Details und auf die Frage, wo die neuen US-Busse dann gebaut werden sollen, wollte Oberwörder am Donnerstag nicht eingehen. Mehr Infos dazu sollen im Laufe des Jahres folgen. Bis dahin wird die Neu-Ulmer Belegschaft bangen.
Die Mitarbeiter dürften sich innerhalb des Daimler-Konzerns derzeit ein wenig wie das fünfte Rad am
Wagen fühlen. Trotz Pandemie verkaufte Daimler immerhin noch mehr als zwei Millionen Mercedes-Autos (minus 13 Prozent). Bei den Bussen erreichte der Einbruch mit fast 40 Prozent auf 20 000 Einheiten eine ganz andere Dimension, die, wenn es die Stadtbusse aus Mannheim nicht gegeben hätte, noch viel dramatischer ausgefallen wäre. Dabei hätte 2020 eigentlich ein neues „Rekordjahr“für die Bussparte werden sollen. Doch dann kam Corona.
Wohin führen die kommenden Monate? Oberwörders große Hoffnung: zurück zu alten Zeiten. Zeiten, in denen die Menschen wieder ungehemmt reisen dürfen und sich dazu in Reisebusse setzen. Hoffentlich nicht erst in ferner Zukunft. „Die Menschen werden reisen wollen“, zeigte er sich überzeugt – und lobte die Busbauer, explizit die in NeuUlm, für ihr Durchhaltevermögen. Und ihre Kreativität.
In Neu-Ulm haben sie nämlich eigene Wege gefunden, der Pandemie zu begegnen. Not macht erfinderisch. In den vergangenen Monaten entstanden spezielle Busse, die ohne die Pandemie nie das Licht der Welt erblickt hätten. Ein Bus wurde zur mobilen Impfstation umgebaut, einsatzbereit ab Ende März. Ein anderer zur rollenden Intensivstation umfunktioniert. Vier Patienten, die schwer an Corona erkrankt sind und beatmet werden müssen, lassen sich in ihm behandeln. Laut Ulmer DRK, das mit dem Bus schon seit einigen Wochen Leben rettet, sei dieser der größte seiner Art in Deutschland, wenn nicht auf der ganzen Welt.